Essen. Robert Habeck mag für viele Protestler eine Reizfigur sein. Doch die Wut auf Politiker entlädt sich schon lange -- auch in NRW.

Bauern und Trittbrettfahrer des Protests blockieren eine Fähre, auf der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aus dem Kurzurlaub zurückkehrt: Brechen Dämme im Umgang mit Politikern?

Dass sich in sogenannten sozialen Netzwerken wie Facebook die Stimmung gegen Volksvertreter aufheizt, ist indes keine Neuigkeit. Spätestens mit der Flüchtlingskrise haben die Umgangsformen schwer gelitten. Und dabei geht es oft genug nicht gegen die Großen in Berlin, sondern gegen Bürgermeister, Landräte, Kommunalpolitiker. Schon 2016 kapitulierte Bocholts SPD-Chef Thomas Purwin vor den Hass-Mails, die seine elektronischen Postfächer im Dienst und privat monatelang geflutet hatten: Der damals 35-Jährige trat von seinem Amt zurück.

Lokalpolitiker: „Ja, ich habe Angst“

„Ja, ich habe Angst“, bekannte er vor mehr als sieben Jahren in einem Gespräch mit der WAZ. Den Ausschlag habe am Ende eine Mail gegeben, in der ein Unbekannter erstmals Purwins zweijährige Tochter und seine Lebensgefährtin (37) beschimpft und bedroht habe. „Die Wortwahl ist so krank und abartig, dass ich sie gar nicht wiederholen möchte“, sagte er.

Er selber sei irgendwie mit den primitiven Anwürfen zurecht gekommen. „Aber wenn die Familie mit reingezogen wird, ist einfach Schluss, dann hält man das nicht mehr aus.“ Seine offensive Verteidigung der Flüchtlingspolitik auf Facebook habe den Absender provoziert. „Ich nehme kein Blatt vor den Mund und bin halt dadurch angreifbar.“

„Wir müssen uns mit aller Entschlossenheit und Konsequenz diesen Angriffen auf unsere Demokratie entgegenstellen, denn diese Hetze trifft uns alle“, forderte die damalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Doch anonyme Hetzer sind im Netz schwer aufzustöbern.

Reul: Täter aus der Anonymität des Netzes holen

In NRW laufen die Verfahren im Zusammenhang mit Hassnachrichten im Internet bei der Zentralen Ansprechstelle Cybercrime (ZAC NRW) zusammen. Aktuelle Zahlen zu laufenden Verfahren konnte das Landeskriminalamt auf Anfrage am Freitag nicht nennen. Es bleibe aber nicht nur bei bundesweiten Aktionstagen gegen politisch motivierte Hasspostings, betonte ein Sprecher.

„Wir müssen noch mehr Täter aus der Anonymität des Internets herausholen. Deshalb werbe ich weiter dafür, Straftaten anzuzeigen – auch das geht übrigens online“, bat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) schon vor einer Weile.

Bottrops Oberbürgermeister stellte Strafanzeige

„Ich habe das erste Mal eine Strafanzeige gestellt wegen einer Falschbehauptung auf Facebook“, erzählte Bottrops Oberbürgermeister Bernd Tischler (SPD) unlängst im WAZ-Interview. „Im Moment kriege ich nächtlichen Besuch, der nicht zufrieden ist mit städtischen Entscheidungen, und der immer Papiere in den Briefkasten und in den Vorgarten legt. Ich gehe da professionell mit um. Ich habe keine Angst und lasse mich da auch nicht einschüchtern. Aber ich merke, dass die Diskussion härter und ruppiger wird.“

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Grevenbroichs Bürgermeister friert seinen Facebook-Auftritt ein

Sein Grevenbroicher Amtskollege Klaus Krützen hat bereits Konsequenzen gezogen und seinen Facebook-Auftritt eingefroren. Dem WDR erklärte er, die Plattform habe sich zu sehr entfernt von einem Forum für gute Diskussionen. Oft werde nur „eine Sau durchs Dorf getrieben“. Dass auch Grevenbroich Flüchtlinge aufnehmen und unterbringen müsse, habe er unter anderem bei Facebook versucht zu erklären. Einige User hätten das aber nur zum Anlass genommen, um über Flüchtlinge und auch Verwaltungsmitarbeitende zu hetzen. „Das hat Ausmaße angenommen, die auch meinen Kolleginnen und Kollegen gegenüber nicht mehr tolerabel sind“, stellte der Bürgermeister klar.

Wahlkampfautos gingen in Flammen auf

Bereits im Landtagswahlkampf 2017 war der Herner CDU-Kandidat Sven Rickert Ziel von Anschlägen. Gleich zwei seiner Wahlkampfautos gingen in Flammen auf. Nur zwei Monate später wurde der Wahlkampfbus der SPD-Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering angezündet. In beiden Fällen ermittelte der Staatsschutz, Täter wurden nie ermittelt. In Essen demolierten Unbekannte das Auto von AfD-Politiker Guido Reil und beschmierten sein Haus.

Wie weit der Hass auf Politiker am Ende gehen kann, davon zeugen vor allem zwei Taten: Der Messerangriff auf den CDU-Politiker Andreas Hollstein 2017 im sauerländischen Altena, bei dem er leicht am Hals verletzt wurde. Und der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Sommer 2019.

Demonstrationen vor privaten Wohnhäusern von Politikern

Für ihren Protest gegen die Corona-Politik versammelten sich Demonstranten in den vergangenen Jahren zuweilen auch gerne vor den privaten Wohnhäusern von Politikerinnen oder Politikern. In Süddeutschland sahen sich Landratsämter genötigt, Versammlungen per Allgemeinverfügung im näheren Umfeld der Häuser zu verbieten. Juristin Eva Maria Bredler von der Universität Münster zeigte bei tagesschau.de Verständnis: „Politiker*innen sind darauf angewiesen, einen Rückzugsbereich zu haben.“ Die Fackelmärsche zielten gerade darauf ab, für Angst und Schrecken zu sorgen. „Das sind Bilder, die durch die Republik gehen, und das darf nicht normalisiert werden.“ (mit ks/t.b.)