Ruhrgebiet. . Die Städte sanieren ihre Haushalte – und der Bürger muss künftig mehr zahlen für weniger Angebot. Ans Tafelsilber geht derzeit keine Kommune. Aber dafür gibt es aus Bürger-Sicht eine Liste der Grausamkeiten. Die WAZ-Mediengruppe gibt Beispiele aus verschiedenen Städten.
Die regierenden Politiker sprechen am liebsten vom „Sparpaket“, für die Gegenseite ist es eine „Liste der Grausamkeiten“. „Konsolidierung“ oder „Zumutung“ – die Haushaltssanierungen gleichen meist einer Entkernung, ohne dass danach wieder aufgebaut wird. Muss das sein?
Die meisten Städte präsentieren eine ähnliche Streichliste, zum Beispiel Duisburg will bis 2019 seinen Haushalt um 82 Millionen Euro schrumpfen: Stadtteilbibliotheken, Bäder und Hallen schließen, auch die Bezirksvertretungen reduziert Duisburg. Freiwillige Leistungen werden gestrichen, was Schulen und Jugendheime ebenso trifft wie soziale Einrichtungen.
Die Städte lagern auch Dienstleistungen aus, gerne die Gebäudereinigung – was meist nur ein Plus bringt, wenn bisherige Lohn- oder Arbeitszeitstandards unterlaufen werden. Auch ihr Personal reduzieren die Städte, was etwa kürzere Öffnungszeiten nach sich zieht.
Auf der Einnahmen-Seite steigen durchweg die Gebühren. Etwa für Kitas, fürs Parken, für Buchausleihe und Volkshochschulen. Die Vergnügungs- und Hundesteuern werden angehoben, aber besonders die Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuern spült Geld in die Kassen. Zumindest solange Gewerbetreibende bereit sind, einen Satz von 520 Prozent zu bezahlen, wie ihn NRW-Spitzenreiter Oberhausen mit deutlichem Abstand zu anderen Städten verlangt.
Es gibt noch Vermögenswerte
Natürlich gibt es Alternativen. „Privatisierung zum richtigen Zeitpunkt ist eine Möglichkeit“, sagt Dr. Rainer Kambeck, Experte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Essen zum Beispiel besitzt rund 18 Millionen Aktien des Energiekonzerns RWE, Dortmund gar 22,5 Millionen. „Zum jetzigen Zeitpunkt würde sich ein Verkauf nicht lohnen, sagt Kambeck, aber Anfang 2008 lag der Aktienkurs um ein Dreifaches höher – und damals gab es in Essen durchaus Überlegungen, dem Beispiel Düsseldorfs zu folgen und sich schuldenfrei zu machen. Es wäre mit einem Schlag gelungen, das Paket war damals fast zwei Milliarden Euro wert.
„Man muss immer die Dividende den Schuldzinsen gegenüberstellen“, erklärt Kambeck. Zeitweise machten die Kommunen in der Tat Gewinne mit ihren Beteiligungen im Energiebereich. Doch nun müssen die Bürger das unternehmerische Risiko schultern, das die Städte eingegangen sind.
Und die legen noch drauf. Vor rund einem Jahr kauften sich Duisburg, Dortmund, Essen, Oberhausen, Bochum und Dinslaken für 651 Millionen Euro eine Mehrheit beim Stromkonzern Steag. Ein Verlustgeschäft bislang. Wozu brauchen Städte politischen Einfluss auf einen Energieversorger? „Als Verband haben die Städte einen gewissen Einfluss auf die Standortpolitik, als einzelne Stadt kaum“, sagt Kambeck. „Jede Stadt muss für sich abwägen, was ihr das wert ist.“
Die Strompreise jedenfalls werden eher nicht sinken, wenn die Städte wie im Fall der Steag auf hohen Dividenden bestehen, die das Unternehmen sich eigentlich nicht leisten kann. „Einige Städte wollen die Energiewende offenbar nutzen, um als eigener Player zu agieren“, sagt Kambeck. „Doch damit übernimmt man sich aus unserer Sicht erheblich.“
Die Liste der Grausamkeiten – Sparbeispiele aus den Städten:
In Duisburg war die Parkgebühr für Lehrer bereits im Sparpaket eingeplant. Nach heftigen Protesten der Lehrer wurde das Vorhaben im Mai von der Politik gestoppt. Jetzt ist das Immobilienmanagement damit beauftragt, ein Konzept zu erarbeiten. Nach der Sommerpause wird das Thema im Rat noch einmal diskutiert. Einnahmen: 480 000 Euro.
Ein brenzliger Beschluss: Dorstener Feuerwehrleute sollen ihre Dienstkleidung selber waschen. Trainingshosen etwa, nicht das verrußte Zeug. Warum nicht? Krankenschwestern müssen ihre Kittel auch selbst waschen. Aber die Taucherstaffel wird gleich mitgekürzt, auch bei Wartungen und Fortbildungen wird gespart für insgesamt 50 000 Euro.
Herne hat nun einen zweiten Radarwagen angeschafft. Nicht als einzige Stadt, es gab Lieferschwierigkeiten. Dabei blitzt der erste schon wie verrückt: 32 000 Temposünder im letzten Jahr. Ein Plus von 143 Prozent. Natürlich dient das der Sicherheit. Aber auch dem Stadtsäckel. 835 000 Euro sollen reinkommen – 545 000 Euro mehr als 2010.
Die Bochumer Bürger konnten im Internet Sparvorschläge machen. Auf einer Bürgerkonferenz wurden diese diskutiert. Die Schließung von Kunstmuseum und Bürgerbüros war schnell vom Tisch. Höhere Steuern, höhere Eintrittspreise für das Schauspielhaus und der Abbau von rund 1000 Stellen in der Verwaltung wurden vom Rat beschlossen.
In Witten wollten sie die Hundesteuer um 50 Prozent erhöhen. Und Sozialhilfeempfänger, die bislang nur die Hälfte zahlen, sollten künftig voll besteuert werden. Doch der Widerstand war zu groß. Bedürftige können sich nun weiter einen Hund leisten. Und die Steuer steigt von 93 auf nur 120 Euro – statt 144 Euro. Mehreinnahmen: 270 000 Euro.
Dortmund will die Instandhaltung seiner Gebäude bis Ende des Jahres so herunterfahren, dass die Stadt gerade noch ihrer Pflicht zur Verkehrssicherung nachkommt. Gleiches gilt für den Unterhalt von Brücken. Grünflächen werden nur noch notdürftig gepflegt, Saisonkräfte nicht eingestellt. Einsparungen in diesem Bereich: 4,3 Millionen Euro.
Bottrop spart sich die geplanten Live-Übertragungen seiner Parlamentssitzungen im Internet. „Es ging uns darum, Entscheidungen des Rats transparenter darzustellen. In Beratungen und Bürgerfragestunden haben wir aber herausgefunden, dass uns die Sache nicht 10 000 Euro wert ist“, erklärt der CDU-Fraktionsvorsitzende Hermann Hirschfelder.
Die Erhöhung der „Sexsteuer“ ist bei Städten so beliebt, weil sich dagegen kaum Widerstand regt. In Oberhausen zog der Satz für Vergnügungen (beschönigend für Peepshows, Porno-Kinos und Bordelle) erst jüngst von 13 auf 16 Prozent an. Bis 2018 soll er auf 22 Prozent steigen, macht dann 5,5 Millionen Euro. Ein Plus von 2,5 Millionen gegenüber 2011.