Bochum. Lünens früherer Vize-Bürgermeister ist wegen mehrfachen Missbrauchs verurteilt worden. Und erst einmal frei. Doch es geht weiter.

Die letzten beiden Briefe in die Haftanstalt warf sein Anwalt ihm zu, im Gefängnis durfte er noch seine Sachen abholen, dann holten die Eltern ihn ab. Nach mehr als 200 Tagen in Untersuchungshaft und zehn Prozesstagen ist Daniel Wolski, der frühere Vize-Bürgermeister von Lünen, seit zehn Tagen vorerst frei. Dabei hatte ihn das Bochumer Landgericht am 14. Mai zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt – wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes, mehrerer Jugendlicher und Kinderpornografie.

Seit sieben Monaten durfte Wolski, 41, die JVA nicht mehr verlassen, dass er nach Hause konnte, sagte Verteidiger Edgar Fiebig, „war uns wichtig“. Für wie lange, ist allerdings offen: Die 3. Strafkammer hat ihn gehen lassen, weil sie keine Verdunkelungsgefahr mehr sieht und auch nicht die einer Flucht; der Angeklagte hat ja alles gestanden. Sobald das Urteil rechtskräftig ist, wird Wolski seine Strafe allerdings antreten müssen. Zwar habe sich sein Mandant Bewährung gewünscht, sagt Fiebig, aber nun könne er wenigstens „Dinge regeln“. Und eine Therapie anfangen, „sich helfen lassen“.

Ob Fiebig bei seinem pünktlich gestellten Antrag auf Revision bleibe, hängt von der schriftlichen Begründung des Urteils ab. Die Staatsanwaltschaft hat bereits Revision beantragt, wie das Landgericht Bochum bestätigt. Sie hatte eine längere Haftstrafe für Wolski gefordert.

Mit einem großen Schreibblock betritt Daniel Wolski am Dienstag (14. Mai) den Gerichtssaal. Dabei braucht er für sein vorbereitetes „Letztes Wort“ nicht einmal fünf Minuten.
Mit einem großen Schreibblock betritt Daniel Wolski am Dienstag (14. Mai) den Gerichtssaal. Dabei braucht er für sein vorbereitetes „Letztes Wort“ nicht einmal fünf Minuten. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

11.000 Sex-Nachrichten an ein zwölfjähriges Kind

Eine Therapie für Wolski ist aus Sicht des Gerichts nötig. Denn dass er lediglich seinen „moralischen Kompass verloren“ habe, wie Daniel Wolski selbst es formulierte, war für die Richter „nicht wirklich nachzuvollziehen“. Vielmehr sei sein gesteigertes sexuelles Interesse an Mädchen und Jungen sogar im vorpubertären Alter „nicht bloße Verirrung“. Sehr rücksichtslos und manipulativ sei sein Verhalten gewesen, sagte der Vorsitzende Nils Feldhaus bei der Urteilsbegründung, er habe die Schwächen seiner jungen Opfer gezielt ausgenutzt. „Es ging ihm rein um seine Triebbefriedigung.“

Ein weiteres Mal zitierte Feldhaus aus stark sexualisierten Chats, allein gute 11.000 Nachrichten hatte der frühere Kommunalpolitiker an ein zu Beginn des Kontakts zwölfjähriges Kind geschickt. Stundenlang hatten die Berufsrichter das im Prozess schon getan, teils mit verteilten Rollen. „Nicht zu Ihrer Belustigung“, erklärte er am 14. Mai, sondern weil man sich klarmachen müsse, worum es gehe. „Es macht sprachlos, es ist aber unsere Aufgabe, dafür Worte zu finden.“

Richter: Der viel ältere Mann hat sich „angeschlichen als Freund“

Die heißen „Schwanzbilder“ und „Tittenbilder“, es geht um sexuelle Praktiken in allen Details in derber Sprache. „Was weiß ich nicht alles“, unterbricht sich der Vorsitzender irgendwann selbst, „es ist alles sehr explizit.“ Der Angeklagte habe sich an die jungen Menschen „angeschlichen als Freund“, sich als Bezugs- und Vertrauensperson ausgegeben, sich „auf alle erdenklichen Weisen versucht, die Zeuginnen dazu zu bringen, den Geschlechtsverkehr zu vollziehen“. Und dann schmutzigste Dinge von den Minderjährigen verlangt, für Geld: 40, 50, selten 100 Euro zahlte Wolski. Um gerade den Mädchen dann noch Schuldkomplexe einzureden, wenn sie sich wehrten oder zu verabredeten Treffen doch lieber nicht kamen.

