Essen. Da können Eltern Lehrer und Ministerium noch so viel planen: Schweinegrippe hin oder her, am ersten Tag nach den Ferien gab es auf den NRW-Schulhöfen Umarmungen und Begrüßungsküsschen. Erst danach folgten Lektionen in Sachen Hygiene.
Küsschen, Küsschen! – Und schon hat es sich was mit der ganzen Vorsicht und den guten Vorsätzen, mit Regeln und Erlässen. Da haben Ministerien, Gesundheitsämter und Schuldirektoren wochenlang gearbeitet an Strategien gegen die Schweinegrippe – und dann kommen Anna, Jenny und Elly aus den Ferien, und schon vor dem ersten Gong geht alles schief: Knutsch! Geküsst wird, aus lauter Wiedersehensfreude, unter Mädchen auf den Mund.
Wir sind noch vor der Schule. Seife, Handtücher und die dringende Bitte, „auf Körperkontakte wie Umarmen, Küssen, Händeschütteln sollte verzichtet werden”, sind drinnen.
Seufzender Schulleiter, grunzendes Mädchen
„Hach, Schweinegrippe”, kichert Anna, aber im Ernst: Ob das Küsschen klug war? „Das kann man überall kriegen”, glauben die Elftklässlerinnen vom Essener Gymnasium am Stoppenberg, „ist jeder selbst für verantwortlich.” Aber auch in der Pausenhalle fallen sich die Jugendlichen um den Hals. Der Schulleiter seufzt, das kleinste Mädchen grunzt: „Öff, öff!”
Dabei haben sich die Erwachsenen solche Mühe gegeben! Haben Hygiene auf den Stundenplan geschrieben, in stadtweiten Konferenzen die Lehrer informiert. Haben Verhaltensregeln aufgestellt: „Nicht mit Papierhandtücher-Kugeln werfen!”, Hygienebriefe aufgesetzt und Hygiene-Schüler erfunden (Gelsenkirchen), haben 4000 Seifenspender bestellt (Dortmund) oder 300 000 Portionen Flüssigseife (Oberhausen). Und Aufkleber gedruckt für jedes Waschbecken: wie man sich richtig die Hände wäscht.
Anleitung zum Naseputzen
Manche Maßnahme hält Stoppenbergs Schulleiter Rüdiger Göbel für „humorvoll”, aber natürlich will auch er, „dass alle beruhigt sind”. Also hat er früh „Schweinegrippe-Informationen” auf die Homepage des Gymnasiums gestellt mit Tipps „zur Vermeidung von Ansteckung”: „Zum Putzen der Nase sollten Papiertaschentücher verwendet werden, die anschließend im Abfalleimer entsorgt werden müssen.”
Dreh- und Angelpunkt, sagt Göbel, seien die Eltern, die er deshalb bat, kranke Kinder unbedingt zuhause zu lassen. Aber auch die Hausmitarbeiter wissen Bescheid: Zweimal täglich sollen sie Geländer und Klinken desinfizieren, Toilettenräume sowieso.
Zwei Kinder fehlen - eines hat Läuse
Im Schülerbüro liegen blaue und gelbe Zettel mit Informationen für den Fall der Fälle, an diesem Morgen aber gibt es noch keinen: Nur zwei Kinder sind krank gemeldet, am ersten Schultag nach den Ferien, eines hat Läuse. Im Lehrerzimmer ist an der Wand eine „Abteilung Schweinegrippe” eingerichtet, hier hängen Kopiervorlagen und der Erlass des Ministeriums; zur Begrüßung halten die Lehrer ihre Hände mühsam bei sich. Auf ihren Tischen warten Papierhandtücher stapelweise und Flaschen mit bunter Seife.
Christine Nolte bringt grüne mit. Die Klassenlehrerin der 6c hat sie unter den Arm geklemmt, als sie den Raum betritt. „Ich hoffe, ihr seid gesund und munter”, begrüßt sie ihre Schüler vielsagend; ins Morgengebet schließt sie diesen Satz ein: „Bitte beschütze uns gesundheitlich.”
Wichtig: "Keinen anhusten"
Und noch bevor sie reden über die Ferien oder das, was das neue Schuljahr bringen soll, kommt die Schweinegrippe. Wie sie aussehen kann: Fieber, Kopfschmerzen, Heiserkeit. . . Was man dagegen tun kann: „Keinen anhusten”, „nicht essen, was die anderen schon angebissen haben”. . .
Die Kinder sammeln, was sie wissen – und was sie vergessen sollen: Bitte nicht das Frühstücksbrot teilen, bloß nicht Hände schütteln zur Begrüßung, und schon gar nicht die Hand vor den Mund! Lieber in die Armbeuge husten, was alle sofort ausprobieren. Wie auch die Trockenübung Händewaschen, 20 Sekunden lang! (Da wandern 32 Augenpaare schon ungeduldig zur Uhr.) „Nicht in der Nase des anderen bohren” – aber das war natürlich ein Spaß.
Wer mit Husten zuhause bleibt, muss kein schlechtes Gewissen haben
Nicht mehr zu Parties zu gehen wäre allerdings doof, „wir wollen uns ja nicht zuhause einschließen”. Christine Nolte „will keine Panik veranstalten”, Halsschmerzen müssen noch keine Schweinegrippe sein, aber wer mit Husten zuhause bleibt, „muss kein schlechtes Gewissen haben”. Die Kinder „müssen ihre Rituale ändern, auch wenn's schwer fällt”.
Denn es gibt ja auch diesen Plan in ihrer Schule: was passiert, wenn ein Kind krank wird, wie es hinaus geführt wird aus der Klasse und wohin, wie der Hausmeister kommt mit dem Desinfektionsmittel. „Gruselig” findet ein Junge das, und für Friederike klingt es, „als wär' man nicht mehr anfassbar”. Die Klassenlehrerin hat ja „auch nicht geglaubt, dass ich mal so komische Sachen mit euch besprechen würde”.
Eine Übung für Schlimmeres
Aber so sind die „neuen Zeiten”, sagt Christine Nolte: Küssen verboten. Und vielleicht, hofft Schulleiter Göbel, der sich als Biologie-Lehrer mit Viren und Konsorten auskennt, ist das alles ja nur eine Übung: „Dass wir alle einmal durchdenken, was wir machen, wenn wirklich mal was Schlimmes kommt.”