Essen. Schwangere Frauen haben ein vier Mal höheres Risiko, an Schweinegrippe schwer oder gar lebensbedrohlich zu erkranken. Mehrere werdende Mütter starben bereits daran. Die Ständige Impfkommission überlegt nun, ob sie eine Impf-Empfehlung herausgibt. Doch auch die Impfung birgt womöglich Risiken.
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Der Frau ging es so gut wie es ihr nach einem Kaiserschnitt gehen konnte, ihrem Kind auch. Bis, ja bis ihre Verwandten ins Spital kamen, die junge Mutter und das Baby zu besuchen. Da infizierte sich die 33-jährige mit dem H1N1-Virus, der sogenannten Schweinegrippe. Seitdem kämpft sie um ihr Leben. Gegen Fieber und eine schwere Lungenentzündung. Und während Ärzte sie in einen künstlichen Schlaf versetzten, verunsichert ihr Fall die werdenden Mütter in der Schweiz zutiefst.
Es ist das Bild dieser jungen Frau, das Ulrich Heininger quasi direkt vor Augen hat. Heininger ist nicht nur Leitender Arzt des Universitäts-Kinderspital im schweizerischen Basel, er ist auch stellvertretender Vorsitzender jener Ständigen Impfkommission (Stiko) am Berliner Robert-Koch-Institut, die für Deutschland regelmäßig Impf-Empfehlungen herausgibt. „Die Stiko arbeitet noch an der Frage, ob sie Schwangeren die Impfung empfehlen wird. Meine persönliche Einschätzung ist jedoch, dass es sinnvoll ist, zu impfen, wahrscheinlich nach dem ersten Drittel der Schwangerschaft", so der Infektiologe Heininger.
700.000 Schwangere
700 000 schwangere Frauen gibt es jährlich in Deutschland. Nach den Erkenntnissen der letzten Wochen ist das Risiko werdender Mütter, durch die Schweinegrippe schwer oder gar lebensbedrohlich zu erkranken vier mal so groß wie für die normale Bevölkerung. So waren unter 45 Grippetoten in den USA sechs Schwangere. Und während die Weltgesundheitsorganisation bereits empfiehlt, Schwangere vorrangig zu impfen, fragen sich Experten in Deutschland, ob der Impfstoff für werdende Mütter überhaupt geeignet ist. Sichere Erkenntnisse, verlässliche Daten dazu gibt es nicht, wird es auch nicht geben.
„Keine Ethik-Kommission würde klinische Tests an Schwangeren erlauben", erklärt Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut, das für die Zulassung von Arzneimitteln zuständig ist. Tatsächlich befinde man sich deshalb in einer schwierigen Situation. „Wir tragen so viele Daten wie möglich zusammen. Letztendlich wird nur die Erfahrung zeigen können, wie Schwangere die Impfung vertragen. Und eines ist klar: Wenn nur eine Frau ein fehlgebildetes Kind zur Welt bringt, wird man das dem Impfstoff anlasten", so Susanne Stöcker.
Erfahrungen mit Grippe-Impfungen für Schwangere gibt es vor allem in den USA, Kanada und Australien. Anders als in Deutschland wird hier werdenden Müttern empfohlen, sich so gegen die saisonale Grippe zu schützen. „Die Impfung gegen Influenza A-Viren wird von Schwangeren in den USA eigentlich gut vertragen", bestätigt Frank von Sonnenburg, der am Uniklinikum München klinische Tests mit H1N1-Impfstoffen durchführt.
Aber auch von Sonnenburg wei´ß, dass die Erfahrungen der USA nicht direkt übertragbar sind. „Den pandemischen Impfstoffen werden in Deutschland voraussichtlich sogenannte Adjuvanzien zugesetzt. Mittel, die einen breiteren Schutz gegen die Viren bieten. In den US-Studien sind Adjuvanzien jedoch nicht berücksichtigt", sagt von Sonnenburg. Seiner eigenen Frau würde er dennoch während einer Schwangerschaft zur Impfung raten: „Ich tendiere dazu. Aber jede Frau muss Risiken und Nutzen mit ihrem Arzt abwägen".
»Wenn nur ein Kind fehlgebildet zur Welt kommt, wird es dem Impfstoff angelastet«
So milde sie bislang bei der allgemeinen Bevölkerung verläuft, bei Schwangeren verursacht die Schweinegrippe Komplikationen, verläuft sie gar tödlich. „Woran das liegt, wissen wir nicht. Sicher ist, dass das Immunsystem werdender Mütter im Laufe der Schwangerschaft schwächer wird", sagt Klaus Vetter, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und zieht Parallelen zur Infektion mit Windpocken: „. . . auch das kann in der Schwangerschaft lebensbedrohlich sein".
So dünn das Datenmaterial, so verunsichert die Experten auch sind: mit zunehmender Zahl schwerer Fälle erkrankter Schwangerer neigen sie zur Impfempfehlung. Ausnahme sind Ärzte wie Stefan Schmidt-Troschke, ärztliche Direktor der anthroposophischen Klinik Witten/Herdecke: „Ich warne vor Hysterie und bin bei Impfungen in der Schwangerschaft sehr skeptisch. Alles, was man einer Schwangeren gibt, trifft das Baby, einen sehr unreifen Körper. Dieser Impfstoff wird zudem nur an einer kleinen Gruppe getestet".
Eine schwierige Entscheidung also. Vor dem Hintergrund der um ihr Leben kämpfenden Schweizerin riet die Präsidentin der dortigen Impf-Kommission unlängst, in Zeiten der Schweinegrippe ganz darauf zu verzichten, schwanger zu werden. Dem Baby der jungen Frau geht es übrigens gut. Es hatte sich nicht angesteckt.
Schwangere sollen Nutzen und Risiken der Impfung mit ihrem Arzt abwägen, raten Experten.
Hier geht's zur Karte "Schweinegrippefälle in NRW".