Ruhrgebiet. Sie wollten feiern, reisen und neue Leute treffen: Doch statt einer unbeschwerten Zeit haben Studenten Zukunftsängste und finanzielle Sorgen.

Die Welt bereisen, mit Freunden durch die Kneipen ziehen oder hoch über den Dächern der Stadt tanzen – viele Menschen erinnern sich gerne an ihre Studienzeit zurück. Doch statt langen Sommernächten auf dem Campus prägen Einsamkeit, Zukunftsängste und finanzielle Sorgen das Leben vieler Studentinnen und Studenten in der Pandemie.

„Ich will einfach alle meine Freunde wiedersehen und das Leben unbeschwert genießen“, sagt Dilara Janssen, Studentin an der Bochumer Ruhr-Universität. Im Sommer vor Corona habe sie die Abende häufig im Bermudadreieck verbracht, Gartenpartys gefeiert und war mit Freunden im Urlaub in Spanien. „Das fehlt einfach“, sagt die 24-Jährige. Sie merke, „wie wichtig soziale Kontakte für die mentale Gesundheit sind“ – auch als Ausgleich zum gestiegenen Arbeitspensum im Studium. Bevor sie ihre Masterarbeit im nächsten Jahr abgibt, möchte sie noch ein Auslandssemester machen. Doch ob daraus was wird? „Man hat einfach das Gefühl, uns wird die Zeit gestohlen.“

Antrag auf Überbrückungshilfe abgelehnt: „Ich habe finanzielle Sorgen“

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Sophie Fleisgarten kommt an manchen Tagen nur schwer aus dem Bett. Die Bochumerin bedauert die fehlende Struktur im Alltag: „Jeder Tag ist gleich.“ Essays, Projektarbeiten und Lernen für die Klausuren – „Warum heute, wenn ich auch morgen Zeit habe?“ Die 24-Jährige studiert Literatur- und Religionswissenschaften, wohnt alleine in einer 35 Quadratmeter kleinen Wohnung. Einmal in der Woche arbeitet sie für zwei, drei Stunden im Kino, reinigt die Kaffeemaschine oder schmeißt ab und zu mal die Projektoren an. „Ich bin dankbar, dass meine Arbeitgeber uns weiter beschäftigen.“

Doch das Geld reicht kaum, gerade einmal 90 Euro bleiben ihr im Monat zum Leben. Einmalig 300 Euro hat Sophie Fleisgarten im Rahmen der Überbrückungshilfe erhalten, alle weiteren Anträge seien abgelehnt worden. Jeden Monat müssten Studenten die finanzielle Hilfe neu beantragen, Kontostände und Nachweise über abgelehnte Bewerbungen vorlegen – „die Hürden sind viel zu hoch“, beschwert sie sich. Feiern, Rausgehen, Freunde treffen – selbstverständliche vermisse sie den sozialen Kontakt. Aber: „Ich habe finanzielle Sorgen“, sagt die Studentin. „An uns denkt einfach niemand.“

Biologie-Studentin Annika Mattukat (26) fehlen die Treffen mit der Familie.
Biologie-Studentin Annika Mattukat (26) fehlen die Treffen mit der Familie. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Kaum Kontakt zur Familie: „Immer wenn wir uns sehen, fließen Tränen“

Kurz vor dem Abschluss ist das Biologie-Studium von Annika Mattukat „auf Eis gelegt“. Ein praktisches Modul fehlt der 26-Jährigen noch, bis sie ihre Masterarbeit anmelden kann. Doch wegen Corona darf die Studentin nicht ins Labor, kann den Kurs nicht absolvieren. Ihr Job an der Uni wurde gekürzt, nur die Hälfte des Gehaltes landet seither auf ihrem Konto, erzählt die junge Studentin, die mit ihrem Freund in Dortmund lebt. „Es ist nicht schön, finanziell abhängig zu sein.“

