Chiemsee. . Die Fischerei hat große Tradition am Bayerischen Meer. Thomas Lex, dessen Familie bereits seit sieben Generationen in der Branche tätig ist, erzählt wie sich das Leben der Fischer am Chiemsee in den letzten Jahrzehnten verändert hat.
Der See speit an diesem Morgen Gischt. Der Wind ist herabgestiegen von der Kampenwand. Die Wellen tragen weiße Schaumkronen, die Tropfen fliegen waagerecht durch die Luft. Wie ein angeschlagener Boxer taumelt das Boot zwischen den Wellen hin und her. Thomas Lex gibt dem 30-PS-Außenborder Feuer.
Links, rechts, vorne, hinten: überall Gischt. Leise ächzen die Wände des kleinen Aluminiumboots unter dem Druck der Wellen. Dann drosselt Lex die Geschwindigkeit. Jetzt, da der Motor keine Richtung mehr vorgibt, taumelt das Boot wie eine Nussschale im Wasser. Mit gekonnten Handgriffen legt der Fischer sein Netz aus. Es ist das dritte an diesem Morgen. Wir waren um sechs Uhr früh auf der Fraueninsel gestartet.
Thomas Lex stand mit seinen hüfthohen Fischerhosen an der kleinen Mole vor seinem Haus wie ein Michelin-Männchen. „Heute legen wir nur Netze aus“, hatte er gesagt. „Wir haben uns hier am See darauf geeinigt, nur fünf Tage in der Woche zu fangen.“ Es ist ein kühler Frühlingstag. Ein karges Licht lässt den Chiemsee erscheinen wie im Märchen. Die Wolken hängen über den Bergen wie Zuckerwatte, der Wind treibt das Wasser vor sich her. Lex mag dieses Wetter. „Der See sieht anders aus.“
Noch 16 Familien leben vom Fischfang
Die Fischerei hat große Tradition am Bayerischen Meer. Seit mehr als 400 Jahren leben Fischer auf der Fraueninsel. Die Familie Lex betreibt ihr Geschäft seit nunmehr sieben Generationen, genauer: seit 1857. Heute ist sie eine von 16 Familien rund um den See, die noch vom Fischfang leben. Der See führt so viele Fische wie schon lange nicht mehr. 28 Fischarten sind am Chiemsee heimisch, darunter Renke, Barsch, Brachse, Hecht, Aal, Wels und Zander. Die Fischer selbst sind es, die den Bestand auf hohem Niveau halten. Jedes Jahr setzen sie Renken im Wert von 300 000 Euro aus einer Brutanlage in den See ein, so bleibt die Zahl gewahrt.
Das Leben der Fischer hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Es ist technischer geworden. Motorboote, wasserabweisende Kleidung und robuste Kunstfasernetze haben die Arbeit vereinfacht. Die verbesserten Vermarktungsmöglichkeiten haben den Beruf freier gemacht. Bis vor 130 Jahren waren die Fischer des Chiemsees verpflichtet, ihren Fang an königliche Fischkäufer abzugeben. Das Fischrecht, das bis zur Säkularisierung 1803 der Kirche gehörte, konnten sie sich erst ab 1877 leisten.
"Der Verkauf an den Großhandel lohnt sich längst nicht mehr“
Heute zahlt die Fischereigenossenschaft dafür jedes Jahr 55 000 Euro an den bayerischen Staat. Und die Fischer können ihren Fang verkaufen an wen sie wollen. „Meist sind es die Gastronomen der Region, denn der Verkauf an den Großhandel lohnt sich längst nicht mehr“, sagt Thomas Lex, der zugleich Vorsitzender der Fischereigemeinschaft ist. „Die in München zahlen 6,50 Euro pro Kilo, und man muss den Fisch auch noch hinfahren. Hier verkaufe ich eine Renke für 22 Euro das Kilo.“
Auch der Tourismus spielt eine zunehmende Rolle. Nach der Wende boomte der innerdeutsche Tourismus. „Jetzt hat sich das Geschäft normalisiert, aber es reicht noch gut zum Leben.“ Seit vergangenem Jahr nehmen einige von Lex’ Kollegen auch Touristen mit hinaus zum Fang. „Das war eine Idee des Kur- und Tourismusbüros.“ Und Lex ist nicht unzufrieden darüber. „Der Tourismus ist gut für uns“, sagt er.
Die Fischer würden die Kormorane abschießen
Sein viertes und letztes Netz legt Lex an diesem Morgen an einer besonderen Stelle aus. „Am Schnittpunkt der gedachten Linien vom Kirchturm von Übersee, dem Dampfersteg der Herreninsel und der linken Ecke der Fraueninsel“, sagt Lex. „Hier liegt ein Berg unter dem Wasser. Da sammeln sich die Fische.“ Ob das stimmt, werde ich nicht mehr nachvollziehen können, denn einholen wird Lex seine Netze erst am nächsten Tag.
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Der Bestand für die nächsten Jahre ist dank der Brutanlage gesichert. Probleme gibt es dennoch. Ärger machen zum Beispiel die Kormorane. Zwischen den Fischern und den Vogelschützern ist ein heftiger Streit entbrannt.
Kormorane sind Bedrohung
Während die Vogelschützer die Tiere schützen wollen, würden die Fischer sie am liebsten abschießen. „Früher gab es keine Kormorane am Chiemsee. Heute gibt es so viele, dass sie die Fischerei bedrohen. Wir haben nichts gegen die Kormorane, wir wollen nur ein Gleichgewicht“, sagt der Fischer.
Am Chiemsee hat sich vieles verändert. „Viele zieht es in die Städte und in andere Berufe“, weiß Thomas Lex. Seinen Sohn allerdings nicht. Der jetzt 18-Jährige geht bei seinem Vater in die Lehre. Derzeit ist auch er auf der Fischereischule in Starnberg.
Um neun Uhr morgens hat Lex alle Netze ausgelegt. Noch einmal heizt er den Motor an, steht schweigend am Ruder und sucht den schnellsten Weg zurück zur Fraueninsel. Die Gischt spritzt, in der Luft liegt jetzt der Duft von Regen. Die Wolken über der Kampenwand dunkeln schon, dann schlagen die ersten Tropfen ein. Thomas Lex sagt trotzdem: „Fischer sein, das ist ein wunderbarer Beruf.“