Offenbach/ Rom. Der Kapitän des havarierten Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia ging bewusst das Risiko ein, besonders nah am Küstenort Giglio entlang zu fahren. Damit wollte er seinem Oberkellner, der aus diesem Ort stammt, einen Gefallen tun. Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen fahrlässiger Tötung.
Der Kapitän des verunglückten Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" ist nach einem Zeitungsbericht extra nah an der Insel Giglio vorbeigefahren, um einem auf dem Schiff arbeitetenden Kellner einen Gefallen zu tun. Laut der Zeitung "Corriere della Sera" vom Montag ließ Kapitän Francesco Schettino kurz vor dem Unglück Oberkellner Antonello Tievoli auf die Kommandobrücke rufen. "Antonello, schau mal, wir sind ganz nahe an deinem Giglio", habe er zu dem Kellner gesagt, zitierte das Blatt Zeugen. Daraufhin habe Tievoli gewarnt: "Vorsicht, wir sind extrem nahe am Ufer." Unmittelbar darauf lief das Schiff auf Felsen auf.
Dem Bericht zufolge hatte Tievoli einige Tage vor dem Unfall frei bekommen sollen, musste aber wegen Personalproblemen an Bord bleiben. Schettino habe ihm deshalb eine Freude machen wollen, indem er wenigstens nahe an Tievolis Heimatinsel vorbeifuhr. Dem "Corriere" zufolge soll der Oberkellner von der Staatsanwaltschaft zu dem Vorfall vernommen werden.
Reederei spricht von "Fehleinschätzungen" des Kapitäns
Die italienische Staatsanwaltschaft hat den Kapitän mit scharfen Worten kritisiert. "Wir sind betroffen von der Skrupellosigkeit des waghalsigen Manövers", das zur Katastrophe geführt habe, sagte Staatsanwalt Francesco Verusio am Montag gegenüber Journalisten. Das Verhalten des Kapitäns Francesco Schettino sei "unentschuldbar". Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung, vorzeitigem Verlassen des Schiffs sowie Herbeiführung von Schiffbruch gegen Schettino.
Die Schwester des Kellners war offensichtlich über die Aktion informiert. Spiegel Online zitiert einen Facebook-Eintrag der Schwester: "In Kürze wird die "Concordia" der Costa Crociere sehr, sehr nah an uns vorbeifahren. Einen Riesengruß an meinen Bruder, der in Savona endlich von Bord gehen wird, um ein bisschen Urlaub zu machen."
Die Ermittler werfen der Crew zudem vor, verspätet mit der Evakuierung begonnen zu haben. Reedereichef Foschi betonte derweil, ihm lägen "zuverlässige interne Zeugenaussagen" vor, wonach der Kapitän "sehr lange" an Bord geblieben sei.
"Menschliches Versagen" als Ursache ausgemacht
Die Reederei Costa hatte Kapitän Schettino am Sonntagabend "Fehlentscheidungen" vorgeworfen und erklärt, die Route des Schiffs habe offenbar zu nah an der Küste vorbei geführt. Zudem habe sich die Einschätzung des Kapitäns für einen Notfall "nicht mit den von Costa vorgegebenen Standards" gedeckt.
Der Vorstandsvorsitzende der Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere, Pier Luigi Foschi, hat menschliches Versagen für das Unglück der "Costa Concordia" vor der toskanischen Küste verantwortlich gemacht. Bei der letzten Überprüfung des Schiffs im vergangenen Jahr habe es keine Beanstandungen gegeben, sagte Foschi am Montag.
Er distanziere sich vom Handeln seines Kapitäns Francesco Schettino, sagte der Chef der Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere, Pier Luigi Foschi, am Montag bei einer Pressekonferenz in Genua. Schettino habe seinen Kurs aus eigenem Willen und entgegen den schriftlich fixierten Regeln der Kreuzfahrtgesellschaft gewählt. Dabei handele es sich um ein von Costa weder gebilligtes noch vorgesehenes Manöver.
Rettungsarbeiten nach wetterbedingter Pause fortgesetzt
Nach einer Wetterbesserung haben Rettungskräfte die Suche nach möglichen weiteren Überlebenden und Opfern des Kreuzfahrtunglücks vor der Küste der Toskana wieder aufgenommen. Die Arbeiten seien fortgesetzt worden, nachdem die Stabilität der verunglückten "Costa Concordia" überprüft worden sei, sagte Feuerwehrsprecher Luca Cari am Montagnachmittag. Der Wind in der Region um die Insel Giglio und der Wellengang hätten nachgelassen.
