Essen. Studierende bangen um ihre Nebenjobs. Kritik an den Nothilfen der Bundesregierung. Grüne fordern finanzielle Grundsicherung für alle

Vor der Corona-Pandemie gehörten Studierende zu den ehrenamtlichen Helfern der Tafeln in NRW, um Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen. Jetzt stehen sie immer häufiger selbst in den Schlangen vor der Ausgabe. Die Kundschaft habe sich verändert, beobachtete Wolfgang Weilerswist, Vorsitzender des Landesverbands Tafel NRW: „Wir haben jetzt Leute, die in Kurzarbeit sind, vorher wenig und jetzt noch weniger haben. Oder Studenten, die keine Mini-Jobs mehr in der Gastronomie haben.“ Andere Tafel-Betreiber bestätigen diese Entwicklung.

Immer mehr Studierende geraten in finanzielle Not, typische Nebenjobs, etwa im Gastgewerbe, fallen weg. Rund 135.000 bedürftige Studierende erhielten von Juni bis September bei den Studentenwerken die vom Bund bereitgestellten „Überbrückungshilfen“ von maximal 500 Euro im Monat. Doch das Programm wurden Ende September eingestellt, die wirtschaftliche Lage habe sich entspannt, hieß es zur Begründung.

Bund startet die "Nothilfen" erneut   

Die Studierenden reagierten fassungslos. Die Pandemie sei nicht vorbei, die Infektionszahlen steigen wieder „und die Situation für die Studierenden wird wieder schlimmer“, sagt Paul Klär vom Vorstand des Dachverbands der  Studierendenvertretungen FZS. Das Bundesbildungsministerium sah sich gezwungen, die Überbrückungshilfe im Wintersemester nach zweimonatiger Pause wieder anzubieten.

Eine Umfrage der DGB-Hochschulgruppe an der Universität Duisburg-Essen beleuchtet erstmals die Notlage der Studierenden. Danach haben viele Studierende „massiv unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie gelitten“. Jeder fünfte der 240 befragten Personen gab in der nicht repräsentativen Erhebung an, ihren Nebenjob verloren zu haben. Etwa ebenso viele sagten, sie müssten mit weniger Gehalt auskommen. 60 Prozent erhielten Unterstützung von ihren Eltern, etwa 18 Prozent der Befragten bekamen Bafög. 15 Prozent der Befragten wussten nicht, wie sie ihr Studium weiterhin finanzieren sollen.

Rund 60 Prozent arbeiten in Nebenjobs

Betroffen waren demnach vor allem ausländische Studierende sowie jene, die sich bereits vor der Krise mit zum Teil mehreren Nebenjobs über Wasser halten mussten. Kira Hoppe, Leiterin der DGB-Hochschulgruppe, fordert: „Es braucht unbürokratische und zügige Lösungen seitens der Politik, um auch Studierende in diesen Zeiten sozial abzusichern.“

Die Deutschen Studentenwerke (DSW) bestätigen die Zahlen der DGB-Umfrage: „Das deckt sich mit unseren Erkenntnissen“, sagt DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde unserer Redaktion. „Es gibt einige, die extreme Finanzprobleme bekommen.“ Bundesweit arbeiten gut 60 Prozent der rund drei Millionen Studierenden in Nebenjobs, für 40 Prozent von ihnen seien diese Einnahmen unverzichtbar.

"Hotel Mama" als Notlösung

Knapp ein Drittel musste sich zusätzliches Geld von Eltern oder Verwandten leihen, rund 13 Prozent der Studierenden seien aus Kostengründen wieder zu ihren Eltern gezogen. „Wir hätten uns als Nothilfe für die Studierenden eine temporäre Öffnung des Bafög gewünscht, das unter anderem ein zinsloses Darlehen beinhaltet. Das wollte die Bundesregierung nicht, schade“, sagt auf der Heyde. Angesichts der Notlage vieler Studierender fordert er eine grundsätzliche Reform der Studienfinanzierung.

Grüne fordern Bafög-Neustart samt Grundsicherung

Genau in diese Richtung zielt nun ein Vorschlag der Grünen. Das vom Essener Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring erarbeitete und kürzlich von der Bundestagsfraktion beschlossene Konzept sieht eine Komplett-Renovierung des Bafög vor. „Wir wollen einen Neustart für das Bafög und mit einer Grundsicherung für Studierende und Auszubildende Chancen für alle ermöglichen“, heißt es in dem Papier. Demnach sollen alle Studierenden unter 25 Jahre einen „Garantie-Betrag“ von 290 Euro im  Monat erhalten. Dieser Betrag werde direkt an alle Studierenden ausgezahlt, im Gegenzug wird den Eltern das Kindergeld gestrichen.

Der zweite Baustein ist ein „Bedarfszuschuss“, der abhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werde. In Summe kann ein Studierender nach diesem Modell einen Maximalbetrag von 1062 Euro beziehen. Um Verschuldungen zu vermeiden, soll der Bedarfszuschuss nicht zurückgezahlt werden müssen – so wie zur Einführung des Bafög vor fast 50 Jahren. Die Grünen rechnen mit Mehrkosten im Vergleich zum bisherigen System von rund zwei Milliarden Euro. Kai Gehring: „Wenn wir nicht gegensteuern, wird Corona zur Bildungskrise.“ (mit jes)

Bafög in der Krise

Im Jahr 1971 wurde das Bafög als Vollzuschuss für bedürftige Studierende eingeführt. Obwohl die Zahl der Studierenden in den letzten Jahren auf eine Rekordhöhe von knapp drei Millionen stieg, sinkt die Quote der Bafög-Geförderten seit 2012 stetig. 2019 erhielten nur noch rund 11 Prozent aller Studierenden die Förderung.

In NRW erhalten derzeit rund 125.000 Studierende und knapp 50.000 Schüler Bafög. Die durchschnittliche Förderung für Studierende betrug zuletzt 480 Euro. Die Hälfte davon ist ein Darlehen und muss zurückgezahlt werde – aber nur maximal 10.000 Euro. Die andere Hälfte ist ein reiner Zuschuss.