Berlin. . Beim Projekt “Wir sind Berlin“ lernen junge Berliner im Alter von 14 bis 20 Jahren, Altersgenossen eine Führung durch ihre Heimatstadt zu geben. Die Jugendlichen finden eine eigene Sprache, um Geschichten zu den Orten zu erzählen.
In einem Halbkreis stehen die Zuhörer um Martha herum und lauschen. "Habt ihr noch Fragen?", sagt sie und blickt in die Runde. Es gibt keine Fragen zu ihrem Vortrag über einen Bioladen im Wrangelkiez, dafür positive Kritik. "Sie hat laut genug gesprochen. Das war gut", findet Leo. "Dadurch, dass sie uns am Anfang einbezogen hat, war es interessanter", ergänzt Mathilde.
Anderen Menschen etwas über die Stadt Berlin zu erzählen, macht Martha Vlasák Spaß. Deshalb besucht die 16-Jährige in den Osterferien einen Kurs der Unternehmergesellschaft "Wir sind Berlin", in dem Jugendliche zu Stadtführern ausgebildet werden.
Neun Teilnehmer zwischen 14 und 20 Jahren sind in diesem Jahr beim Kurs dabei. Auf dem Programm stehen praktische Übungen wie das Erforschen und Vorstellen einzelner Orte im Wrangelkiez und Tipps zum richtigen Atmen und Sprechen. Aber auch theoretische Einheiten gehören zu der mehrtägigen Ausbildung, etwa über die historische Entwicklung Berlins.
Eigene Sprache
"Die Infos zur Geschichte waren bisher am spannendsten", erzählt Martha. Nach der Schule möchte die 16-Jährige vielleicht das Fach studieren. Deshalb sei es besonders praktisch für sie, nach der abschließenden Prüfung als Stadtführerin zu jobben und so anderen Jugendlichen und Kindern ihre Stadt zeigen zu können.
Dass junge Berliner ihre Altersgefährten durch die Stadt geleiten, mache die Führungen von "Wir sind Berlin" so besonders, erklärt Geschäftsführerin Bettina Bluhm: "Die Jugendlichen finden eine eigene Sprache, um Geschichten zu den Orten zu erzählen. Dadurch werden die Touren für die jungen Zuhörer sehr authentisch."
Zwölf Touren zur Auswahl
Vor zwei Jahren ist "Wir sind Berlin" aus einem Projekt des Fortbildungsinstituts für pädagogische Praxis hervorgegangen. 15 Mädchen und Jungen bieten derzeit insgesamt zwölf Touren an. Auf Führungen mit Titeln wie "Kreuzberg 61 – Stadtteil mit Charme und Flair" oder "MITTEndrin in Berlin – von schickimicki bis alternativ" gibt es Orte zu sehen, die nicht in jedem Reiseführer zu finden sind. Gebucht werden die Touren von Berliner Schulen, Vereinen und immer häufiger auch von Gruppen aus dem Ausland.
Wenn Martha mit der Ausbildung fertig ist, hätte sie Lust, eine solch untypische Tour selbst zu erarbeiten. "Vielleicht könnte ich durch Prenzlauer Berg führen, denn da bin ich geboren", sagt sie. Eine Idee, die der professionelle Stadtführer Jodock begrüßen würde, denn die persönliche Note einer Stadttour findet er wichtig. "Die eigenen Erfahrungen mit der Stadt machen eine Tour ja erst individuell und interessant", meint er.
Während der mehrtägigen Ausbildung leitet Jodock Workshops, in denen die Teilnehmer lernen, wie sie eine Gruppe leiten, sich präzise ausdrücken oder mit einem Lächeln Spaß an der Sache vermitteln können.
Stadt ständig neu entdecken
Seit 18 Jahren ist Jodock hauptberuflich als Stadtführer in Berlin unterwegs. "Die Stadt ist eine ständige Herausforderung, denn sie sieht jeden Tag ein bisschen anders aus", erklärt er. Als Stadtführer müsse er natürlich über alle Veränderungen Bescheid wissen.
Um auf dem neuesten Stand zu sein, liest Jodock unter anderem verschiedene Tageszeitungen, durchforstet die neuesten Musikvideos auf Viva und MTV nach Berliner Schauplätzen und begibt sich auch selbst immer wieder auf Erkundungstouren.
Martha hat ihre erste Erkundungstour nun hinter sich, und ihre erste kleine Stadtführung im Kurs ebenfalls. Als die anderen Teilnehmer applaudieren, lässt sie erleichtert die Zettel mit den Notizen sinken. "In einer Theatergruppe habe ich schon einmal eine Stadtführerin gespielt", sagt sie: "Aber in echt fühlt es sich auch ganz gut an." (dapd)