Essen. Bei verspäteten Flügen haben Passagiere seit 2005 das Recht auf eine Ausgleichszahlung. Doch Fluggesellschaften versuchen, sich um ihre Pflicht zu drücken. Ein Interview mit Marikus Tressel, tourismuspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.
Seit 2005 haben Flugpassagiere das Recht auf eine Ausgleichszahlung, wenn sie je nach Flugdistanz mit zwei Stunden Verspätung oder mehr am Ziel ankommen. Doch Fluggesellschaften versuchen, sich um ihre Pflicht zu drücken – mit Prinzip. Alleine bei Air Berlin stapeln sich mehr als 30.000 ungelöste Beschwerden, wie „Die Welt“ berichtete. Florian Bickmeyer sprach mit Markus Tressel. Er sitzt für die Grünen im Bundestag, ist dort tourismuspolitischer Sprecher und kümmert sich um den Verbraucherschutz.
Herr Tressel, war Ihr letzter Flug pünktlich?
Markus Tresse: Relativ pünktlich, ja. Von Saarbrücken nach Berlin können kaum große Verspätungen entstehen. Ich bin aber auch schon deutlich zu spät gekommen. Das lag am Nebel – das war wirklich höhere Gewalt.
Den Grund „höhere Gewalt“ nennen Fluggesellschaften oft. Sie sind damit von der Verpflichtung befreit, einen Ausgleich für Verspätungen zu zahlen.
Tresse: In dieser Verordnung heißt es nicht „höhere Gewalt“, sondern „außergewöhnliche Umstände“. Eigentlich müssen Fluggesellschaften diese nachweisen. Alles, was in der Verantwortung der Airlines liegt, ist kein außergewöhnlicher Umstand. Ein technisches Problem ist kein außergewöhnlicher Umstand, die Aschewolke war einer. Der Begriff müsste aber präzisiert werden.
Die Fluggesellschaften forderten zuletzt über ihre Interessenvertretung Barig, die Höhe der Ausgleichszahlungen zu senken. Es hieß, der Luftverkehr würde damit gegenüber anderen Verkehrsmitteln benachteiligt.
Tresse: Airlines machen sehr geschickte Lobby-Arbeit, sind auch mit den Regierungsfraktionen gut vernetzt. Das ist nicht zu unterschätzen.
Verzeihung, ich muss kurz einhaken: Sie haben das Verkehrsministerium im Bundestag schriftlich nach der „Durchsetzung der Fluggastrechte-Verordnung“ gefragt. Wie war die Antwort?
Tresse: 30.351 Anzeigen von Fluggästen gingen beim Luftfahrt-Bundesamt seit 2005 ein. In den vergangenen beiden Jahren führte jede dritte von mehr als 7000 Anzeigen zu einem Ordnungswidrigkeitsverfahren, es wurden in diesem Zeitraum aber nur 118 Bußgeldbescheide erlassen. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat das Luftfahrt-Bundesamt nur drei Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt. Alles, was ich zum Flugverkehr mache, wird spärlich beantwortet. Die Bundesregierung führt oft den Datenschutz an, wenn es darum geht, die Airlines beim Namen zu nennen – dabei rät sogar der Datenschutzbeauftragte dazu, damit sich die Reisenden informieren können.
Kommen wir also zurück zur gefühlten Benachteiligung.
Tresse: Die Bahn wird sicher strenger rangenommen. Das Luftfahrt-Bundesamt ist dem Verkehrsministerium unterstellt und für die Durchsetzung der Verordnung zuständig. In der Branche heißt es aber nicht umsonst Lufthansa-Bundesamt. Wenn man sich die hohe Anzahl der Beschwerden und die geringe Anzahl der Bußgelder für die Airlines ansieht, dann ist das lächerlich. Und die Strafen sind für Airlines überhaupt nicht abschreckend: in der Regel zwischen 1000 und 4000 Euro. Dafür lässt eine Fluglinie ihr Flugzeug lieber stehen, als es halbvoll abfliegen zu lassen – das ist billiger. Jährlich kommen Hunderttausende Flüge in Deutschland zu spät an. Von den täglich 550 000 Passagieren an den deutschen Flughäfen, sind 33.000 von Verspätungen über 30 Minuten, 1500 von Verspätungen über drei Stunden betroffen. Im Übrigen nimmt die Zahl der Beschwerden über ausländische Fluglinien ab, während sie bei den deutschen Airlines stark steigt. Das liegt an der langen Leine der deutschen Aufsichtsbehörden.
Woher nehmen sie diese Zahlen?
Tresse: Wir haben die Rohdaten vom niederländischen Unternehmen EU-Claim bekommen, haben sie ausgewertet und politisch bewertet.
Nach diesen Zahlen stünde jährlich mehr als einer halben Million Passagiere eine Zahlung von mindestens 250 Euro zu – ein dreistelliger Millionenbetrag.
Tresse: Die Fluglinien müssen ihr Angebot so stricken, dass sie es verlässlich erfüllen können. Dann müssen sie auch keinen Ausgleich bezahlen. Viele melden ihren Anspruch aber gar nicht erst an, weil sie ihre Rechte nicht kennen oder sich nach einem schönen Urlaub keinen Ärger machen wollen und einfach warten. Der Reisende ist der Dumme. Und die Airlines haben wenig Interesse das zu ändern. Suchen sie auf einem Flughafen mal die Fluggastrechte. Da hängt irgendwo ein DIN-A-4-Blatt mit Schriftgröße 4,5. Wir haben schon einmal einen Antrag gestellt, dass an jedem Flughafen ein Info-Zentrum sein soll, wo Reisende beraten werden. Aber die politische Linie ist immer eher pro Airline als pro Kunde. Und wer seine Rechte kennt und sich beschwert, wird meist abgewimmelt.
Von Abwimmelungsversuchen per Standard-E-Mail und Verzögerungstaktiken berichten auch unsere Leser.
Tresse: Das ist so. Die Airlines versuchen die Leute abzuwimmeln mit einer Standard-E-Mail, in der irgendwas von „höherer Gewalt“ steht. Genau das ist die Masche. Ich glaube, dass viele auch aufgeben obwohl sie im Recht sind, wenn sie diese E-Mail zweimal bekommen.
Was soll man denn tun, wenn ein Flug deutlich verspätet ist?
Tresse: Auf jeden Fall seine Rechte durchlesen und jede Verspätung anzeigen: zuerst an die Airline wenden und wenn die nicht reagiert, dann an die Schlichtungsstelle für öffentlichen Personenverkehr, die Verbraucherzentralen und schließlich an einen Rechtsanwalt. Man muss seine Rechte auch durchsetzen.