Bochum. . Über eine halbe Million Menschen in Deutschland leiden an Internet- und Computerspielabhängigkeit. Am Montag wurde die erste Anlaufstelle für sie im Ruhrgebiet eröffnet: die Medienambulanz am LWL-Universitätsklinikum in Bochum. Hier sollen Betroffene beraten und auf eine Rückkehr ins wirkliche Leben vorbereitet werden.
Als Bert te Wildt 2002 in Hannover eine „Mediensprechstunde“ ins Leben rief, da dachte der Psychiater ans Thema „Computer und Gewalt“. Tatsächlich aber kamen: Internet-Süchtige, Menschen, die vom Computer nicht lassen konnten. Oder ihre Angehörigen: Eltern, deren Söhne nichts interessierte außer „World of Warcraft“; Frauen, die ihre Männer an Cybersex verloren hatten. Ernst genommen hätten das Thema „Mediensucht“ damals trotzdem nicht viele, erinnert sich der Privatdozent. Zehn Jahre und eine repräsentative Studie später weiß man: In Deutschland gibt es mehr als eine halbe Million Betroffene.
Seit Montag finden sie in Bochum eine Anlaufstelle: an der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe wurde die erste Medienambulanz des Reviers eröffnet. Bert te Wildt (42) leitet sie.
Behutsam wieder ans wirkliche Leben gewöhnen
Information, Beratung und Diagnostik sollen hier stattfinden, in Therapiegruppen sollen Betroffene behutsam wieder ans wirkliche Leben gewöhnt werden. Wozu Trauerarbeit nötig sei, erklärt der Experte. In Hannover habe die Gruppe ihre Avatare, ihre Stellvertreter im virtuellen Spiel, auf Pappe ausgedruckt, und sich am Tag, an dem der Betroffene seinen Account, sein Nutzerkonto, löschte, feierlich von ihnen verabschiedet...
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Natürlich wird auch weiter zum Thema geforscht werden. Was man schon weiß: Es sind vor allem junge Männer, die an Internet- oder Computerspielsucht leiden; und es sind vor allem „Multi-Player-Massive-Role-Play-Games“, Online-Rollenspiele, die sie in die virtuelle Welt locken, Ältere auch Internet-Pornografie. Facebook-„Junkies“ gibt es wider Erwarten kaum. Vielleicht „weil Facebook nur Spaß macht, wenn man ein reales Leben vorweisen kann“, sagt te Wildt.
Viele Betroffene entwickeln Depressionen oder Ängste
Wer aber bis zu 16 Stunden täglich, sieben Tage die Woche im Internet unterwegs sei, habe kein wirkliches Leben, keine Freunde, keine Beziehung, keinen Job mehr, ja, er wasche sich schließlich nicht einmal mehr. Viele Betroffene entwickelten auch Depressionen, Ängste oder soziale Störungen. Eltern, die versuchten, Kindern den Computer zu verbieten, ihn gar wegnähmen, riskierten viel, sagt te Wildt und erzählt von einem Schüler, der sein Zimmer demolierte, einem 17-Jährigen, der den Stiefvater würgte, und einem, der sich das Leben zu nehmen trachtete. Typische Reaktionen – von Süchtigen.
Und dennoch ist die Mediensucht noch keine anerkannte. Als Vorsitzender des Fachverbandes Medienabhängigkeit kämpft te Wildt deswegen auch dafür. Und auch wenn sich die Industrie hartnäckig weigere, zuzugeben, dass „sowas wie Internetsucht“ überhaupt existiere, gibt es einen ersten Erfolg: Die Bundesdrogenbeauftragte widmet ihre Jahrestagung am 9. Oktober („Wenn aus Spaß Ernst wird“) dem Thema . Und das sei, sagt der Leiter der neuen Bochumer Medienambulanz, „sowas wie ein Ritterschlag“!