Gelsenkirchen. . Pflegekräfte sind überarbeitet und im Stress. Durch den Personalmangel müssen sie doppelt und dreifach arbeiten. Im Januar waren bei der Arbeitsagentur für die Essener Krankenhäuser insgesamt 100 offene Stellen für Pflegekräfte gemeldet. Schicht- und Nachtdienste machen ein soziales Leben schwer.
Krankenschwester war ihr Traumberuf. „Es ist schön, Menschen zu helfen“, sagt Katharina Belhustede. Vor Kurzem erst hat sie ihr Kinderkrankenschwester-Examen gemacht – und ist schon desillusioniert. „Wenn ich mir vorstelle, ich müsste bis zur Rente arbeiten, nein, das geht gar nicht.“
Dabei ist sie erst 21 Jahre alt. Und sie habe es noch gut getroffen am Bergmannsheil in Gelsenkirchen. Sie ist im OP, wo keine Schichtdienste anfallen. Allerdings musste sie neulich ganz spontan auf einer Kinderstation fast ganz allein den Nachtdienst übernehmen. „Ich kannte mich überhaupt nicht aus.“ Fünf Notfälle musste sie versorgen. Am Ende sei man nur froh, dass alles gut gegangen ist.
Auch Michael Asmussen (34), Krankenpfleger der Herz-Chirurgie an der Essener Uniklinik in Huttrop, sagt: „Hätte ich weiter Vollzeit gearbeitet, wäre ich in der Psychiatrie gelandet. Man ist pausenlos mit der Kraft am Ende.“
Pflegen und dolmetschen
Bettenmachen und Bettpfannen austeilen, Tabletten stellen und verteilen, Spritzen geben, Puls, Temperatur und Blutdruck messen, Patienten hin- und herkutschieren – eine Last, die kaum zu schultern sei, so Asmussen. Eine Pflegekraft und ein Azubi versorgen etwa 35 Patienten, „nach so einer Schicht geht man am Stock“, sagt Asmussen. Patienten das Essen reichen, dazu fehle die Zeit, sagt Katharina Belhustede. „Da ist man froh, wenn es die Angehörigen übernehmen.“
Weniger Personal, mehr Aufgaben: Zu allem käme noch der Schreibkram durch die Dokumentationspflicht hinzu. Auch sollen Pflegekräfte mehr ärztliche Tätigkeiten übernehmen. „Dass man den Ärztemangel mit Medizinern auszugleichen versucht, die oft die deutsche Sprache nicht verstehen, macht uns auch noch Mehrarbeit. Wir müssen dann nämlich Dolmetscher spielen“, so Belhustede.
Personalmangel ist Alltag in den Kliniken
Personalmangel ist Alltag in den Kliniken. „Wir spüren deutlich, dass der Bewerbermarkt wie leergefegt ist. Im Januar waren bei der Bundesagentur für Arbeit für die Essener Krankenhäuser insgesamt 100 offene Stellen für Pflegekräfte gemeldet“, so die Pflegedirektorin der Essener Uniklinik, Irene Maier.
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Selbst auf Akut-Stationen fehle es an Pflegekräften. „Ich erinnere mich an eine Schicht auf der Herz-Chirurgie. Ich konnte mich nur um die Frischoperierten kümmern“, so Asmussen. Er hat nach dem Pflege-Examen noch den Bachelor in Pflegepädagogik draufgesattelt. Jetzt mischt er die Jobs: halbe Stelle als Pädagoge am „Kirchlichen Bildungszentrum für Pflegeberufe im Revier“ in Gelsenkirchen, auf 400-Euro-Basis im Herzzentrum.
Die Vollzeitstelle habe ihn fertig gemacht. Zwölf Tage ohne freien Tag durcharbeiten, oft kurze Wechsel zwischen Spätdienst und Frühdienst, die Knochenarbeit, dazu die Verantwortung – und nur ein kleines Gehalt. 1300 Euro netto, die Asmussen als Krankenpfleger heraus bekam, „sind ja selbst einem Alleinstehenden zu wenig“. Er musste noch einen Nebenjob annehmen. Sein soziales Leben fand kaum noch statt. Heute komme er auf etwa 1500 Euro. „Für acht Jahre Ausbildung!“
Damals, als die Herzchirurgie noch nicht zur Uniklinik gehört habe, habe er seine Überstunden kaum noch zählen können. Das sei besser geworden. Die Pflegedirektorin Irene Maier sagt, dass „rund 40 Stunden im Monat pro Mitarbeiter“ anfallen.
Erfahrung mit Zeitarbeitern
„Viele Kliniken versuchen, die Lücken mit Zeitarbeitern zu füllen“, sagt Asmussen, der den Kopf schüttelt und berichtet: „Eine Frau hatte, als sie auf einer Akut-Station aushelfen sollte, zugegeben, noch nie in einer Klinik gearbeitet zu haben, sondern nur in der Altenpflege. Eine andere war so voll mit Psychopharmaka, dass sie am Patientenbett eingeschlafen ist.“
Michael Asmussen fragt sich, wie es mit der Pflege weitergehen soll: „Wenn keiner mehr den Beruf machen will, was machen dann die Patienten?“
Pflege-Expertin Johanna Knüppel: Pflege macht krank
Der massive Personalabbau in der Pflege begann im Jahr 1996. Damals wurde die gesetzlich verpflichtende Personalbemessung außer Kraft gesetzt“, sagt Johanna Knüppel, Referentin beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). In den fünf, sechs Jahren danach wurden etwa 50 000 von 325 000 Stellen abgebaut. Bis ins Jahr 2025 fehlen allerdings 260 000 Pflegekräfte, rechnet das Statistische Bundesamt vor.
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„Das Problem ist, dass ein Großteil des Geldes, das da frei wurde, genutzt wurde, um mehr Arztstellen zu schaffen und ärztliche Tariferhöhungen zu finanzieren. Auch Investitionen, die eigentlich von den Kommunen oder Ländern getragen werden sollten, wurde sogar zu einem Großteil aus diesen Töpfen entnommen.
Die Arbeit lastet auf den wenigen Kräften, die noch da sind. Und die sich dann überarbeiten. Laut DAK-Gesundheitsreport 2012 gehört die Pflege zu den Branchen mit den höchsten Krankenständen. Häufige Diagnose: Burnout.
Viele Pflegekräfte ziehe es in andere Länder, vor allem nach Skandinavien. „Pro Pflegekraft kommen etwa vier bis sechs Patienten, in Deutschland sind es zehn bis fünfzehn.“ Viele arbeiten in der Schweiz, wo besser bezahlt würde, genau wie in den Niederlanden. Manche zieht es bis in die USA. „Hier wie in den meisten EU-Ländern gibt es nicht mehr den Pfleger, sondern den Bachelor. Das Gehalt ist vergleichbar mit dem eines Lehrers oder Architekten.“