Essen. Die Trendwende ist da: Während die Nachfrage nach Wellness-Urlaub langsam sinkt, gewinnt der Gesundheitsurlaub wieder an Attraktivität. Nur “Kur“ nennt es kaum einer der Anbieter - das klingt wohl zu altmodisch. Das sind die aktuellen Trends im Gesundheitstourismus.

Mal heißt es Care Competence, mal Medical Health und ganz verschämt bisweilen auch schon wieder Kur: Was Jahrzehnte lang der Inbegriff des Gestrigen war, ist gerade wieder im Kommen: Gesundheitsurlaub. Modischen Wellness-Chichi wie Stirnguss und Schokoladenbad sehen Experten dagegen im Rückwärtsgang.

„Die Wellness-Welle war immer schon überbewertet.“ Da ist sich der Münchner Tourismusforscher Jürgen Kagelmann sicher. Eigentlich sei das ja ein bescheidenes Segment, das aktuell auf Normalmaß schrumpfe.

„Die Musik spielt anderswo"

Gesundheits-Managerin Nadine Galandt von Bayern Tourismus nennt Zahlen: Ganze sechs Prozent der Gäste zwischen Main und Alpen machen Wellnessurlaub. Aber da seien die Beauty-Urlauber bereits dabei. Trotzdem geht es vielen Spas gut: Denn 20 Prozent der Bayernurlauber buchen zu ihrem Wander- oder Aktivurlaub gern Wellnessanwendungen dazu.

Auch Claudia Wagner vom Spezialveranstalter Fit Reisen hat festgestellt: „Wellness gibt es noch, vor allem als Wochenendtrip unter Damen. Aber die Musik spielt anderswo.“ Wo? Das weiß Tourismusforscher Kagelmann: „Die Gesellschaft altert. Und auf den Jüngeren lastet ein hoher Druck.“ Da wundert es nicht, dass Gesundheit zum Megatrend wird: Alle wollen fitter, schöner, gesünder alt werden. Und sind dafür offenbar bereit, viel Geld auszugeben.

Die Praktiker freut das. Kurdirektor Thomas Jahn aus dem bayerischen Bad Aibling beobachtet bereits seit fünf Jahren „eine vorsichtig steigende Nachfrage“ nach der guten alten Moorbadekur. Allerdings gibt sich der moderne Selbstzahler von heute nicht mehr zufrieden mit Klinikstimmung und weiß gekalkten Wartezimmern: „Früher wurde der Patient eingewiesen. Heute muss das Ambiente stimmen, sonst bucht der Gast anderswo.“

Von wegen weiß gekalkt: Ambiente muss stimmen 

Zum Beispiel im Ausland. Spezialanbieter wie Fit-Reisen helfen ihm dabei. Aber auch dieses Geschäft hat sich gewandelt. Claudia Wagner: „Früher hatte ein Gast ab 60 Jahren aufwärts Indikationen, ist nach Abano gefahren und hat dort festgestellt, dass ihm der Fango gut tut. Heute suchen schon die Enddreißiger die Work-Life-Balance, haben Angst vor Burn-out und suchen deshalb Hotels mit schönen Thermen, gesundem Essen und einem Top-Arzt.“

Ist das denn nicht Wellness? Nein, protestiert Fit-Geschäftsführerin Wagner. „Die Gäste buchen ja medizinische Leistungen.“ Sie wollen Diabetes oder Bluthochdruck vermeiden. Und das Alter noch erleben, in dem man früher an die erste Kur dachte. Ähnliche Erfahrungen macht Georg Overs, Geschäftsführer von Tegernseer Tal Tourismus: Der Markt zeige, dass es in die medizinische Richtung geht. Allein in seiner Region baut gerade der Tiroler Hotelier Christian Harisch eine oberbayerische Dependance zu seinem Gesundheitszentrum Lanserhof. Das Luxushotel Bachmair Weissach integriert ein Ärztezentrum. Und in Bad Wiessee hat die Gemeinde das Jod-Schwefelbad gekauft, lässt es gerade von Star-Designer Matteo Thun zeitgemäß auffrischen.

Die „alte“ Kur hat keine Zukunft

Den Kurorten bleibt auch gar nichts anderes übrig. Sie haben jahrelang das Angebot ausgedünnt. Und jetzt übersteigt etwa in Bad Aibling die Nachfrage im Kurmittelhaus bereits wieder das Angebot. Nun will die Gemeinde an die neue Therme ein Moorbadehaus anbauen.

Denn eins scheint klar: Die „alte“ Kur hat keine Zukunft. Dafür gibt es rundum längst zu viele neue Ideen. Fit-Reisen-Chefin Wagner zum Beispiel empfiehlt finanzkräftigen Kunden ihren eigenen „Lifestyle Coach“: einen Berater, der den ganzen Menschen betrachtet und die richtigen Tipps gibt, damit der Gesundheitsurlaub auch einen Nachklang hat. In Bayern, meint Kurdirektor Jahn, hat das ein guter Badearzt zwar immer schon gemacht. Aber auch der muss nun seinen weißen Kittel ausziehen und die Wände dottergelb streichen.

Spezialisierung ist gefragt

Spezialisierung ist gefragt: In Scheidegg im Allgäu setzt man auf ein glutenfreies Dorf. Am Tegernsee werden Scheichs und Russen zur Schilddrüsen-OP gelockt. Für Oberstdorf werben Arthrose-Chirurgen und haben dazu gleich noch das örtliche Bergführerteam gewonnen, passende Arthrose-Wanderungen anzubieten.

Das alles empfiehlt heute nur noch selten der Hausarzt, bedauert Tegernsee-Manager Georg Overs. Trotzdem kommen die Gesundheitsurlauber in Scharen. Denn: „Die Gäste wissen längst alles, bevor sie zu uns kommen. Dr. Google und Schwester Wiki haben bereits informiert.“