Essen. Überflutete Straßen, vollgelaufene Keller, umgestürzte Bäume. In NRW haben die ersten Sommergewitter gewütet. Ein Mann ist in einem Keller gestorben, mehrere Menschen wurden verletzt. Die Feuerwehren in NRW rückten zu mehreren Tausend Einsätzen aus. Der Bahnverkehr ist auch am Freitag noch gestört.
Kräftige Gewitter mit starkem Regen sind in der Nacht von Donnerstag auf Freitag noch einmal über Teile von Nordrhein-Westfalen gezogen. Laut Meteorologin Rebekka Krampitz vom Wetterdienst Meteomedia in Bochum seien bis zu 20 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen.
Das Ruhrgebiet war in der Nacht nicht mehr ganz so stark vom Unwetter betroffen. Die Luft hat sich allerdings deutlich abgekühlt. Heute werde es wechselhaft, aber bei weitem nicht mehr so unwetterartig, so Krampitz. Gegen Abend sollen die Gewitter nachlassen.
Bei der Provinzial Rheinland schätzt Sprecher Christoph Hartmann die Schäden auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Genaueres werde sich erst in den kommenden Tagen zeigen. Aber schon am Freitag liefen die Telefone heiß. Bei der Provinzial Westfalen, nach eigenen Angaben dort Marktführer bei Gebäudeversicherungen, hatte man am Freitagmorgen bereits 1000 Schadensmeldungen im Kfz-Bereich registriert. Die Meldungen waren Ergebnis der örtlichen Unwetter, die am Mittwoch in Ost-Westfalen-Lippe zugeschlagen hatten.
Auch am Freitag wird vereinzelt noch "Wasser im Keller" gemeldet
Im Ruhrgebiet besonders schlimm von dem Unwetter betroffen war Witten. Dort hat das Unwetter für erhebliche Schänden gesorgt, wie sich am Freitag noch immer deutlich sehen lässt. Die Region wurde am Donnerstag innerhalb von ein bis zwei Stunden regelrecht gewässert. 70 Liter pro Quadratmeter fielen vom Himmel - soviel wie sonst innerhalb des ganzen Junis.
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An der Herbeder Straße schwoll der Wannenbach zu einem reißenden Gewässer an, stärker als es die Planer des Hochwasserschutzes vorhergesehen hatten, der dort vor fünf Jahren erneuert wurde. Das Wasser schoss regelrecht über eine Spundwand, innerhalb von Minuten waren Gärten vollgelaufen. Am Tag danach war Aufräumen angesagt. Vieles, was vorher im Keller gelagert wurde, war nur noch reif für den Container.
Für die Feuerwehren im Ruhrgebiet war der Unwettereinsatz am frühen Freitagmorgen beendet. Alleine im Kreis Recklinghausen wurden insgesamt 1200 Feuerwehr-Einsätze gezählt - fast alle mit der Meldung "Wasser im Gebäude", sagt Mario Bembenek von der Feuerwehrleitstelle. Zwei Stunden hatte das Unwetter über dem Kreis gewütet. Auch am Freitag gebe es noch kleinere Einsätze wegen nasser Keller, sagt Bembenek.
Die Feuerwehr in Bochum hat am Freitag ebenfalls noch mit Nachwehen des Unwetters zu tun und registriert "vereinzelte Anrufe" wegen nasser Keller. Siebenmal musste die Feuerwehr am Vormittag ausrücken, um vollgelaufene Aufzugschächte auszupumpen und weil der Keller eines Kindergartes in Langendreer und eine Gartenfläche überflutet sind.
Nicht in allen Fällen wird die Feuerwehr aktiv, heißt es in der Leitstelle: Da die Feuerwehrpumpen erst ab einer Wasserhöhe von 10 Zentimeter einsetzbar sind, "müssen wir in manchen Fällen auf private Unternehmen verweisen". Oder es heißt: aufwischen! Insgesamt rückte die Bochumer Feuerwehr von Donnerstag-Nachmittag bis Freitag-Vormittag 428-mal aus, davon 425-mal wegen vollgelaufener Räume.