Besonders in Erinnerung geblieben war der Kammer der Satz des jüngsten Opfers, den es dem Politiker geschrieben hatte, nachdem er es unter der Gürtellinie beschimpft hatte: „Ich bin nicht gemein. Ich bin ein Kind.“ Feldhaus wiederholte ihn mehrfach, „man fasst sich an den Kopf“. Wolski sah den Richter unverwandt an, ihm gegenüber atmeten zwei seiner Opfer schwer, schüttelten häufig den Kopf.

Opfer: „Ich hätte mich nie auf die Sache einlassen dürfen“

„Ein ungutes Gefühl“ habe sie gehabt, hatte eine 17-Jährige zuvor gesagt, es seien Erinnerungen hochgekommen. Sie muss 15 gewesen sein, als der damalige Vize-Bürgermeister sie bei Instagram anschrieb – mit seinem Klarnamen und dem offiziellen Stadtfoto. Sie habe dem Profil geglaubt, erzählte niemandem von späteren Sex-Treffen mit dem Mann. „Ich hätte mich nie auf die Sache einlassen dürfen“, sagt das Mädchen, und noch wichtiger: jemandem davon erzählen müssen.

Offen sagte die junge Frau: „Ich habe einen Fehler gemacht und er auch.“ Sie sei noch nach zwei, drei Jahren „täglich dabei, das alles aufzuarbeiten. Das geht einfach nicht aus dem Kopf“. Es ist der jungen Frau unangenehm, ein Nebenklage-Anwalt sprach von „andauernden Traumatisierungen“. Sie aber wollte an diesem Tag dabei sein, das Urteil hören. Um endlich abschließen zu können.

Minuten vor der Urteilsverkündung: Daniel Wolski?
Minuten vor der Urteilsverkündung: Daniel Wolski? © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Öffentlichkeit wird einmal mehr ausgeschlossen

Bei ihr hatet sich Daniel Wolski zuvor persönlich entschuldigt. „In aller Form und von Herzen“ bat er die 17-Jährige um Vergebung. Ähnlich hatte er auch schon am letzten Prozesstag eine junge Nebenklägerin angesprochen, sich noch allgemeiner geäußert vor seinem Geständnis im März.

Für sein letztes Wort brauchte der Angeklagte keine fünf Minuten. Das Publikum hörte nicht mit, die Öffentlichkeit wurde einmal mehr ausgeschlossen in diesem Prozess, in dem es um so viele junge Mädchen ging und ihre intimsten Erlebnisse. Daniel Wolski wird also nicht viel mehr gesagt haben als ein paar Sätze der Entschuldigung.

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Nebenkläger: „Wolski hat seine soziale Überlegenheit ausgenutzt“

Rechtsanwalt Andreas Hebestreit, der ein anderes, damals 15-jähriges Opfer vertrat, nannte es „perfide“, wie Daniel Wolski sich über Jahre besonders unter Minderjährigen umgesehen habe, die aus einem „benachteiligten Milieu“ kamen, wenig familiären Rückhalt hatten. Ein gebildeter Mann wie er, der jahrelang als Versicherungskaufmann beschäftigt war und mehr als zehn Jahre im Rat der Stadt Lünen saß, müsse gewusst haben, „dass verboten ist“, was er tat.

Wolski sei ein atypischer Täter, fand Jurist Andreas Hebestreit, man denke bei den Vorwürfen „an andere Figuren“. Dieser Angeklagte aber sei adrett, wortgewandt, gut frisiert aufgetreten. Im Prozess habe der Politiker geschickt agiert: „Wie jemand, der im Dschungelcamp versucht, möglichst viele Sterne zu sammeln.“ Neben seinem ausführlichen Geständnis und seinen Entschuldigungen hat Wolski inzwischen auch 15.000 Euro an die meisten seiner Opfer gezahlt, als Wiedergutmachung. Das Geld, ist den Überweisungsträgern zu entnehmen, gehörte allerdings seinen Eltern.

Dass es diesen Täter-Opfer-Ausgleich gab, wertete die Strafkammer trotzdem für den Angeklagten. Viele Einzelstrafen zog sie zu drei Jahren und sechs Monaten zusammen. Und betonte, man habe Wolski – Bürgermeister hin oder her – wie jeden anderen behandelt: „Für die Strafzumessung war dieser Umstand nicht relevant.“

>>>INFO: WAS STAATSANWALTSCHAFT UND VERTEIDIGUNG WOLLTEN

Ihre Plädoyers hatten Ankläger und Verteidigung bereits drei Wochen vor der Urteilsverkündung gehalten. Der Staatsanwalt forderte für den laut Gutachterin voll schuldfähigen 41-Jährigen drei Jahre und zehn Monate Haft. Wolskis Verteidiger Arabella Pooth und Edgar Fiebig wollten hingegen ihren Mandanten gar nicht hinter Gittern sehen: Pooth bat in ihrem Plädoyer um eine Bewährungsstrafe.