Essen. In NRW soll nicht mehr jede Klinik alles machen. Den Krankenhäusern und Städte gehen die Pläne des Landes an vielen Stellen zu weit.
- Die Krankenhauslandschaft in NRW steht vor ihrer größten Reform. Acht Jahre wurde sie vorbereitet, nun wird es konkret.
- Am Ende sollen nicht mehr alle Kliniken alles anbieten. Sie sollen sich stärker spezialisieren.
- Das birgt Probleme: Städte und Kliniken haben viele Einwände.
Bei der Landeskrankenhausreform nimmt man in Dortmund kein Blatt vor den Mund: Wenn sich das Gesundheitsministerium nicht bewegt, werde das medizinische Angebot deutlich eingeschränkt. Das einzelne Krankenhaus müsse mit weniger Geld klarkommen und sei weniger attraktiv als Arbeitgeber, heißt es von der Katholischen St. Paulus Gesellschaft, zu der zehn Krankenhäuser in und um Dortmund gehören. Die Prognose: „Für die Patienten bedeutet es weitere Anfahrtswege und vor allem längere Wartezeiten für ihre Behandlung.“
Wie andere Klinikbetreiber im Land auch, hat die Gesellschaft mit den Einschnitten zu kämpfen, die das NRW-Gesundheitsministerium im Rahmen der laufenden Krankenhausreform plant. Anders als bislang will NRW nicht mehr darauf schauen, wie viele Betten ein Krankenhaus anhand der Einwohnerzahl, Liegedauer oder Auslastung benötigt. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) will vielmehr planen, welche medizinischer Fachrichtungen wo und in welcher Stärke angesiedelt sein sollen und so erreichen, dass Kliniken mehr zusammenarbeiten, sich stärker spezialisieren und am Ende die Versorgung der Menschen in NRW an Qualität gewinnt. NRW stellt bis 2027 rund 2,5 Milliarden Euro für den Umbau bereit.
Der Schritt hatte in der Gesundheitsbranche zunächst viel Lob bekommen, auch weil Kliniken und Krankenkassen in der 2018 angestoßenen Planung früh mit an den Tisch geholt worden waren. Doch im aktuellen zweiten Anhörungsverfahren werden die Einschnitte nun konkret und der Protest deutlich. Es geht um die Verteilung der letzten 60 von 64 Leistungsgruppen auf die Kliniken - um Hochleistungsmedizin wie Herztransplantationen, die Versorgung von Schwangeren und Frühgeborenen, aber auch um finanziell einträgliche Leistungen wie Knie- und Hüftoperationen.
Protest gegen Landespläne: Über 500 Stellungnahmen von Kliniken und Städten
Die Kliniken haben sich zuvor für die Leistungsgruppen beworben. Im Juni erhielten sie Bescheid, was das Land ihnen zuschreiben will. Von ihrem Recht, gegen diese Pläne zu widersprechen, haben viele Klinikchefs und Krankenhausmanagerinnen Gebrauch gemacht. Bis zum 11. August konnten sie Stellung beziehen. Nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums liegen Einsprüche aus 319 der rund 330 Krankenhäuser in NRW vor.
Die mit Abstand meiste Kritik gab es aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf (90), zu dem auch Duisburg, Essen, Oberhausen und Mülheim gehören. Aus dem Regierungsbezirk Arnsberg gab es 73 Stellungnahmen, hierzu gehören unter anderem die Städte Bochum, Dortmund und Herne sowie der Ennepe-Ruhr-Kreis. Münster (Gelsenkirchen, Bottrop, Kreis Recklinghausen) kommt auf 51.
Hinzukommen 242 Stellungnahmen der Städte, Kammern und Krankenkassen - Fachleute gehen davon aus, dass sich mehrheitlich die knapp 400 Kommunen zu Wort gemeldet haben. Insgesamt muss sich das Gesundheitsministerium also durch 561 Dokumente arbeiten. Mit dem Thema vertraute Stellen sind wenig überrascht von der hohen Zahl der Stellungnahmen, sprechen aber von einem ordentlichen Berg Arbeit.
Hüfte und Bauch-OP: Streitpunkte sind auch niedrige Behandlungszahlen
Laut Ministerium geht es in den meisten Fällen darum, dass aus Sicht der Kliniken vor Ort mehr Patientinnen und Patienten versorgt werden müssen als vom Land geplant. Ebenso wehren sich Betreiber offenbar dagegen, Bereiche abzugehen, die sehr weit verbreitet sind und die NRW stärker konzentrieren möchte. Dazu zähle etwa die Viszeralchirurgie - übersetzt: die Bauchchirurgie.
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Vielfach wollen Kliniken zudem erreichen, dass sie Angebote, „die wirtschaftlich besonders attraktiv sein dürften“, behalten können - wozu insbesondere die Knie- und Hüft-OPs gehören. Das kann man kritisch sehen, hat aber einen einfachen Grund: Krankenhäuser sind Mischkalkulationen. Geburtskliniken etwa sind häufig ein Minusgeschäft und werden nicht selten durch einträgliche Fachrichtungen querfinanziert.
Sorgen der Klinikchefs: Nicht mehr attraktiv für Fachkräfte
Die Dortmunder St. Paulus Gesellschaft hat für drei ihrer Standorte und sechs Leistungsgruppen Stellungnahmen eingereicht. Es geht auch um das St. Josefs Hospital in Dortmund-Hörde, das laut Landesplan Knie- und Hüftgelenkprothesen nicht mehr einsetzen soll. Die Dortmunder kämpfen für die Viszeralchirurgie am Standort und um Wirbelsäuleneingriffe.
Eine Sprecherin erklärt, dass man aber nicht nur auf einzelne Leistungsgruppen schaue. „Wir schauen insbesondere darauf, ob das zukünftige Leistungsgerüst der gesamten Einrichtung auch perspektivisch einen qualitativ hochwertigen Betrieb zulässt und auch weiterhin für Fachkräfte attraktiv ist“, so die Sprecherin.
Uniklinik Essen verliert Herztransplantationen
Widerspruch gibt es auch anderswo: Die Universitätsklinik Essen will weiterhin Altenmedizin machen. In Gelsenkirchen streitet man für eine weitere Stroke-Unit, um Schlaganfall-Patienten besser behandeln zu können. Und in Mülheim hat die Ategris allein 13 Stellungnahmen für ihr Evangelisches Krankenhaus eingereicht. „Die bisherige Zuteilung der Leistungsgruppen ist an manchen Stellen nicht in letzter Konsequenz stringent durchdacht“, sagt eine Unternehmenssprecherin. Fallzahlen sollen angepasst werden. Zudem befürchtet man offenbar, dass mit wegfallenden Angeboten auch die Weiterbildung angehender Ärztinnen und Ärzte erschwert werden könne.
Ategris setzt auf Gespräche mit den politischen Vertreterinnen und Vertretern. Man hoffe, dass manche Entscheidungen noch einmal überdacht werden und gemeinsam Lösungen gefunden werden.
Im NRW-Gesundheitsministerium werden die 561 Stellungnahmen aus Städten und Chefetagen derzeit geprüft. Nach Ministeriumsangaben werden sie in die finale Entscheidungsfindung des Landes einbezogen. Die rund 330 Krankenhäuser in NRW erwarten bis zum Jahresende die endgültigen Bescheide des Landes. Ab 2025 soll der Landeskrankenhausplan umgesetzt werden.