Mülheim. . Wo einst Kühe in Mülheim grasten, zertrümmert ein Betrieb Metalle. Anwohner klagen über höllischen Lärm - “es ist an manchen Tagen zum Verzweifeln“, berichtet einer. Seit mehr als 40 Jahren kämpfen Bürger gegen die Folgen. Was sie bis dato erreicht haben? Einen Umsiedlungsbeschluss für den Betrieb - aber nur auf dem Papier.
Die älteren Anwohner können sich noch daran erinnern, als hinter ihren Häusern im Tal ein Bach floss und Kühe dort grasten. Doch dann wurde Ende der 1950er-Jahre ein Betrieb angesiedelt, der Schrott umschlägt, zerkleinert, zertrümmert, sprengt. Seitdem gibt es bis heute im Mülheimer Stadtteil Speldorf Bürgerproteste: Die Leute klagen über Höllenlärm, wie sie sagen, über Erschütterungen und hohe Schwermetallwerte im Staubniederschlag. Die Geschichte der Menschen von der Hofackerstraße ist eine Geschichte über den Kampf mit und gegen Behörden – Ende offen.
Fast jeden Morgen stehen Lastwagen vollgepackt mit Metall vor den Toren der Schrottverarbeitung am Hafen. Zehn, zwölf Schlepper sind es, manchmal noch mehr. Die Anwohner, deren Gärten direkt an die Betriebsmauer grenzen, wissen dann: Es wird wieder mal ein lauter Tag. „Es ist an manchen Tagen zum Verzweifeln“, klagt Horst Buchmüller. Er ist neben Winfried Wenzek und Roland Baldur Schäfer einer der Sprecher der Anwohner. Es kommen Metalle aus aller Herren Länder an. Walzen, Stahlwerkskokillen, Gusseisen, Edelstahlbleche, Rohre, Tanks – alles dabei. „Heute“, so die Mülheimer Bürgerinitiativen, „würde so ein Betrieb in direkter Nähe zur Wohnbebauung nie mehr genehmigt werden.“
Menschen befürchten gesundheitliche Schäden
Längst wächst im Umfeld die Angst vor gesundheitlichen Schäden angesichts hoher Werte von Nickel, Blei und Cadmium. Der höchste gemessene Nickelwert lag bei 947 Mikrogramm pro Kubikmeter und Jahr, der dafür gültige Immissionswert liegt bei 15 Mikrogramm. Der Mülheimer Amtsarzt Dr. Dieter Weber schließt angesichts solcher Erhöhungen Risiken für die Gesundheit nicht aus.
Die Anwohner setzen seit Jahren Gott und die Welt in Bewegung, um diese Risiken zu beenden. „An die tausend Schreiben“, schätzt Buchmüller, „haben wir bestimmt in all den Jahren an Behörden aller Art verschickt.“ Minister im Land und im Bund wurden angeschrieben, die Oberbürgermeisterin und die Ministerpräsidentin aus Mülheim ohnehin. Experten wie Anwälte wurden eingeschaltet. Geantwortet haben fast alle. Der Bundesumweltminister verwies auf die Gesetzeslage: Danach dürfen durch solche Betriebe „keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und Belästigungen für die Nachbarschaft hervorgerufen werden“.
Die Bürgermeisterin wundert sich, wie lange Menschen das aushalten
„Die Sorgen der Anwohner sind in jeder Hinsicht nachvollziehbar“, sagt der Vorsitzende des Mülheimer Umweltausschusses, Hubert Niehoff. Das Ganze sei irgendwo zwischen Bestandsschutz und Gesundheitsschutz angesiedelt. Und Bürgermeisterin Renate aus der Beek meinte angesichts des Lärms von zuweilen bis zu 96 Dezibel, dass sie sich wundere, wie lange Menschen solche Belastungen aushalten können. In Ruhephasen liegt der Wert in der etwa 100 Jahre alten Siedlung unter 50 Dezibel.
Unterschriftenlisten gibt es auch. Die erste stammt von 1973, damals unterzeichneten 108 Anwohner und forderten die Politik auf, die Belastungen vor ihrer Haustür zu beenden. Der Rat der Stadt beschloss dann Anfang der 90er-Jahre die Umsiedlung des Unternehmens. Doch bis heute fand sich kein Standort für das Unternehmen, das einmal gegenüber dieser Zeitung erklärte: Auch wir würden gerne woanders den Schrott zertrümmern. Doch wo?
Einfach wegziehen?
Wegziehen? Endlich Ruhe haben? „Nein“, stellt Winfried Wenzek klar, „hier zieht man nicht weg. Das Haus und den Garten – das haben wir uns hier hart erarbeitet.“
Die Bezirksregierung hat inzwischen das Unternehmen mit Hilfe eines öffentlich-rechtlichen Vertrages verpflichtet. So müssen Sprinkleranlagen ständig laufen, um Stäube zu binden, Zeiten sind einzuhalten, ein Teil der Arbeitsprozesse soll eingehaust werden, die Erweiterung der zu verarbeitenden Schrottmenge von täglich 75 auf 150 Tonnen wurde untersagt.
Wie lange geht es noch weiter, fragen sich die Anwohner? Buchmüller zieht ein Schreiben hervor: „Die Lärm- und Rauchbelästigungen aller Anwohner haben unhaltbare Formen angenommen. Die fortgesetzten Sprengungen von Hartgusseisen konnten nur durch die Polizei beendet werden.“ Die Anlieger wollen den Zustand nicht hinnehmen. Der Brief stammt von 1971, geschrieben an den damaligen Oberstadtdirektor. Man braucht einen langen Atem.