Dutzende Autos mit Hagelschäden in Hagen
Die Feuerwehr in Herne ist das Unwetter am Freitag weitgehend abgehakt. 150 Einsätze registrierte die Leistelle. Neben zahlreichen Kellern, die mit Wasser vollgelaufen waren, gab es auch unterspülte Straßenzüge, unter Wasser stehende Baugruben und Tiefgaragen, Überspannungsschäden und einen Blitzeinschlag in ein Gebäude. Am Freitagmorgen sei ein Einsatz hinzugekommen, im Ortsteil Börnig. Der Grund dort: Wasser im Keller. "Das Wasser steht dort 40 Zentimeter hoch", sagt ein Sprecher; womöglich nachdrückendes Regenwasser.
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Die Feuerwehr in Hagen hatte vor allem mit Hagelschlag zu kämpfen. Dort zählte Vizechef Veit Lenke 90 Einsätze, 75 davon wegen Überflutungen. 14 Bäume waren umgestürzt - entwurzelt oder von Sturmböen umgeweht. Der Hagel war Golfball-groß, sagt Lenke: "Ein Hagelkorn habe ich im Eisfach gesichert". Vor allem in den Ortsteilen Emst und Eppenhausen seien Dutzende Fahrzeuge von Hagel beschädigt worden. "Es läuft wohl auf einen Sammelgutachter-Termin hinaus", sagt Lenke, mit Blick auf die Arbeit der Versicherungen.
Besonders groß war der Schaden für einen Gartenbetrieb in Hagen-Boelerheide: Seit 100 Jahren ist Blumen Neumann in der Hagelversicherung. Nie musste sie bis dato in Anspruch genommen werden - bis Donnerstag. „Auf einmal wurde es dunkel, wir wollten noch die Dachluken an den Gewächshäusern zumachen, dann ging es schon los mit den Hagelkörnern“, schildert Inhaberin Doris Neumann das einstündige Unwetter-Szenario vom Donnerstag in der Stadt HagenEine Scheibe nach der anderen brach unter der Wucht der großen Körner. „Das war ein unheimlicher Krach.“
Der Schock war bei den Neumanns riesengroß, am Freitag herrscht aber wieder Zuversicht: „Wir haben mit der Versicherung schon alles geklärt, am Wochenende kommt eine Spezialfirma, die das Glas entfernt und danach neues einsetzt“, sagt Doris Neumann. „Ich hoffe, in zwei Wochen ist alles wieder repariert.“ Die Rosen, die in dem Gewächshaus blühen, können bis zum Wochenende jedoch nicht geschnitten werden. Neumann: „Das Betreten wäre zu gefährlich wegen der herabfallenden Splitter.“
Unwetterfolgen sorgen auch am Freitag für Probleme bei der Bahn
Während es im Ruhrgebiet in der Nacht zu Freitag keine weiteren Unwetter gab, blitzte und donnerte es dafür im Hochsauerland. Das heftige Gewitter hatte böse Folgen für die Bewohner eines Hauses in Marsberg-Beringhausen.
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Der Blitz schlug in den Dachstuhl ein und Teile gingen in Flammen auf. Die Marsberger Feuerwehr konnte den Brand schnell löschen. Verletzt wurde niemand.
Neben dem östlichen Ruhrgebiet wurde auch die Region Bonn von den Unwettern am Donnerstag besonders hart getroffen. In Bonn bildeten sich noch am Freitag auf einer wichtigen Verkehrsader kilometerlange Staus, nachdem ein Straßentunnel gesperrt worden war. In einer Schule fiel der Unterricht aus, weil es nach einer Überflutung keinen Strom mehr gab.
