Bochum. . Die Honorar-Affäre rund um die Stadtwerke Bochum erinnert an absurdes Theater. In den Hauptrollen: Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz, Stadtwerke-Chef Bernd Wilmert und der Promi-Vermittler Sascha Hellen. Bester Nebendarsteller: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

Großes Theater hat in Bochum Tradition. Das Schauspiel indes, das seit Wochen bundesweit Schlagzeilen liefert, findet nicht auf der Bühne an der Königsallee statt: Es ist die Honorar-Affäre rund um die Stadtwerke Bochum.

Tragische Helden dieser Klamotte sind Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (64, SPD), Stadtwerke-Chef Bernd Wilmert (60, SPD) und Promi-Vermittler Sascha Hellen (34). Top besetzt ist die Nebenrolle: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (65) entfachte den Skandal durch Veröffentlichung seiner Nebeneinkünfte. Als Redner beim „Atriumtalk“ der Stadtwerke kassierte er von der reichen Tochter der klammen Kommune 25 000 Euro.

Stadttöchter geben Hunderttausende für Glanz-und-Gloria-Feste aus

Anselm Weber, Intendant im Schauspielhaus, müsste dieser Stoff faszinieren. Zumal er zwei Protagonisten viel zu verdanken hat. Als Weber 2011 mit seinem Etat nicht klar kam, fuhr er hinauf in den 15. Stock des noblen Stadtwerke-Turms am Ostring und tat, was Vereine, Verbände und Kulturinitiativen seit Jahren tun: Er bat Bernd Wilmert um Hilfe. Wenig später war sein Haus um 400 000 Euro reicher, der Etat der Spielstätte ausgeglichen. So geht das in Bochum. Man kennt sich, man hilft sich. Dank des erfolgreichen Energieversorgers muss trotz 1,6 Milliarden Euro Schulden niemand Leuchttürmen wie Schauspielhaus, VfL Bochum oder Starlight Express den Strom abdrehen.

Die Bochumer Saga um den Atriumtalk.
Die Bochumer Saga um den Atriumtalk. © WAZ-Grafik

Dieses unkomplizierte, kumpelhafte Miteinander wird den Beteiligten jetzt zum Verhängnis. Die Honorar-Affäre bringt ans Licht, dass bislang Jahr für Jahr über die Stadttöchter Stadtwerke und Sparkasse Hunderttausende Euro via Hellen Medien GmbH in Glanz-und-Gloria-Gelage wie Atriumtalk, Steiger Award und „Herausforderung Zukunft“ flossen; Geld, das 190 000 Haushalte zuvor über die Preise für Strom, Gas und Wasser eingespeist hatten. Zudem offenbart der Skandal falsche Strukturen und Schwächen hoch bezahlter Akteure, von denen keiner Verantwortung übernehmen will. Nach drei Aufsichtsratssitzungen, einigen Pannen und dem Bericht eines Wirtschaftsprüfers steht fest: Das Geschäft mit der Reihe Atriumtalk, in der für üppige Honorare neben Steinbrück prominente Redner wie Richard von Weizsäcker, Joachim Gauck oder Senta Berger auftraten, war schlechter geregelt als jede Abi-Fete.

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In den ersten Jahren (2008 bis Ende 2010) gab es überhaupt keinen Vertrag mit Hellen, danach wurde ein Papier aufgesetzt, das die Prüfer so bewerten: „Der am 18.10.2012 geschlossene Vertrag enthält nur rudimentäre Angaben zu den von der Hellen GmbH zu erbringenden Dienstleistungen.“ Und: „Die rechtliche Ausgestaltung der Verträge entspricht nicht in allen wesentlichen Punkten den üblicherweise zu stellenden Anforderungen. Insbesondere wäre eine konkretere inhaltliche Ausgestaltung unseres Erachtens nach gerecht gewesen.“

Dass es einen Vertrag gibt, hat ausgerechnet der NPD-Vertreter im Rat bewirkt. Er setzte nach einem WAZ-Bericht über einen möglichen Auftritt von Altbundeskanzler Gerhard Schröder beim Atriumtalk das Thema im März 2010 auf die Agenda. Im Juni antworteten die Stadtwerke, unterzeichnet von Sprecher Thomas Schönberg: „Die Gäste selbst bekommen kein Geld. In der Regel wird eine von den Gästen zu benennende Stiftung bzw. karitative Einrichtung mit 20 000 Euro bedacht.“ Bis zur Bekanntgabe der Steinbrück-Honorare hielt Schönberg an seiner Version fest.

