Ruhrgebiet. . Dreck, Enge, Lärm: Der Flüchtlingsrat NRW kritisiert zum Teil desolate Unterkünfte für Flüchtlinge. So schlimm, dass Bewohner dort ihre Kinder nicht baden wollen. Lünen dagegen folgt dem „Leverkusener Modell“ und vermittelt Privatwohnungen. Das Ziel: eine andere Willkommenskultur.
Marven war vier, als sein Vater nicht von der Arbeit zurückkehrte. Später fand man ihn, geköpft. Zwei Sätze nur, mit denen Marven zu erklären versucht, warum er nun hier ist. In Deutschland. Warum er nicht zurück möchte in den Irak. Marven, der 14-jährige Sohn einer katholischen Gemeindereferentin, der schon so reif und abgeklärt wirkt. „Die Moslems töten die Christen“, sagt er, und es klingt so nüchtern wie die beiden Sätze über den Vater.
Es ist ein Glück für sie, in Lünen gestrandet zu sein. Woanders hätten sie vielleicht nicht so schnell diese Chance bekommen. Vor sieben Tagen zog Familie Matti in eine Wohnung. Drei Zimmer, Küche, Bad, 79 Quadratmeter in einem backsteinernen Mehrfamilienhaus im Lüner Süden. Willkommen in der Normalität! Noch ist die Küche so gut wie leer, liegen Matratzen auf dem Fußboden für Marven und seinen jüngeren Bruder Yosef. Doch der Anfang ist gemacht.
Denn im Frühjahr beschloss der Rat der Stadt Lünen einstimmig, künftig anders mit Flüchtlingen umzugehen. Sie sollten so schnell wie möglich, nach sechs bis 24 Monaten, die Sammelunterkünfte verlassen können und in eigene Wohungen umziehen. „Wir erhoffen uns eine andere Willkommenskultur“, sagt Günter Klencz, der Erste Beigeordnete der Stadt. Man wolle die Flüchtlinge schneller integrieren und die Getto-Bildung in einzelnen Stadtteilen verhindern. Nicht zuletzt sei die Unterbringung in Wohnungen deutlich günstiger als in Sammelunterkünften.
Leverkusen entwickelte die neue Praxis vor zwölf Jahren
Lünen ahmt nach, was auch in Münster und Köln längst praktiziert wird, was vor zwölf Jahren als „Leverkusener Modell“ entwickelt wurde. Die schnelle Eingliederung jener Menschen, die gekommen sind, um zu bleiben. „Wir haben in unseren Sammelunterkünften zum Teil Menschen, die schon zwölf Jahre dort leben, deren Status ungeklärt ist, die aber nicht mehr in ihre Heimat zurückgeschickt werden können“, sagt Klencz.
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So ist es in Lünen, so ist es auch in anderen Städten Nordrhein-Westfalens. Kamen 2007 noch 5140 Asylbewerber nach NRW, stieg die Zahl bis 2013 auf 23 719. Und allein bis Juli diesen Jahres sind es schon 18 000. Menschen, die untergebracht werden müssen. Eine Belastung, unter der die Kommunen ächzen. Duisburg, in seiner Not, wollte übergangsweise Zelte aufstellen und erntete bundesweit Empörung.
„Die Kommunen haben viel zu spät auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagiert“, sagt Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW, und: „Sie müssen sich der humanitären Verantwortung stellen!“ Monatelang untersuchte der Flüchtlingsrat die Situation von Asylbewerbern in den diversen Unterkünften des Landes und stellte zum Teil desolate Zustände fest.
65 Menschen teilen sich zwei Toiletten
Da gibt es Unterkünfte, in denen sich bis zu sechs Menschen einen Schlafraum teilen, andere, in denen 20 Flüchtlinge ein Bad, eine Küche gemeinsam benutzen. In Schwalmtal etwa stehen 65 Menchen zwei Toiletten zur Verfügung, so der Flüchtlingsrat. Nicht selten klagten Bewohner über Schimmel oder Ungeziefer.
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Hattingen, Werksstraße 40. Ein ehemaliges Verwaltungsgebäude der Henrichshütte, vis à vis des längst aufgehübschten und in ein Museum verwandelten Stahlwerks. Hier leben zur Zeit rund 100 Menschen aus 25 Nationen. Ein Ort, der alles andere als einladend ist. Dreck, wohin man sieht. Über Jahrzehnte zerschlissenes Linoleum auf dem endlosen Flur, die Wände halbhoch grob nachgestrichen. Die Gemeinschaftsküchen nicht einmal auf Campingplatz-Niveau, die drei alten Herde darin verkrustet von Übergekochtem. Männer und Frauen teilen sich die engen, in Reihen stehenden Duschkabinen. Es heißt, die alleinstehenden Frauen mieden sie, wo sie nur könnten. Obwohl die Duschen abschließbar sind.
Ihr Baby baden sie nicht in der Unterkunft, sondern bei Freunden
Am Ende des Flures wohnen Omar Rasko und Fatma Makdat. Zwei kleine Räume, möbliert mit Gebrauchtem. Das junge Paar stammt aus Syrien, verließ die Heimat, weil dort „alles bombardiert wurde. Es gab keine Möglichkeit zu bleiben!“ Und so glücklich sie auch sind über die deutschen Gesetze, die es ihnen erlauben, hier Rettung zu finden: „Die Wohnverhältnisse sind katastrophal!“, sagt Fatma. Wenn die 24-Jährige ihr gerade einmal zwei Wochen altes Baby baden will, geht sie zu syrischen Freunden, die außerhalb wohnen. Zu unhygienisch sei es im Heim, oft gebe es kein warmes Wasser.
So leben Flüchtlinge in Hattingen
Die Stadt Hattingen indes sieht das anders. Man sei „sehr bemüht, die Unterkunft in Ordnung zu halten“, habe sogar eine Reinigungsfirma beauftragt, die täglich Küchen, Duschen und Toiletten wische. „Hattingen ist ein Negativ-Beispiel im Ruhrgebiet, aber nicht das einzige!“, sagt Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat. Und Hattingen wird noch viel mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen.