Essen. 900 000 Leiharbeiter in Deutschland. Sie nehmen viele Nachteile in Kauf.

Zeitarbeit ist ein Streitthema. Die Unternehmen preisen sie als das wichtigste Instrument, um Arbeitskraft flexibel einsetzbar zu machen. Die Gewerkschaften prangern an, dass dieses Instrument genutzt wird, um dauerhaft Löhne zu sparen. Was steht unterm Strich?

Wie wichtig ist Zeitarbeit?

Sie wird immer bedeutender. Seit 1991 hat sich die Zahl der Betroffenen laut arbeitgebernahem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) verfünffacht. Der wahre Boom setzte jedoch nach 2004 ein, als Rot-Grün die Zeitarbeit neu regelte: Zuvor durften Beschäftigte nicht wiederholt befristet, nicht innerhalb von drei Monaten erneut angestellt und nicht länger als für zwei Jahre an einen Betrieb ausgeliehen werden. All das ist nun möglich. Darum setzt nun über die Hälfte der Unternehmen Leiharbeiter ein. Rund 900 000 waren es vergangenes Jahr. Etwa jeder 25. Vollzeitbeschäftigte ist Leiharbeiter.

Verdrängt die Zeitarbeit die klassischen Festanstellungen?

Fakt ist, das Verhältnis verschiebt sich. Laut einer IW-Studie wurden von April 2010 bis April 2011 immerhin 672 000 Personen regulär eingestellt, gleichzeitig entstanden 91 000 Zeitarbeitsplätze. Jeder siebte neue Arbeitsplatz ist also einer auf Leihbasis. Ob diese Stellen ohne Zeitarbeit auch direkt bei den Unternehmen entstanden wären, ist Bewertungssache, eine aussagekräftige Arbeitgeberbefragung liegt nicht vor.

Was bringt es den Unternehmen?

Sie zahlen weniger und senken ihr Risiko. Wenn mal nicht ausreichend Arbeit da ist, genügt ein Anruf, und der Zeitarbeiter verschwindet aus dem Betrieb. Dieses Ausfallrisiko trägt der Vermittler. Allerdings schließt er viele Verträge ebenfalls nur auf kurze Zeit ab.

Was verdient die Zeitarbeitsfirma?

Die Zeitarbeitsfirma muss man sich als Vermittler vorstellen: Sie stellt Arbeitskräfte an und verleiht sie an Unternehmen. Diesen berechnet sie im Schnitt das Zweifache des Stundenlohns, den der Zeitarbeiter bekommt. Nach einer Studie des Ifo-Instituts bleiben ihr nach Abzug von Lohn, Lohnnebenkosten und Verwaltungsaufwand etwa sechs Prozent Gewinn. Mit Tricksereien bei Sonderleistungen und Arbeitszeitkonten versuchen einige Firmen diese Marge zu vergrößern.

Was bedeutet das für den Zeitarbeiter?

Vor allem Unsicherheit. Der Zeitarbeitnehmer ist zwar sozialversichert, jedoch an den Tarifvertrag der Zeitarbeitsbranche gebunden, nicht an den des Betriebs, in dem er arbeitet. Darum bekommen vor allem geringer Qualifizierte in der Regel 20 bis 30 Prozent weniger Geld, schätzen Gewerkschaften.

Was lockt, ist die Chance auf Arbeit. Rund 60 Prozent aller im vergangenen Jahr neu eingestellten Zeitarbeiter hatten laut IW-Studie zuvor keinen Arbeitsplatz. 14 Prozent wurden zudem von ihrem Betrieb übernommen. Ein weiteres Fünftel der Zeitarbeitnehmer fand eine Stelle bei einem anderen Unternehmen.

Was kostet es die Gesellschaft?

Durch die geringeren Löhne in der Zeitarbeit fallen die Zahlungen an die Sozialkassen geringer aus. Hinzu kommt: Nur rund die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse dauern laut Schwarzbuch länger als drei Monate. Das hat zur Folge, dass die meisten Betroffenen direkt in Hartz IV abrutschen. Die IG Metall schätzt, dass die restlichen Beitragszahler die Zeitarbeit mit „jährlich 500 Millionen Euro“ subventionieren.