Giglio/Italien. . Nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia haben die Rettungskräfte am Sonntag eine weitere Person im Schiffsrumpf lebend aufgespürt. Es gebe Sprachkontakt, teilte die italienische Küstenwache mit. Zuvor konnten zwei Südkoreaner aus dem Schiff gerettet werden. Noch 17 Vermisste.
Mehr als 36 Stunden nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" vor der italienischen Insel Giglio in der Toscana ist ein weiterer Schiffbrüchiger aus dem Wrack gerettet worden. Wie die Behörden mitteilten, gelang es am späten Sonntagmorgen, das Besatzungsmitglied Marrico Giampietroni zu befreien. Ein Hubschrauber kreiste über dem auf der Seite liegenden Luxusliner, um den Schiffbrüchigen aufzunehmen und an Land zu fliegen.
Spezialeinheiten mit Tauchern versuchten, jede Kabine des Kreuzfahrtriesen zu überprüfen, mit dem am Freitag mehr als 3000 Touristen und mehr als eintausend Besatzungsmitglieder von Civitavecchia bei Rom zu einer einwöchigen Reise durch das westliche Mittelmeer aufgebrochen waren. Am Freitagabend um 21.30 Uhr lief die "Costa Concordia" jedoch auf den vor Ort gut bekannten Felsen "Le Scole" auf, der den Schiffsrumpf aufschlitzte und schon nach 45 Minuten die Evakuierung erforderlich machte.
Kapitän in Haft - er soll die Evakuierung nicht abgewartet haben
Nach ersten Ermittlungen zur Havarie des Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" hat die italienische Staatsanwaltschaft dem Kapitän Francesco Schettino massives Fehlverhalten vorgeworfen. Schettino habe das Schiff lange vor dem Abschluss der großen Evakuierungsaktion verlassen, sagte Staatsanwalt Francesco Verusio am Sonntag im Sender SkyTG24. Befragt zu möglichen Fehlern der Besatzung bei der Rettung der Passagiere sagte Verusio, es sei vor allem die Schiffsleitung, die nicht funktioniert habe. Außer Schettino wurde auch der erste Offizier Ciro Ambrosio vorerst festgenommen.
Als sich der Luxusliner am Freitagabend wegen eindringender Wassermassen zur Seite neigte, brach unter den Passagieren Panik aus. An Bord waren Touristen von 60 verschiedenen Nationalitäten, auch zahlreiche Senioren und 52 Kinder unter sechs Jahren. Zwei Touristen aus Frankreich und ein peruanisches Besatzungsmitglied kamen in der Panik ums Leben, mindestens einhundert Menschen sprangen ins eiskalte Wasser.
Es war offenkundig, dass der Kapitän die Evakuierung nicht abwartete. Nach einigen Berichten war Schettino schon fünf Stunden vorher an Land. Der Kapitän wird sich voraussichtlich wegen fahrlässiger Tötung und Verlassen seines Schiffes verantworten müssen. Der Kurs des Luxusliners sei eindeutig "nicht richtig" gewesen, sagte der Staatsanwalt. Der Kapitän habe sich selbst auf der Brücke befunden und sei daher voll verantwortlich für die Navigation.
Stimmen aus dem Innern des havarierten Schiffs
Rettungskräfte berichteten unterdessen, sie hätten erneut Stimmen aus dem Innern des Schiffs gehört, das halb voll mit Wasser auf der Seite vor der Küste der Insel Giglio liegt. Es werden noch immer 39 Menschen vermisst. Am Sonntagmorgen wurden zwei Südkoreaner wohlbehalten aus ihrer Kabine befreit. Mehrere Besatzungsmitglieder halfen Tauchern bei der Suche nach weiteren in dem Schiff eingeschlossenen Passagieren.
Rettungskräfte haben an Bord des havarierten Kreuzfahrtschiffs vor der italienischen Küste einen dritten Überlebenden entdeckt. Die Retter hätten mit dem eingeschlossenen Mann gesprochen, ihn aber noch nicht geborgen, sagte Feuerwehrsprecher Luca Cari am Sonntag. Der Mann sei Italiener und gehöre zum Kabinenpersonal der "Costa Concordia". Möglicherweise habe er ein gebrochenes Bein, sagte Cari.
Bereits am späten Samstagabend wurde ein südkoreanisches Paar aus dem auf der Seite liegenden Schiff gerettet. Am späten Samstagabend hätten Feuerwehrleute, die das Schiff absuchten, Rufe gehört, sagte Marcello Fertitta von der Küstenwache. "Eine von einer männlichen Stimme, die andere eine weibliche Stimme". Das südkoreanische Paar auf Hochzeitsreise war in dem Teil des Schiffs eingeschlossen, der noch oberhalb der Wasserlinie lag. Sie seien in guter Verfassung befreit worden, sagte Feuerwehrsprecher Vincenzo Bennardo nach ihrer Rettung.
