Schönebeck/Elbe. . Hunderte Helfer aus dem Ruhrgebiet sind im Hochwasser-Gebiet eingetroffen. In Schönebeck und Magdeburg versuchen Feuerwehr, THW, DLRG, Rotes Kreuz und andere Hilfsorganisationen zusammen zu retten, was noch zu retten ist. Ein harter Einsatz. Ob er sich lohnen wird, ist ungewiss.
19 Stunden haben sie jetzt schon „250 Prozent gegeben, gemacht und getan“ – Ricardo Martinez lässt die schweren Arme hängen – „und dann haben wir doch wieder einen kleinen See produziert“. Aber natürlich war das nicht das Technische Hilfswerk aus Witten, es war die Elbe, die sich ein neues Loch gesucht hat durch die Sandsäcke. Nur ein winziges Leck, doch dahinter droht Großes: Denn der Fluss hinter den Säcken, kniehoch gestapelt, kommt mit der Macht eines Mississippi, breiter, als das Auge reicht, und was eben noch Baumwipfel war, ist jetzt Insel.
„Wir sind nicht die Helden“
Sie schleppen links, sie stopfen rechts, rund um die Uhr, die ganze Nacht, sie nennen es „kämpfen“ und „verteidigen“, aber: „Wir sind nicht die Helden, die alles retten können“, sagt Stefan Rosengarten.
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Die Menschen in Magdeburg, in Schönebeck aber erwarten es von ihnen, sie legen ihre ganze Hoffnung in die kräftigen Hände der Helfer aus dem Ruhrgebiet: Hierher hat man die Retter geschickt, von THW, DLRG, Rotem Kreuz und Feuerwehr, sie fahren in langen Kolonnen schon seit Tagen nach Osten. Allein das Rote Kreuz aus Essen und Rheinberg mit einem ganzen Zeltplatz und neun Hochwasserbooten, dahinter rollen Ölabscheider auf den schweren Lkw und am Ende des Konvois die THW- „Fachgruppe Wasserschaden“.
Und nun sind sie in diesem Schönebeck, südlich der Landeshauptstadt, nördlich jener verhängnisvollen Stelle, an der die Riesen-Elbe und die Super-Saale zusammenfließen. Wo die Welt oft noch so aussieht wie einst die DDR und Straßenschilder den Weg weisen: geradeaus nach Magdeburg, rechts zum Hochwasser. Das erste Haus war schon unter Wasser, als sie kamen, sie haben also gepumpt in der Mittagshitze, „man schleppt mehrere Tonnen von A nach B“, sagt Jens Gruneberg, und eben, abends um zehn, ist einer umgekippt. Zwei Stunden nach der geplanten Ablöse, Hattingen unterstützt jetzt Witten, aber Witten kann noch nicht gehen. Alles fließt.
„Ihr habt zwei Stunden, dann ist das Wohnzimmer voll“, erklärt Gruneberg den Nachschub-Kräften, aber das gilt nur, wenn die Elbe über die Mauer kommt, von hinten ist das Grundwasser schneller. In einer Straße, die jetzt eine Wasserstraße ist, harrt ein Mann aus, die Polizei überlegt, ihn da rauszuholen – kann man jemanden zwingen, gerettet zu werden? „Ich geh da nicht raus, auch wenn ich weggeschwemmt werde“, sagt der Mann. Meter vor seinem Fenster, an dessen Sims es schwappt, schauen Zipfel aus dem Fluss: Das war der Sandsack-Deich vom Vortag. Aus dem „Stadtpark“ ragt ein Schild aus brauner Brühe: „Mitbürger, schützt eure Anlagen“.