Zuvor hatten die Taucher der Küstenwache das Schiff vorübergehend verlassen, nachdem es sich um neun Zentimeter bewegt hatte. Das Schiff habe sich wegen des Seegangs am Montag vertikal und horizontal um mehrere Zentimeter bewegt, sagte Feuerwehrsprecher Luca Cari. Die Suche nach den 16 noch vermissten Personen unter Wasser sei sofort unterbrochen worden.
Ehepaar aus Ibbenbüren im Münsterland vermisst
Das Auswärtige Amt rechnet insgesamt mit zwölf vermissten Deutschen. Darunter fünf Menschen aus Hessen sowie jeweils zwei Personen aus Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen und eine aus Bayern.
Ein Ehepaar aus dem Münsterland gilt nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" als vermisst. Der Sohn des Rentnerpaares meldete die 72 und 68 Jahre alten Senioren aus Ibbenbüren (Kreis Steinfurt) am Samstagabend als vermisst, wie ein Polizeisprecher am Montag mitteilte. Er bestätigte damit eine Meldung des WDR.
Die Polizei habe die Anzeige über das Landeskriminalamt und das Auswärtige Amt an die italienischen Behörden weitergegeben, sagte der Sprecher weiter. Noch in der Nacht zu Samstag gegen 0.30 Uhr habe der Sohn mit seinen Eltern telefoniert, danach habe es keinen weiteren Kontakt mehr gegeben, hieß es.
Insgesamt 16 Menschen vermisst
Des Weiteren liegen Vermisstenanzeigen für ein 71 und 72 Jahre altes Ehepaar aus Mühlheim (Hessen), zwei Schwestern im Alter von 70 und 78 Jahren aus Offenbach sowie einen 74-jährigen Mann aus Maintal vor. Den italienischen Behörden würden nun die erforderlichen Unterlagen zur Suche nach den Vermissten zur Verfügung gestellt, sagte der Sprecher.
Auch eine Frau aus Bayern wird vermisst. Das bestätigte ein Sprecher des Bayerischen Innenministeriums am Montag auf dapd-Anfrage. Die Frau stamme aus der Region Mittelfranken. Nähere Angaben machte der Sprecher nicht. Zuvor hatten mehrere Medien übereinstimmend berichtet, eine Frau aus Oberasbach im Landkreis Fürth werde nach der Katastrophe vermisst. Die Frau soll demnach mit einer Freundin auf dem Kreuzfahrtschiff unterwegs gewesen sein.
Zudem werden zwei Frauen aus Baden-Württemberg vermisst. Dabei handelt es sich nach Angaben der Polizei in Biberach und Esslingen um eine 66-Jährige aus dem Raum Laupheim sowie eine 71-Jährige aus dem Raum Nürtingen. Insgesamt werden noch 16 Menschen vermisst.
Bislang sechs Tote geborgen
Aus dem Wrack des havarierten Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" wurden bislang sechs Todesopfer geborgen. Das Schiff war am Freitag mit mehr als 4000 Menschen an Bord vor der Insel Giglio vor der Westküste Italiens auf einen Felsen aufgelaufen und später auf die Seite gekippt. Feuerwehrsprecher Luca Cari sagte am Montag einem Radiosender, bei dem sechsten Opfer handele es sich um einen männlichen Passagier. Er sei in einem Korridor in dem Teil des Schiffes entdeckt worden, der noch über Wasser liege. Das Opfer habe eine Schwimmweste getragen.
Luxusliner havariert
Die Polizeidienststellen in Laupheim, Nürtingen und Offenbach stehen mit dem Auswärtigen Amt in Kontakt. Es würden im Austausch mit den italienischen Behörden alle nötigen ermittlungstaktischen Schritte unternommen. Auch mit dem Auswärtigen Amt, der deutschen Botschaft in Rom und dem Bundeskriminalamt stehe die Polizei in Kontakt.
Costa Concordia könnte Naturkatastrophe auslösen
Die "Costa Concordia" war Freitagnacht vor der toskanischen Küste auf einen Felsen gelaufen und gekentert. An Bord waren rund 4.200 Menschen, darunter 566 Deutsche.
Italiens Umweltminister Corrado Clini warnte derweil vor einer Naturkatastrophe in Folge des Schiffsunglücks. Die riesigen Tanks der "Costa Concordia" seien mit schwerem Dieselkraftstoff gefüllt, sagte er der Zeitung "La Stampa". Sollte Öl ins Meer fließen, sei die einzigartige Küstenlandschaft der Toskana mit ihren Meerestieren und Vögeln gefährdet.(afp/dapd/rtr)