Doch neben dem Studium macht ihr vor allem die soziale Isolation zu schaffen: „Bis zum vergangenen Winter ging es mir noch relativ gut“, erzählt Mattukat – doch dann fiel auch das Weihnachtsfest in Wasser. „Wir haben eine super große Familie“, erzählt die 26-Jährige. „Mein Vater hat 14 Geschwister.“ Die allermeisten von ihnen habe sie seit mehr als einem Jahr nicht gesehen, die beiden Babys ihrer Cousinen nicht ein einziges Mal im Arm gehalten. Nur ihre Eltern besucht Annika Mattukat ab und zu. „Immer wenn wir uns sehen, fließen Tränen.“

Bochumer Student: „Wir sind seit einem Jahr alle Einzelkämpfer“

Till Thiemann, ein „sehr extrovertierter Typ“, fühlt sich am wohlsten, wenn er „so viele Menschen wie möglich“ um sich hat. Freunde aus der Schulzeit, der Uni und dem Verein – „Früher habe ich kein Wochenende zuhause verbracht“, erinnert sich der Maschinenbau-Student an die vielen Nächte im Club. Doch es ist nicht die verlorene, unbeschwerte Studienzeit, die den 21-Jährigen stört: „Was mich ärgert ist, dass das Wort ‚Student‘ von den Politikern kein einziges Mal in den Mund genommen worden ist.“ Kita-Kinder, Schüler, Berufsgruppen – „alle wichtig“, sagt Thiemann. „Aber wir sind es auch.“

Weil sie wegen Corona nach ihrem Studium keinen Job findet, arbeitet Sportwissenschaftlerin Miriam Bury (24) derzeit im Rettungsdienst.
Weil sie wegen Corona nach ihrem Studium keinen Job findet, arbeitet Sportwissenschaftlerin Miriam Bury (24) derzeit im Rettungsdienst. © Privat

Zu Beginn seines Studiums im Winter 2018 hätten Dozenten und Kommilitonen gemahnt: „Sucht euch Lerngruppen, als Einzelkämpfer habt ihr es schwer“, erzählt der 21-Jährige. „Und jetzt sind wir seit einem Jahr alle Einzelkämpfer.“ Ein Skript, ein paar Übungsaufgaben und „wir sehen uns zur Klausur“ – Sechs Prüfungen hätte der Bochumer Student im vergangenen Sommer schreiben sollen, geschafft hat er zwei. „Ich habe recht schnell gemerkt, dass das nicht funktioniert“, so Thiemann. „Unterm Strich hat mich das ein ganzes Jahr gekostet.“

Bachelor-Abschluss ohne Glückwünsche: „So verlässt man nicht gerne die Uni“

Zwar hat Miriam Bury den Bachelorabschluss in der Tasche, Corona durchkreuzte aber auch ihre Pläne. Die 24-Jährige hat Sportwissenschaften mit Schwerpunkt Management studiert, wollte nach dem Studium in der Veranstaltungsbranche arbeiten. Doch vier Bewerbungen und ein Vorstellungsgespräch später ist sie noch immer ohne Job. Das Praktikum, das ihr noch vor den Bachelorprüfungen den Einstieg ins Berufsleben erleichtern sollte, wurde abgesagt, nachholen geht nicht: „Ich bin jetzt keine Studentin mehr“, das Unternehmen biete aber nur für solche Plätze an.

Geldsorgen habe ich zum Glück nicht“, erzählt Miriam Bury, die derzeit als Rettungssanitäterin arbeitet. Doch die Cocktailabende mit Freunden, das Trompetespielen im Posaunenchor und die vielen Stunden auf dem Tennisplatz fehlten auch ihr. Und nicht einmal ihren Studienabschluss konnte die Bochumerin so richtig feiern: Die Absolventenfeiern wurde abgesagt, nicht einmal ein „Glückwunsch“ von der Dekanin der Fakultät – „das macht mich immer noch sauer“, erzählt Bury. „So verlässt man nicht gerne die Uni.“

WEITERE INFORMATIONEN

■ Zwischen 100 und 500 Euro erhalten Studenten im Rahmen der Überbrückungshilfe, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereitstellt.

■ Die Höhe des Zuschusses richtet sich nach dem Kontostand. Studenten müssen nachweisen, dass ihr Nebenjob oder die familiäre Unterstützung weggebrochen ist.