Tripolis. Nordkorea, Irak oder Libyen: Claudia Roth lässt sich nicht von der politisch instabilen Lage ihrer Reiseziele abschrecken. Weil ihre Flüge raus aus Libyen gestrichen wurden, schlug sich die Grünen-Chefin nun im gepanzerten Auto nach Tunesien durch.

Claudia Roth mag Abenteuer. Für ihre Reisen sucht sich die Grünen-Chefin gerne die weniger bequemen Ziele aus: Nordkorea, Irak oder jetzt Libyen – wenige Monate nach dem Sturz des Regimes von Ex-Machthaber Muammar al Gaddafi.

Das Land ist alles andere als stabil. Das zeigte sich kurz nach Roths Ankunft. Bewaffnete Milizionäre stürmten am Montag den Flughafen in Tripolis und verursachten mit der Aktion über Tage Ärger im Flugverkehr – erst ging gar nichts, dann wenig.

Auf dem Landweg durchschlagen

Das bekommt am Mittwoch auch Roth zu spüren. Sie scheitert zum zweiten Mal mit dem Versuch, mit dem Flugzeug wegzukommen und beschließt kurzerhand, sich auf dem Landweg nach Tunesien durchzuschlagen. Ursprünglich wollte Roth schon am Dienstagabend von Tripolis aus zum zweiten Stopp ihrer Reise nach Tunesien weiterfliegen.

Dort hatte sie für Mittwoch Gespräche mit Vertretern der neuen Regierung geplant. Doch nach dem Milizen-Überfall auf den Flughafen geriet das Programm komplett durcheinander. Der Flug wurde gestrichen, eine neue Verbindung für den nächsten Morgen gebucht.

Ernüchterne Nachricht am Flughafen

Doch Mittwochfrüh kommt am Flughafen in Tripolis die ernüchternde Nachricht: Auch diesen Flug wird es nicht geben. Ein Teil von Roths Delegation bekommt noch Tickets für eine Verbindung über Bengasi nach Tunis – darunter die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler.

Die anderen gehen leer aus. Die Flüge sind hoffnungslos ausgebucht. Eine Option nach der anderen löst sich in Luft auf. Dazu Sprachprobleme am Ticketschalter, die Verkäufer dort nehmen kein Bargeld an. Die Delegation ist zerstreut, das Programm zerrinnt. Roths Stirn legt sich in immer tiefere Falten.

"Das ist mir alles zu blöd"

Ihre Mitarbeiter und die begleitenden Sicherheitsleute diskutieren eine neue Variante: Nach Frankfurt fliegen und von dort aus zurück nach Tunesien. Irgendwann platzt der Parteichefin der Kragen. "Wir fahren jetzt mit dem Auto", sagt sie, "das ist mir alles zu blöd".

Die Personenschützer schlucken. Diese Option hatten sie kategorisch ausgeschlossen - zu gefährlich. In Libyen haben sich die Sicherheitsstrukturen nach Gaddafis Sturz aufgelöst. Seitdem kümmern sich Milizen aus dem ganzen Land um Ordnung – oder sorgen erst für Chaos, wie zuletzt am Flughafen in Tripolis.

Roth lässt sich nicht beirren

Die deutschen Sicherheitsleute reden auf Roth ein, warnen vor Überfällen, schwierigen Checkpoints, unabsehbaren Sperrungen auf der Strecke und Reifenpannen. Doch Roth lässt sich nicht beirren. Ihre Landpartie ist beschlossene Sache. Während die Begleiter Fahrzeuge organisieren, scherzt sie. Sie ist wieder bester Laune. Auch Außenminister Guido Westerwelle habe sich schon nach ihr erkundigt, flötet sie nach einem Telefonat mit ihrem Büro.

Dann kommt ihr ein Gedicht von Bertolt Brecht in den Sinn: "Radwechsel". Das passe doch, sagt sie und lacht. Jemand fischt das Gedicht aus dem Internet, Roth setzt ihre Lesebrille und ein ernstes Gesicht auf, liest gewissenhaft vor und bricht dann wieder in Lachen aus. Bis die Wagen organisiert sind, vergehen noch zwei Stunden.

Um viertel nach elf fährt die Reisegruppe Roth los in Richtung tunesische Grenze – die Parteichefin in einem gepanzerten Auto, dazu ein paar Wagen mit Mitarbeitern, Journalisten, libyschem Protokoll und Polizei. Nach einer guten Stunde macht die Gruppe einen Tankstopp. Feigenkekse, Bananen und Traubensaft werden eingeladen. Dann geht es weiter.

Der Rest der Delegation verpasst den Anschluss in Bengasi

Immer wieder tauchen Checkpoints auf. Milizen mit Pick-Ups und aufgeschweißten Maschinengewehren kontrollieren die vorbeikommenden Autos. Die Kolonne winken sie durch. Gegen Mittag kommt die Nachricht, dass Lochbihler in Bengasi festhängt - Anschlussflug verpasst. Nach fast drei Stunden ist die Grenze erreicht. Roth schäkert mit den Grenzposten, lässt sich die nötigsten Vokabeln in den regionalen Dialekt Masir übersetzen - "netter Mann" zum Beispiel. Erinnerungsfotos werden geknipst.


Inzwischen sind Lochbihler und ihre Begleiter in Bengasi in einen Flieger nach Tunis gestiegen. Allmählich ordnet sich das Durcheinander. An der Grenze stauen sich die Autos in langen Schlangen. Geldwechsler laufen mit großen Bündeln an Scheinen durch die Wagenreihen.

Vorzugsbehandlung

Die deutsche Reisegruppe bekommt auch hier Vorzugsbehandlung und rauscht an den Wartenden vorbei. Auf der tunesischen Seite steigen Roth und ihre Begleiter schließlich in einen Hotelbus ins nahegelegene Zarzis um. Die Termine in Tunis hat Roth verpasst. Dafür ist sie ihrem Programm nun voraus: Am Donnerstag will sie ein Flüchtlingscamp an der Grenze zwischen Libyen und Tunesien besuchen. Daran ist sie nun bereits vorbeigefahren. Unfreiwillig. (dapd)