Ruhrgebiet. . Er bekommt weniger Geld, weniger Wertschätzung und hat kaum eine soziale Absicherung. Zudem wird er durch miese Tricks von seinem Arbeitgeber schikaniert. Ein Zeitarbeiter erzählt von seinem Alltag und von seiner Hoffnung auf eine Festanstellung.

Es ist absurd, aber für den Zeitarbeiter Frank R. steht die Zeit still. Er kommt nicht vor, nicht zurück. Seit sechs Jahren ist er an denselben Betrieb ausgeliehen, doch täglich muss er damit rechnen, abgezogen zu werden. Er verdient viel zu wenig für seine Arbeit, Frank R. aus dem westlichen Ruhrgebiet, dessen Namen wir geändert haben. Aber der Chef macht ihm seit Jahren Hoffnungen auf eine Übernahme. Auf den Sprung zurück ins System. Er bleibt also dabei, während ihn hintenrum die Zeitarbeitsfirma austrickst. Welche Wahl hat er auch, so lange schon unter Qualifikation beschäftigt, 55 Jahre alt, ein Zeitarbeiter, dem die Zeit davonläuft?

Wäre er beim Bergwerk geblieben, wo er seine Ausbildung zum Starkstromelektriker machte, genösse Frank R. jetzt den Frühruhestand. Aber er wollte ja etwas erreichen, wollte mehr Sicherheit. Hat also noch Kommunikationselektroniker gelernt. Betriebssysteme. Netzwerktechnik. Ist dann fünfzehn Jahre lang Ausbilder in einem Berufsförderzentrum. Bis ihn ausgerechnet Hartz IV arbeitslos macht. Die Qualifizierungen, die er leitet, werden gestrichen. Zwei Jahre lang bewirbt sich Frank R., selbst als Verkäufer im Elektronikmarkt. Aber auch hier heißt es: zu alt, überqualifiziert! „Jeder kann in Hartz IV abrutschen“, muss er lernen.

Zeitarbeit als letzter Ausweg für Arbeitslose

Das bedeutet in seinem Fall: Gar kein Geld, denn seine Frau verdient zu viel. Knapp 14 Tage hält Frank R. das aus, da nimmt er „den letzten Ausweg“: Zeitarbeit. Er weiß ja um die Ausbeutung, um den schlechten Ruf der Branche. Aber zwei Tage, nachdem er sich im Internet eingeschrieben hatte, bekommt er einen Anruf, sofort fährt er zum Vorstellungsgespräch. Und am nächsten Tag ist er schon in Arbeit. Zombies reparieren. Sein Betrieb, an den er ausgeliehen wird, stellt Roboter-Figuren für die Geisterbahn her, winkende Schaufensterfiguren und Weihnachtsbäume, die in Einkaufszentren blinken.. Ganz amüsant, wenn da nicht das Einstiegsgehalt von knapp unter acht Euro wäre.

„Dafür hätte ich es normalerweise nie gemacht“, sagt Frank R. „Aber ich stand am Abgrund.“ Und immer diese Hoffnung, übernommen zu werden. Sie wird von seinen Chefs in den Entleihbetrieben geschürt. „Aber es war immer ungünstig.“ Es ist seit sieben Jahren ungünstig, so lange ist Frank R. nun Zeitarbeiter.

10,07 Euro pro Stunde bekommt der Zeitarbeiter - für Festangestellte gibt es 13,48 Euro

Ein Jahr verbringt er bei den Zombies, dann tingelt er zwei Wochen. Und seitdem ist er bei „seinem Betrieb“ eingesetzt. Verlegt Kabel auf Baustellen. Zeitarbeiter auf Dauer. Längst wird er sogar zu Weihnachtsfeiern eingeladen. R. geht gern zur Arbeit. Aber das Geld stimmt nicht. 10,07 Euro bekommt er pro Stunde, 13,48 Euro kriegen die Kollegen für die gleiche Arbeit. Mit rund 900 Euro netto muss er auskommen, Kinder hat er keine.

Aber die Entwürdigung steckt im Detail. Laut Vertrag mit der Zeitarbeitsfirma muss er nur 35 Wochenstunden arbeiten. Der Entleihbetrieb verlangt aber 38,5 Stunden. Und soundsoviele Überstunden sind inklusive, steht ja im Vertrag. Sein Arbeitstag beginnt auf der Baustelle. Die festen Kollegen dagegen treffen sich morgens im Betrieb und fahren mit dem Firmenwagen zum Einsatzort – in ihrer Arbeitszeit.

Die Hierarchie im Betrieb: Geselle, Lehrling, Praktikant, Zeitarbeiter

Als 2010 ein neuer Tarifvertrag gültig wurde, ordnete die Zeitarbeitsfirma Frank R. stillschweigend in eine niedrigere Qualifikationsgruppe ein. Mit weniger Lohn natürlich. Die Begründung, als er seinen Arbeitgeber zur Rede stellte: Ein Fehler. Doch der Fehler wiederholte sich, und Frank R. fragte nach, wieder und wieder, bis er hörte: Ermessensspielraum. Das wollte er sich nicht gefallen lassen, schaltete die Gewerkschaft ein. Doch die bestätigte: Ermessensspielraum. Und auch das Weihnachts- und Urlaubsgeld sparte sich die Firma plötzlich. Frank. R. wehrte sich gerichtlich – und bekam per Vergleich wenigstens einen Teil seines Geldes.

Zeitarbeit! Der Name verrät: Alles ist nur auf Zeit. Eine Lebensabschnittspartnerschaft. „Keiner baut Bindungen auf“, sagt Frank R. „Man wird nicht behandelt wie Mist, aber wie eine Ware.“ Die Entfremdung ist System. Deswegen funktioniert es so gut. Weil man eine Ware leichter verschieben kann als einen Menschen. In der Wirklichkeit hat diese Entfremdung ganz praktische Auswirkungen: „Die Hierarchie im Betrieb geht so“, sagt er: „Geselle, Lehrling, Praktikant, Zeitarbeiter.“

"Ich bin ein moderner Sklave"

Das schlimmste aber ist: Man erkennt den Zeitarbeiter an seiner schwarzen Latzhose. Die Festangestellten tragen grau, gestellt von der Firma, der Zeitarbeiter bekommt aber nur die Sicherheitsschuhe, alles andere muss er sich selbst kaufen. Und die schwarzen Hosen sind die günstigsten (25 Euro). Fast alle Zeitarbeiter tragen schwarz.

„Ich bin ein moderner Sklave“, sagt Frank R. Er glaubt eben, dass seine Bewerbungen keine Chance hätten. Bei einer Kündigung würde er auch seine Ansprüche verlieren. Und hat der Chef nicht mehrfach gesagt, dass er ihn übernehmen wolle, vielleicht? Beim letzten Gespräch hieß es dann aber: „Falls dich deine Zeitarbeitsfirma rauswirft wegen der Klage, finden wir ruckzuck eine neue, und Du kannst bei uns bleiben.“ Das hat sicher eine gewisse Logik in diesem System. Aber es hat Frank R. stark zu denken gegeben.