Bei Rheine beschädigten die Unwetter Oberleitungen, Züge Richtung Münster waren bis in den Vormittag davon betroffen. Die S-Bahn zwischen Dortmund und Solingen fuhr nur unregelmäßig. Auf der Strecke von Köln nach Koblenz waren Gleise überflutet. Auch bei Gummersbach hatten die Stürme Schäden auf den Bahnstrecken angerichtet.
Düsseldorf hat "total Schwein gehabt"
"Wir haben total Schwein gehabt", sagte dagegen ein Sprecher der Feuerwehr in Düsseldorf. Am Freitagmorgen standen nach einem neuen Gewitter einige Zentimeter Wasser im Rheinallee-Tunnel. Ansonsten gab es für die Feuerwehr kaum etwas zu tun. Auch über Essen zogen die Unwetter am Donnerstag, ohne größere Schäden zu hinterlassen. Die Feuerwehr zählte nur zwölf Einsätze.
In Bielefeld regnete es in der Nacht so stark, dass vier Unterführungen überflutet wurden. Sieben Autos steckten darin fest, eine Fahrerin konnte auf ihr Autodach klettern und wurde von der Feuerwehr per Schlauchboot gerettet. Sie blieb unverletzt, teilte die Polizei mit. Eine der Unterführungen war auch am Freitagmorgen noch gesperrt. Vielerorts - so im Sauerland und im Münsterland - waren die Feuerwehren am Morgen noch immer damit beschäftigt, die Schäden der Unwetter vom Tag zuvor zu beseitigen, Keller leerzupumpen und umgestürzte Bäume fortzuräumen.
S11 fährt nur unregelmäßig zwischen Hilden und Solingen
Die Deutsche Bahn berichtet auch am Freitagmorgen noch von Beeinträchtigungen in NRW:
- Die Linie S1 zwischen Dortmund Hbf und Solingen fährt auf dem Streckenabschnitt Hilden – Solingen bis nachmittags nur unregelmäßig.
- Auf der Strecke Köln – Koblenz kommt es am Morgen wegen einer Gleisüberspülung in Königswinter zu Fahrzeitverlängerungen von zehn bis fünfzehn Minuten.
- Bei den Zügen der RB 25 zwischen Köln und Gummersbach kommt es am Morgen wegen einer Gleisüberspülung in Ründeroth zu Fahrzeitverlängerungen von zehn bis fünfzehn Minuten.
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Feuerwehr musste Rollstuhlfahrerin aus Wohnung retten
Das Unwetter hat die Region am Donnerstag hart getroffen: Wasser fließt in breiten Bächen durch die Fußgängerzonen, stürzt in U-Bahn-Stationen, drängt in Keller. Die Menschen flüchten von den Straßen, unter Vordächern suchen einzelne Schutz und warten. Züge verspäten sich, Busse bleiben stehen, Oberleitungsschäden überall.
Bochum: Die Rollstuhlfahrerin im Stadtteil Langendreer kann sich nicht mehr selbst in Sicherheit bringen. Sie muss mit ansehen, wie das Wasser ihre Wohnung überflutetet – bis die Feuerwehr sie endlich rettet. Die Frau kommt mit Verdacht auf Unterkühlung ins Krankenhaus, Tauchpumpen sollen ihre Wohnung wieder trocken legen, so schlimm war es.
Bochum säuft ab
77 Liter pro Quadratmeter! Das bedeutet für die Feuerwehr: 421 Einsätze allein bis zum Abend, besonders im Süden und Osten. Aber auch in der Innenstadt ist es schlimm. Die Wassermassen rauschen regelrecht in die U-Bahn-Station Oskar-Hoffmann-Straße hinab.
