Ruhrgebiet. . Der 19-jährige Jan lebt in der virtuellen Welt, nicht im wirklichen Leben. Der Jugendliche selbst spricht von seinem „Problem“. Er sei computersüchtig, sagt sein Arzt, ein typischer Fall, einer von 550.000 in Deutschland. Der PC bietet dem jungen Mann eine Art Ersatzwelt - mit Folgen.

Neulich hat Jan* eine echte junge Frau mit nach Hause gebracht. Es war ein realer Besuch aus der virtuellen Welt, eine Bekanntschaft aus dem Internet im wirklichen Leben und so außergewöhnlich, dass Jan und seine Mutter es als allererstes erzählen. Denn sonst verlässt der 19-Jährige selbst das Netz nur selten, er wohnt im Web, gewissermaßen. Er nennt es „mein Problem“. Sein Arzt sagt, es sei eine Sucht.

„Ich wach morgens auf, mach den Computer an, und dann sitz ich bis abends, bis ich schlafen geh.“ Manchmal ist es auch andersherum: Da schläft er tags und spielt nachts. „Zocken“, sagt Jan, dabei ist es das nicht nur. Er guckt auch Dokumentationen an, sucht Dinge, die ihn interessieren; das Internet weiß alles und ist immer offen.

„Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll“

Es kommt vor, dass ihm schwindelig wird vor dem Bildschirm, er kennt auch den Drang: „Ich muss spielen! Das ist wie der Geschmack von Nikotin auf der Zunge.“ Das „Problem“ aber ist: „Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll.“ Als Jan das erkannte, erinnert sich seine Mutter, „hat er bitterlich geweint“.

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Von Frank Preuß

Noch wehrt sich ihr Sohn gegen das Wort „Sucht“. „Ich weiß nicht, ob das Sucht ist“, wiederholt er immer wieder, „ich hab ja kein Zittern oder so“, wenn der Rechner mal aus ist. Und, doch, natürlich könne er ihn jederzeit ausschalten! „Ich bin nicht abhängig“, glaubt er, wie so viele Abhängige: Eher habe er Langeweile. „Vielleicht bin ich auch einfach durcheinander.“

Bert te Wildt aber sagt, Jan ist ein typischer Fall: „Internet- und Computerspielabhängigkeit“. Einer von 550.000 in Deutschland; meist sind es Männer in Jans Alter, aber die Frauen holen auf, sagt der Facharzt für Psychiatrie, der seit Jahren zu dem noch neuen Thema forscht. Die Fallzahlen seien „höher als bei Schizophrenie“. Und betroffen seien meist Menschen, die in ihrem jungen Leben schon gescheitert sind.

"Er hat sich förmlich in den PC verkrochen"

Bei Jan hat alles angefangen vor vier, fünf Jahren, als er in der wirklichen Welt der Familie keinen Platz mehr fand. Dieses hyperaktive Kind, klug und wissbegierig, aber zugleich geschlagen mit Lese- und Rechtschreib- und auch noch Matheschwäche. Und dann kam dieser Mann ins Leben seiner Mutter, der ihn darin nicht haben wollte – damals wohl ist Jan ins Netz geflohen. „Er hat sich förmlich in den PC verkrochen“, sagt die Mutter. Hat begonnen zu spielen, sich Ersatzwelten zu bauen. Darin ist er immer noch gut; das Ringen um höhere Game-Levels interessiert ihn nicht, „ich programmiere Inseln“. Natürlich auch anderes, aber „Inseln“ fällt ihm zuerst ein.

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Er vergisst das Essen darüber, sagt seine Mutter, sie sieht doch, wie schmal er ist und dass er, wenn sie von der Arbeit kommt, wieder nichts angerührt hat – die kleinen Aufgaben, die sie ihm für den Haushalt aufgetragen hat, allerdings auch nicht. „Er legt den ganzen Tag die Füße hoch“, auch darüber haben sie sich gestritten, immer mehr. Nach der Sonderschule kam diese oder jene Maßnahme, zu Ende gebracht hat Jan bislang nichts. Und wenn die Mutter drohte, den Stecker zu ziehen, wurde ihr Junge aggressiv. „Der PC kann viel anrichten“, sagt er. „Ich möchte ihn gern für das Leben zurückgewinnen“, sagt sie.

Jan würde gerne Programmierer werden

Er würde am liebsten programmieren, für irgendeinen Spiele-Entwickler, aber wie soll das gehen, wenn die Therapie ihn doch genau davon sanft entwöhnen soll? Man hat ihm gesagt, er solle etwas anderes beginnen, was ihm Spaß macht. Jan aber sagt, Spiele sind doch genau für Spaß da: „Man ist euphorisch, und irgendwann kann man nicht mehr aufhören, weil man nicht mehr weiß, wie was anderes geht.“

Der 19-Jährige weiß, dass genau das „mein Problem“ ist: Er weiß nicht einmal mehr, was ihm Spaß macht, er hat null Bock auf nichts. Auch nicht auf Menschen. „Ich hab keine Lust auf Freunde“, und die Kontakte aus dem Netz, „die siehst du nur auf Bildern“. Er hat seinen letzten Geburtstag allein gefeiert, ein Handy braucht er nicht, wofür auch – er hat ja nicht einmal Nummern. Wenn jemand verschwindet aus seinem Leben, der da mal war, „dann hab ich nicht das Gefühl, ihn zu vermissen. Es ist mir irgendwie egal.“ Das Mädchen aus dem Netz? Jan zuckt die Schultern. Es ist nicht wiedergekommen.

* Name geändert