Dortmund/Münster. . Starkregen überschwemmt in diesem Juli immer wieder Orte in NRW. Jüngst erwischte es Münster und Umgebung. Meteorologen rechnen damit, dass diese Wetterlagen in Zukunft zunehmen. Zumindest gibt es manche Ecken, die immer wieder absaufen.
Wäre alles normal gelaufen, Familie Gräber wäre längst im kroatischen Urlaub. So aber ist sie weiter in Dortmund-Marten gebunden: Weil noch immer nicht aller Unrat nach den Sturzbächen abtransportiert ist. Weil sie im feuchten Keller, den sie doch erst vor zwei Monaten saniert und verputzt hatten, wieder alles abklopfen müssen. 2008 waren Teile der Diedrichstraße erstmals abgesoffen, „ich dachte, das war einmalig“, erinnert sich Zoran Gräber.
Aber es war nicht einmalig. In Kellern und Erdgeschosswohnungen in Marten rauschen schon wieder Trocknungsgeräte, ganz wie große Föhns – die nächste und vorerst letzte Überschwemmung ist 16 Tage her. In Marten. Denn nun: „Schon wieder.“ „Erneut.“ „Abermals.“ Mit solchen Worten beginnen die Nachrichten am Montagabend und in der Nacht zum Dienstag, schon wieder Starkregen, Sturm, Blitze also, die keiner mehr zählt. Seit Wochen bereits steckt das Land wiederholt in der Wetter-Waschküche; sieben Wochen liegt es zurück, dass Tiefdruckgebiet „Ela“ vor allem im Westen von NRW die Bäume umriss, zwei Wochen, dass die Wolkenwirbel um „Nike“ Unwetter vor allem in den Osten schickten.
Teile der A40 unbefahrbar, S-Bahn-Linie 1 gestört
Auch am Montag erwischt es wieder das Ruhrgebiet, nachdem Blitze an Rhein und Niederrhein drei Dachstühle in Brand gesetzt haben: Im Bochumer Süden reichen wenige Minuten starken Regens, um Straßen und Keller unter Wasser zu setzen, zwischen Essen und Mülheim sind Teile der A 40 unbefahrbar, in Richtung Bochum stoppen umgestürzte Bäume die S-Bahnlinie 1. Am schlimmsten leidet aber diesmal Münster.
Dort fließt das Wasser durch die Straßen, als seien sie Flüsse. Ein 76-Jähriger ertrinkt in seinem Keller, eine Frau wird lebensgefährlich verletzt, als ein Baum in ihre Windschutzscheibe kracht. Ein weiteres Todesopfer entdecken Helfer erst am Dienstag – der Mann war mit seinem Auto von der überfluteten Straße abgekommen, wurde fortgespült, ertrank im „Hagelbach“.
Bei wenig Wind fällt sehr viel Wasser auf eine Stelle
Es ist der Vorort Nienberge, wo sie ihn finden: Hier geht ein Neubau-Gebiet unter, das Wasser steht dem Erdgeschoss bis zur Klinke. Das geht auch vielen Universitätsgebäuden so, etwa der Physik und der Bibliothek. Das Lokalradio fällt aus, das Internet, es versagt die Technik im Finanzamt – und ausgerechnet diverser Pumpwerke. Wasserschäden meldet auch eine Versicherung, daher fragen die „Westfälischen Nachrichten“: „Bei wem ruft eigentlich die Provinzial an, wenn der Flur unter Wasser steht?“
Wie nach „Ela“ in Essen gründet sich bei Facebook eine spontane Hilfe-Seite: „97 Zentimeter Wasser“ melden die Leute da aus ihren Kellern, „Fäkalien“ und „umgestürzte Tiefkühltruhen, der Strom ist ausgefallen“. Völlig fertig rufen Bürger oder deren entfernt wohnende Kinder um Hilfe, die eilt mit Eimern heran: „Gleich da!“ Feuerwehr und Polizei kommen auf über 5000 Einsätze.
Diese „Wolkenbrüche mit enormen Regenmassen“ erklärt der Deutsche Wetterdienst mit einer „Tiefdruckrinne“: Dort verbinden sich mehrere kleinere Tiefdruckgebiete, es wehe aber kaum Wind – weshalb sehr viel Wasser auf nur eine Stelle fällt. Bis zu 150 Liter sind es allein im Münsterland pro Quadratmeter: Macht 15 volle Putzeimer – oder eine Badewanne. Genau können manche Wetterstationen das nicht einmal mehr sagen: Die Messbehälter laufen über. Eine aber meldet: 206 Liter! Was mehr ist als sonst in drei Sommermonaten zusammen. Und am Dienstag sagen Meteorologen: Das passiert jetzt häufiger.
Regenrückhaltebecken in Dortmund lief über
Dortmund-Marten weiß das. Die Emschergenossenschaft baut ja schon am Rückhaltebecken „In der Meile“, es soll „im Notfall“ den Oespeler Bach aufstauen: „Verbesserung des Hochwasserschutzes“ heißen solche Maßnahmen. Diese soll erst 2015 fertig sein, Das Becken Schmechtingsbach war nach all’ dem Regen am 12. Juli aber schon wieder voll – und lief über. 90.000 Euro haben Stadt und Emschergenossenschaft nach dem letzten Unwetter als Soforthilfe für Anwohner bereitgestellt, ein, nun: Tropfen auf den heißen Stein. Da bangen Menschen um ihre Existenz, es geht ihnen die Kraft aus zum Wieder- und Wiederaufbau. „Wir überlegen, ob wir das Haus verkaufen“, sagt der 49-jährige Zoran Gräber.
„Katastrophe, Katastrophe“ murmelt auch sein Nachbar Josef Birkenhauer und stolpert, als er aus dem Gartentörchen tritt: Die Erde davor ist ausgewaschen. Mithilfe seiner Söhne verabschiedet er gerade seine kompletten Schlafzimmermöbel in einen Müllcontainer, das Laminat vom Boden liegt auch darin. Nach den zwei schlimmen Überschwemmungen sagt Birkenhauer heute: „Man fühlt sich hilflos, wenn starker Regen kommt, das ist pure Panik.“ Und Gräber, aus dem Hause nebenan? „Glauben Sie mir eines“, sagt der: „Das kommt wieder.“