Witten: Das Handynetz fällt aus, in einer Senke an der Annenstraße versinken Autos bis zum Dach in der Flut. Vom Annener Berg geht eine Gerölllawine ab. Und an der Herbeder Straße zeigen sich Bilder, wie man sie von der Elbe kennt. „Wir waren machtlos“, sagt Anwohner Hans-Peter Haas (69). „Das Wasser hat die Kellertür aus der Verankerung gedrückt.“ Und Nachbar Frank Riederer ist den Tränen nahe: „Meine Oldtimer-Sammlung ist zerstört. Das ist ein Vermögen, das da vernichtet wurde.“ Ein Volvo und zwei der sieben alten Motorräder ragen noch knapp aus der braunen Brühe.
Essen: Neun junge Frauen überrascht das Unwetter bei einer Kanutour. Sie flüchten sich auf eine Insel. Die Feuerwehr rückt mit einem Rettungsboot an und setzt die Frauen auf das andere Ruhrufer über. „Es gab keine Verletzten, nur Nasse“, sagt Sprecher Mike Filzen.
Dortmunder Innenstadt überschwemmt
Dortmund: Die Innenstadt ist zeitweise überschwemmt, Hagel verbeult die parkenden Autos. Besonders heftig erwischt es den Süden und Westen der Stadt. Bis Hagen gibt es Blechschäden und zersplitterte Dachfenster. Daumendick sind die Hagelkörner hier.
Castrop-Rauxel: In der Fridtjof-Nansen-Realschule, wo der neue Schulhof eingeweiht werden soll, steht der Technikraum unter Wasser und in einer Umkleide ist eine Plastikkuppel von der Decke gekommen. Die B 235 ist gesperrt und der Mühlenteich in Frohlinde ist über die Ufer getreten. Auch hier gilt vielerorts: Keller unter.
Herne: Allein am Nachmittag fährt die Feuerwehr 130 Einsätze. Probleme bereiten vor allem mit Wasser voll gelaufene Keller, in denen sich Stromverteilungsanlagen befinden. In zwei kompletten Straßenzügen ist der Strom abgeschaltet, um Kurzschlüssen und Bränden vorzubeugen.
Fäkalwasser im Hallenbad in Recklinghausen
Recklinghausen: Fäkalwasser ist ins Kellergeschoss des Hallenbads an der Herner Straße eingedrungen. Das Bad soll bis mindestens Freitagabend geschlossen bleiben. Im ganzen Stadtgebiet hat das Gewitter Spuren hinterlassen.
Velbert: Das Rathaus in Velbert war am Nachmittag telefonisch gut zwei Stunden nicht erreichbar, weil ein Blitz in einen Schaltkasten vor dem Rathaus eingeschlagen ist.
Lüdenscheid: Bäume sind geborsten, die Gullys quillen über. Im Gewerbegebiet sind die Abflüsse überflutet. Viele Firmen fürchten Überschwemmungen.
S-Bahn in Berlin entgleist
Im niederbayerischen Kollnburg wurde ein Quadfahrer vermutlich von einem herumfliegenden Ast getroffen und schwer am Kopf verletzt, teilte die Polizei mit. In Südhessen verletzte ein umstürzender Baum einen Autofahrer schwer. Auch im baden-württembergischen Karlsruhe fielen mehrere Bäume auf Autos, dabei wurden zwei Menschen leicht verletzt. Glück hatte dagegen eine Autofahrerin in Plankstadt, deren Wagen beim Fahren von einem Kindertrampolin getroffen wurde. Sie blieb unverletzt. Der Sturm hatte das Trampolin über eine Mauer gehoben.
Hagelkörner in Hagen
In Berlin entgleiste eine S-Bahn, als sie einen über die Schienen gestürzten Baum rammte. Die Fahrgäste kamen mit dem Schrecken davon. Quer durch Deutschland berichteten Feuerwehr und Polizei von vollgelaufenen Kellern, abgerissenen Stromleitungen und umgestürzten Bäumen und Bauzäunen. Größere Stromausfälle gab es ersten Angaben zufolge keine. (dae/WE)