Die deutsche Costa-Vertretung teilte am Sonntag mit, dass alle 566 deutschen Reisenden von dem Schiff gerettet wurden. Sie seien entweder bereits nach Deutschland zurückgekehrt oder befänden sich auf der Rückreise, sagte Costa-Sprecher Werner Claasen. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, zehn deutsche Verletzte seien nach dem Unglück vorübergehend in italienischen Krankenhäusern behandelt worden. Die deutschen Passagiere zählten überwiegend zur Altersgruppe der 45- bis 65-Jährigen.
Nach bisherigen Kenntnisstand kamen drei Menschen ums Leben, nachdem das Schiff am Freitagabend vor der toskanischen Insel Giglio auf einen Felsen gelaufen, in Schieflage geraten und schließlich auf die Seite gekippt war. Der Verbleib von etwa 40 Menschen war noch ungeklärt.
Szenen wie auf der "Titanic"
Szenen wie auf der "Titanic" sollen sich nach der Havarie auf der "Costa Concordia" abgespielt haben. Viele der über 3.000 Passagiere beklagten, dass die Besatzung ihnen keine ausreichenden Anweisungen zur Evakuierung des Schiffs gegeben habe. Außerdem werfen sie der Crew vor, die Aussetzung der Rettungsboote so lange verzögert zu haben, bis sie wegen der Schräglage des Schiffs nicht mehr ausgebracht werden konnten. Mehrere Passagiere berichteten, Besatzungsmitglieder hätten den Passagieren 45 Minuten lang erzählt, der Lichtausfall sei durch ein einfaches technisches Problem verursacht worden.
Weiter berichteten die Passagiere, dass seit dem Beginn der Kreuzfahrt am 7. Januar bis zu dem Unglück keine Evakuierungsübung abgehalten worden sei. Erst für den Samstag war eine solche Übung geplant gewesen.
Der Kapitän der "Costa Concordia" wurde zum Verhör festgenommen, berichtete das öffentlich-rechtliche italienische Fernsehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt demnach wegen fahrlässiger Tötung, Verursachung eines Schiffbruchs und wegen des Verlassens des Schiffs vor anderen gegen ihn. Der italienischen Nachrichtenagentur ANSA sagte Staatsanwalt Francesco Verusio, der Kapitän habe eine Route gewählt, die zu nah an der Küste verlaufen sei.
Erleichterung in Oer-Erkenschwick: Sohn und Schwiegertochter sind wohlauf
Frankreich bestätigte unterdessen, dass zwei der Toten französische Staatsbürger waren. Ein peruanischer Diplomat identifizierte das dritte Todesopfer als ein 49-jähriges, peruanisches Crewmitglied. Mehr als 30 Personen wurden verletzt, zwei davon schwer.
Auch in Deutschland sind Angehörige von Reisenden in Unruhe. Waltraud Honvehlmann aus Oer-Erkenschwick fiel am Sonntag ein Stein vom Herzen. Sie hatte ihren Sohn Peter (39) in Italien am Telefon erreicht. Der Gastronom hatte von seinen Schwiegereltern zu Weihnachten die Kreuzfahrt auf der "Costa Concordia" geschenkt bekommen. Nun gehörte er mit seiner Frau Teigsmar zu den ersten deutschen Passagieren, die sich mit dem Rettungsboot von dem gekenterten Boot in Sicherheit bringen konnten.
"Als es krachte ist Peter mit seiner Frau schnell in die Kabine, hat sich ein paar Sachen geschnappt und ist schnell zum Oberdeck gelaufen. Da hat er sich dann bis zum Rettungsboot durchgefragt", schildert Waltraud Honvehlmann. Sie hat den Eindruck, dass ihr Junge die Katastrophe gut verkraftet hat. "Vielleicht hat ja auch geholfen, dass meine Schwiegertochter Teigsmar von der Ostsee kommt. Da hat sie Erfahrung mit dem Meer", überlegt Frau Honvehlmann. Am Samstagmorgen um 9 Uhr war sie von ihrer Schwester alarmiert worden. Dann folgten bange Stunden bis zum ersten Telefongespräch mit ihrem Peter. Der saß am Sonntagmittag in einem Hotel in der Nähe von Rom fest und wartete auf den Transfer zum Flughafen. "Hoffentlich kann ich ihn heute noch in die Arme schließen", sagte Mutter Waltraud aus Oer-Erkenschwick. "Und dann feiern wir seinen zweiten Geburtstag."
Rufnummer für Informationen eingerichtet
Die 290 Meter lange "Costa Concordia" befand sich nach Angaben der Reederei Costa Cruises auf einer achttägigen Kreuzfahrt vom italienischen Civitavecchia über Savona, Marseille, Barcelona, Palma de Mallorca, nach Cagliari und Palermo. Für Informationen hat das Kreuzfahrtunternehmen Costa eine Hotline mit der Rufnummer 040/570121314 eingerichtet. (dapd/afp/WE)
Luxusliner havariert