Lola rennt in Charlottenburg, kurz darauf schon „Unter den Linden“, sie sprintet über die Oberbaumbrücke in Kreuzberg, dann wetzt der Rotschopf durch Berlins Tiergarten. Alles in 20 Minuten, so lange hat Lola alias Franka Potente im Film Zeit, 100 000 Mark für ihren Freund Manni zu besorgen, die dieser seinem Hehler schuldet. „Unmöglich, das in der Zeit zu schaffen“, sagt Arne Krasting, der Erfinder und Leiter der Videobustour, während über ihm auf dem Monitor eine Computeranimation den Kurs von „Lola rennt“ in einem Berliner Stadtplan nachzeichnet.
Derweil hält der Videobus in Berlins Prachtallee „Unter den Linden“, direkt gegenüber der Humboldt-Uni. Kein „Hotspot“ auf der touristischen Landkarte, eher ein „Notspot“. Nicht so für Krasting. Hier ließ Regisseur Tom Tykwer Lola 1998 eine Bank überfallen, derselbe Straßenabschnitt diente Julia Jentsch als Effi Briest zum Lustwandeln inmitten von Kutschen und Linden im späten 19. Jahrhundert.
Ein paar Meter weiter, am Deutschen Dom, schockte Regisseur Dani Levy die Berliner im Jahre 2007 mit einem Meer von Hakenkreuzbannern und einer riesigen Nazi-Kundgebung: Helge Schneider hielt hier als Adolf Hitler in der Komödie „Mein Führer“ eine Rede. Und schon 76 Jahre zuvor spielte hier eine der ersten, noch in Schwarz-Weiß gedrehten Verfolgungsjagden des deutschen Films: Emil und seine Detektive sausen dem Ganoven Grundeis hinterher.
Lola, Emil oder Adolf – die Hauptrolle hat immer die Hauptstadt in Krastings rollendem Kino. Der Filmhistoriker kommt dabei in Fahrt, überdreht aber nicht. Kein Fakten-Overkill, keine Endlos-Schleife der Promi-Anekdoten prägen diese gut zweistündige Tour, sondern gut erzählte Geschichten und mit Bedacht ausgewählte Filme. Wie etwa „Die Hostess“.
Wo der 68er-Look auf uniformierte Nazis trifft
Ein weitgehend unbekannter DDR-Streifen über eine „Stadtbilderklärerin“. So hießen die Stadtführer auf „ostdeutsch“. Kaum ein anderer Film zeigt das Ost-Berlin der 70er Jahre rund um den Alexanderplatz so authentisch – und amerikanische Touristen so klischeehaft: kaugummikauend und ein wenig begriffsstutzig.
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30 Jahre Zeitsprung: Kommunistin Christiane Kerner tritt auf die Karl-Marx-Allee hinaus, erst kurz zuvor aus langem Koma erwacht und daher noch nicht über die längst gefallene Mauer informiert. Frau Kerner wundert sich über West-Autos, IKEA-Werbung und vor allem über eine Lenin-Statue, die scheinbar winkend am Hubschrauber-Haken über ihrem Kopf vorbeifliegt. Die namensgebende Schlüsselszene aus „Goodbye Lenin“. Arne Krasting: „Wegen Platzregens am Drehtag konnte der Hubschrauber nicht die Straße entlang fliegen. Darum wurde alles später am Computer in die Szene reinmontiert.“
Überhaupt die Pannen: In den Berlin-Filmen sieht man sie nicht, aber Arne Krasting deckt sie mit viel Spaß und Augenzwinkern auf, etwa in der Wedekindstraße. Hier, etwas abseits des Alex, stehen noch rechts und links Häuserzeilen in verwittertem DDR-Grau. Ideale Kulisse für den preisgekrönten Stasi-Streifen „Das Leben der Anderen“. Nur die Graffiti auf den Fassaden störten beim Dreh. Also mussten Helfer aus der Filmcrew sie mit grauer Farbe überstreichen, täglich neu, denn immer wieder kamen die Graffiti-Guerilleros. Die typische Berliner Straße, zu sehen in „Goodbye Lenin“, „Sonnenallee“, „Inglorious Bastards“ oder „Herr Lehmann“ gibt es gar nicht in Berlin, sondern nur in den Babelsberger Filmstudios.
Dafür existiert aber die Lieblingskneipe von Herrn Lehmann, das „Weltrestaurant Markthalle“, wo es nicht nur Fotos vom Dreh sowie den im Film berühmt gewordenen Schweinebraten gibt, sondern auch prima Apfelkuchen.
Keineswegs das Dessert der Tour, dieses liefert Arne Krasting: Denn Berlin spielt sich oft gar nicht selbst, sondern doubelt andere europäische Metropolen. Da mimt der Gendarmenmarkt mit 700 Komparsen die City of London im Streifen „In 80 Tagen um die Welt“. Auch in Moskau hat sich Berlin schon erfolgreich verwandelt, für „Die Bourne Verschwörung“: Matt Damon überlebt darin eine halsbrecherische Verfolgungsjagd in einem Tunnel. Dieser liegt allerdings nicht unter dem Gorki Park, sondern zu Füßen des Berliner Tiergartens.
Etwa 30 Mal pro Tag fällt in Berlin irgendwo eine Filmklappe, erzählt Arne Krasting. Dabei liegen die Drehorte oft nah beieinander – bisweilen mit überraschenden Folgen: Im Restaurant Borchers Unter den Linden wollten sich Darsteller aus dem „Baader-Meinhof-Komplex“ in zotteligem 68er-Look stärken und prallten auf zackig gescheitelte, uniformierte Nazis. Kurze Aufregung, dann war klar: Die Soldaten kamen vom Set des Stauffenberg-Epos „Operation Walküre“. Eine historische Begegnung, wie sie wohl nur in der Filmhauptstadt Berlin möglich ist.