Finisterre/Santiago de Compostela. Von Santiago de Compostela nach Finisterre - für viele Pilger der Abschluss des Jakobsweges. Die Tradition ist älter als der Weg selbst.
Endlich geschafft: Hunderte Pilger stehen Tag für Tag staunend auf der Praza do Obradoiro vor der hoch aufragenden Kathedrale von Santiago de Compostela. Haben sie dann die Messe absolviert und im Pilgerbüro ihre Urkunde - die Compostela - in Empfang genommen, könnte es eigentlich wieder nach Hause gehen.
Die Reise geht weiter
So mancher möchte aber noch weiter, sieht erst an der Atlantikküste in Finisterre - auf galicisch Fisterra - seine Pilgerschaft vollendet. Das geht zurück auf eine noch ältere Tradition als der eigentliche Jakobsweg. Für die alten Römer war am Kap Finisterre das Ende ihrer Welt, eben finis terrae. Bereits vor ihnen verehrten dort die Kelten ein Heiligtum. Knapp 90 Kilometer sind es bis dorthin, für den Wanderer also etwa drei Tagesetappen - alles nur eine Frage der Kondition. Zudem ist die Strecke im Vergleich zu anderen Teilen des Camino - etwa den Pyrenäen, den Bergen von Leon oder dem Kantabrischen Gebirge - weniger anspruchsvoll. Allerdings kann es erheblich nass werden; immerhin ist Galicien die regenreichste Gegend Spaniens.
Durch Galicien
Den gelben Pfeilen folgend, verlässt der Pilger die Stadt. Bald führt der Weg bergauf. Vom Rand des Talkessels genießt man den Blick zurück, aus dem Häusermeer ragen die hohen Türme der Kathedrale. Die Stadt versinkt im Dunst. Nun geht es durch kleine Dörfer, mit Eichen- und Eukalyptusbäumen bestandene Wälder, vorbei an grünen Wiesen - was für ein Unterschied zur trockenen Hochebene Kastiliens, über die die Jakobspilger noch einige Tage zuvor gezogen waren. Am Rande des Örtchens Ponte Maceira findet sich eine der wohl schönsten Stellen des Weges: Mit ihren hohen Bögen überspannt die mittelalterliche Brücke den Rio Tambre, unten am Flüsschen eine verträumte Kapelle und einige Wassermühlen, dahinter ein Schlösschen mit Park. Zum längeren Verweilen bleibt jedoch wenig Zeit.
Pilger zeigen Improvisationstalent
Tagesziel ist Negreira, der mit etwa 3.000 Einwohnern größte Ort auf dem Wege zur Küste. Pilgerpech - die Gemeindeherberge am Ortsausgang ist bereits belegt. Bleibt nur, eine andere Unterkunft zu suchen, und das im Regen! Schnell ist jedoch eine Privatpension gefunden. "Wir haben unsere Herberge im März 2010 eröffnet, 50 Betten in drei Sälen", erzählt Débora Eleti Proetterle, deren Vater Brasilianer ist, die Mutter Deutsche. Eine wahre Oase für müde Pilger - Küche, Toiletten, Bad, Waschmaschine, Computer mit Internetverbindung. Auch für Tiere gibt es draußen einen Platz, und wirklich, gerade findet sich dort ein Pilger aus Frankreich mit Pferd, Esel und Hund ein. Die Herberge werde gut angenommen, fast die Hälfte ihrer Gäste kämen aus Deutschland, berichtet die Inhaberin.
Pilgerritual am Meer
Gut ausgeruht geht es am frühen Morgen bei Nieselregen durch das Stadttor. Plötzlich stoppt Rudger aus Schweden, weist auf eine kleine Kirche am Straßenrand: Ernest Hemingway sei hier gewesen, habe die Gegend in seinem berühmten Roman "Wem die Stunde schlägt" genannt! Der Weg macht hungrig, in einer kleinen Bar genießt man das mittägliche Omelett und Sidra, den süffigen galicischen Apfelwein. In Olveiroa findet sich eine kleine Privatpension, ihr Pluspunkt: ein großer Wäschetrockner. Der Wirt ist auf durchnässte Pilger eingestellt. Die letzte Etappe. Eine kurze Rast unterwegs an der Ermita de Nuestra Senora de las Nieves, der lange Name steht im umgekehrten Verhältnis zur Größe des Kirchleins. Von der Hochebene kommt das Meer in Sicht. Nach einigen Kilometern lädt der Strand Playa de Langosteira zum Bad ein, hier finden sich auch Jakobsmuscheln, ein willkommenes Souvenir. Im Fischerort Finisterre muss es dann schnell gehen: Herberge finden, Gepäck abstellen und die Küstenstraße zum Kap laufen, vorbei am malerischen Hafen und der Kirche Santa Maria das Areags, wo sich im Mittelalter ein Pilgerhospital befand. Auf der Landzunge, dem mystischen Ort der Kelten und Römer, reckt sich ein Leuchtturm. Hier den Sonnenuntergang zu erleben, ist ein "Muss" für jeden Pilger, meinen jedenfalls Tony aus England und John aus Irland und lassen die Weinflasche kreisen. Der Moment ist unvergesslich - die letzten Strahlen der Sonne brechen durch die Wolken, langsam scheint sie im Meer zu versinken.
Am nächsten Morgen folgt der letzte Teil des Rituals
Während früher die Pilger am Kap ihre Sachen verbrannten, ist das heute verboten. Die verkohlten Busch- und Baumreste ringsum lassen erkennen warum. Malerisch flattern die Pilgerklamotten an einem Mast, keine Brandgefahr - nichts als Romantik an einem der westlichsten Zipfel Europas. (dapd)