Oberbürgermeisterin Scholz hält an Promi-Vermittler Hellen fest 

Die ist komplett falsch, wie wir heute dank Steinbrücks Transparenz-Offensive wissen. Keiner der Gäste wurde je zu einer Spende verpflichtet. Ottilie Scholz und Bernd Wilmert stellen dies bis heute als Kommunikationsproblem zwischen Stadtwerken und Dienstleister Hellen dar. „Es geht nicht um Schwarz oder Weiß, um Wahrheit oder Unwahrheit. Es geht darum, dass zu viele Interpretationsspielräume da waren“, sagte Scholz nach der ersten Sitzung des Aufsichtsrates, dessen Vorsitzende sie ist.

Bernd Wilmert entschuldigte sich vor dem Rat. Sein Bestreben sei es immer gewesen, „Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Das ist uns nicht gelungen. Darüber bin ich zutiefst enttäuscht, zunächst auch über mich“. Wie ernst es beiden mit der versprochenen „restlosen Aufklärung“ ist, deckte unsere Redaktion auf. Schon vor der Sitzung des Aufsichtsrates wurde eine Pressemitteilung gefertigt, die alle Beteiligten reinwaschen sollte. Das Papier landete ebenso im Papierkorb wie der Wunsch der CDU, Hellen im Aufsichtsrat anzuhören. „Ich hätte mir gewünscht, dass man mit mir anstatt nur über mich spricht“, so Hellen.

OB Schulz ist festen Willens, die Zusammenarbeit mit Hellen fortzusetzen

Gleichwohl fällt auf, dass OB Scholz festen Willens ist, die Zusammenarbeit mit Hellen fortzusetzen. Den Atriumtalk soll es zwar nicht mehr geben, obwohl Hellen Ende 2010 auf eigene Bitte einen Vorschuss von 60 000 Euro für zehn Veranstaltungen erhielt; sechs müsste er noch organisieren. „Steiger Award“ und „Herausforderung Zukunft“ sollen nach dem Willen von Schirmherrin Scholz aber auch künftig Stars und Sternchen und internationale Politgrößen wie zuletzt Jimmy Carter in die Stadt bringen. Obwohl es auch da in der Vergangenheit Pleiten gab: Der geplante Auftritt von Deutsche-Bank-Chef Ackermann im Schauspielhaus löste ebenso Debatten aus wie die vorgesehene Verleihung eines „Steiger“ an den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Tausende protestierten damals.

Promi-Vermittler Sascha Hellen, der den Dalai Lama, gekrönte Häupter, Größen aus dem Musikgeschäft und Mächtige dieser Welt kennt, versteht sein Geschäft: Er bedient Eitelkeiten – und lässt sich’s gut bezahlen. Steiger und Zukunftsprojekt bescherten ihm von Stadtwerken und Sparkasse 191 000 Euro pro Jahr. 2010 kamen 60 000 für den Atriumtalk hinzu und Ende 2010, Anfang 2011 noch einmal 50 000 Euro für die Organisation eines Konzertes von Paul McCartney, das es bis heute nicht gab.

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Bochums Imageverlust ist dank des katastrophalen Krisenmanagements in Rathaus und Stadtwerke-Hochhaus enorm. „Auch im Westen gibt es eine CSU“, geißelte die „taz“ den SPD-Klüngel. „Das 793 385-Euro-Spiel der Bochumer Dilettanten“, hieß es in der „Welt“ in Anspielung auf die Kosten für die Talk-Show. Den Kopf für diesen Schaden hält niemand hin. Die Beteiligten halten zusammen, selbst das Rechnungsprüfungsamt musste passen, weil der Leiter mit Hellen gut bekannt ist. Stoisch steht OB Scholz die Krise durch und Wilmert sagt: „Ich kann gar nicht zurücktreten. Ich muss abberufen werden.“ Dem von Arbeitnehmern und Rot-Grün dominierten Aufsichtsrat fehlt dazu aber die Kraft. Der nächste Akt findet daher am 13. Dezember im Rat statt, wenn die CDU Scholz als Vorsitzende kippen lassen will.

Steinbrück spendet sein Honorar an drei Bochumer Einrichtungen

Aber nicht nur die Stadt Bochum leidet unter dem Gespött. Auch Peer Steinbrück wird seinen 25 000-Euro-Auftritt einfach nicht los, seine Beliebtheitswerte sind im Sinkflug. Der Kanzlerkandidat versucht jetzt das Schauspiel „Und keiner will’s gewesen sein“ ein Stück weit positiv zu besetzen. Seine 25 000 Euro will er spenden. Die Empfänger, das teilte sein Büro mit, sind das Hospiz St. Hildegard, das Projekt Bochumer Ferienpate vom Jugendring und der Günnigfelder Familientisch, eine Initiative der Kirchengemeinden in Wattenscheid.