Kinder falten Sandsäcke, Frauen füllen Sandsäcke, Männer werfen Sandsäcke
Schönebeck tut das, Magdeburg auch, Kinder falten Sandsäcke, Frauen füllen Sandsäcke, Männer werfen Sandsäcke, sie sind zu Tausenden und sehen alle gleich aus: kurze Hose, Badelatschen, Wasserflasche. Dazwischen: rot-gelbe DLRG, blaues THW, rote Feuerwehr, es ist ein buntes Bild, wäre es nicht so bedrohlich. „Ich wäre fertig, wenn das Wasser in mein Haus käme“, sagt Folke Hellmig von der Hammer DLRG, der noch einen sehr hübschen Satz formuliert: „Denen steht das Wasser bis zum Hals, und die schmieren Schnittchen.“ Das ist es, was das Ruhrgebiet am Salzbergland so bewundert: Menschen, die gelassen Kaffee kochen ohne Strom, die die ausgefallene Kühltruhe leer grillen, die in Gummistiefeln Getränke übers Wasser reichen. Es gibt viele Szenen wie diese: eine Frau, die Jens Gruneberg Zucker in den Kaffee schüttet, und er steht bis zur Brust im Fluss.
Mancher hält das im Foto fest, die Leute aus Wetter, wie sie Sandsäcke in Tonnen verschiffen, das Quietsche-Entchen, festgebunden am Gartenzaun, den Sonnenuntergang hinter den Hubschraubern der Bundeswehr. „Das muss man erstmal verdauen“, sagt Folke Hellmig, der DLRG-Mann, mit 54 ein erfahrener. Es gab Männer, die haben sich gefürchtet vor diesem Einsatz: vor reißenden Strömen, die Häuser wegreißen. Aber „es sind ganz andere Bilder“, sagt Marcel aus Hattingen.
„Wie gefährlich ist es bei mir?“
Das Fernsehen transportiert keinen Gestank nach faulem Wasser, keine eiskalten Füße in voll gelaufenen Arbeitsschuhen, die sie im Dunkel der Nacht in der Gosse entleeren. Nicht die Angst der Bürger, die neben Hilfe auch Antworten wollen: „Wie gefährlich ist es bei mir?“
Was soll man den Leuten sagen, fragt Gernot Kubiak vom DLRG Hattingen-Süd, Zugführer des 2. Westfälischen Wasserrettungszugs. Sie wissen ja selbst nichts. Nicht, wo und wann der nächste Einsatz ist, nicht, wo dass Wasser wie hoch steht. Nicht, was wäre, „wenn das im Pott passiert“, wie Hellmig fragt.
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„Sagt man da nicht: Was geht mich der Keller der Nachbarn an?“ Oder, sinniert Dirk Leymann aus Wanne-Eickel: „Hätten wir auch diesen Zusammenhalt?“ Solche Fragen stellen sie sich, 400 Kilometer von zu Hause.
In Sachsen-Anhalt jedenfalls, sagt einer, „macht keiner ein dummes Gesicht, die packen alle mit an“. Am Sonntagnachmittag aber werden die Gesichter in Magdeburg zumindest lang. Stundenlang haben sie hier Sand geschichtet, das DRK aus Essen und Rheinberg hat die Deiche überprüft („extrem gefährlich“) und zwischendurch aufgeplatzte Blasen oder Schnittwunden verarztet. Die Lage war „sehr, sehr kritisch“ erinnert sich der Hattinger Gernot Kubiak an die Nacht, in der seine Wasserwacht 3,5 Kilometer Deich in Folie gepackt hat.
Und nun, es ist keine drei Uhr, geben die Kräfte den August-Bebel-Damm auf. Die Elbe bricht sich Bahn, es ist zu spät. Die Helfer werden schon woanders gebraucht: Aus 20 Millionen Sandsäcken sollen sie einen Ring legen um die Stadt, „Achtung, Einsatz, Achtung, Einsatz“, brummt das Telefon eines DRK-Manns aus Rheinberg, der gerade zwei Stunden geschlafen hat in einer Turnhalle. „Schön“, hat Stefan Rosengarten gesagt, „dass man endlich mal einsetzen kann, was man jahrelang geübt hat“.