Essen. Ob Impf-Experten, Klima- oder Migrationsforscher: Immer mehr Wissenschaftler werden Opfer von Hass im Netz. Eine Anlaufstelle bietet nun Hilfe.
Seit Jahren erhält der Bielefelder Soziologe Andreas Zick ungezählte Drohmails und Hassbotschaften. Die Palette der Angriffe reiche von Kampagnen in den sozialen Netzwerken über Störungen bei Veranstaltungen bis hin zu gezielten Anrufen oder direkten Kontakten, berichtet der renommierte Migrations- und Extremismusforscher. „Mir wurde einmal mitgeteilt, dass von einer anonymen Gruppe über mich die Todesstrafe verhängt wurde“, sagt Zick.
Beleidigungen, Beschimpfungen, Hassbotschaften, persönliche Angriffe oder gar Morddrohungen – immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfahren nach öffentlichen Äußerungen Angriffe oder diffamierende Kampagnen im Netz. „Wissenschaftsfeindlichkeit ist nicht neu, doch seit Jahren mehren sich die Angriffe auf Forschende in Forschungsgebieten mit gesellschaftlicher Relevanz“, sagt Kristin Küter von der bundesweiten Initiative „Wissenschaft im Dialog“ (WiD).
Viele Attacken aus dem rechten Spektrum
Viele Betroffene fühlen sich den digitalen Attacken wehrlos ausgeliefert. Mit der neuen Anlauf- und Beratungsstelle „Scicomm-Support“ sollen betroffene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun erstmals professionell unterstützt werden. Das Angebot soll auch verhindern, dass sich Forschende verängstigt und frustriert aus der Öffentlichkeit zurückziehen.
Ein Großteil der Angriffe ziele konkret gegen Personen und stamme zumeist aus dem rechtsextremen Spektrum, berichtet Andreas Zick, Leiter des Instituts für Konflikt und Gewaltforschung der Uni Bielefeld. „Mein Umfeld und ich haben schwere Drohungen erhalten, die auch beim Staatsschutz gelandet sind.“ Oft entzündeten sich die Angriffe an gesellschaftlich umstrittenen Themen wie Migration, Integration, Rassismus, Islam, Klimawandel, Geschlechtergleichstellung und Rechtsextremismus, so Zick.
„Wir leben mit der Wissenschaftsfeindlichkeit“
Fast jede neue Studie zu diesen Themen werde in den sozialen Netzwerken herabgewürdigt und mit Wut und Hass versehen. Wissenschaftlerinnen seien zudem häufig zusätzlich mit sexistischen Angriffen konfrontiert. „Wir leben mit der Wissenschaftsfeindlichkeit“, sagt Andreas Zick. Er selbst äußere sich nur ungern über konkrete persönliche Erfahrungen, „weil das in der rechten Szene als Erfolg gefeiert wird. Man freut sich, wenn der Hass ankommt und Menschen eingeschüchtert werden.“
„Irgendwann kriegen wir dich“. Hassmails dieser Art musste der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl für sein öffentliches Eintreten für Corona-Impfungen ständig ertragen. Immer noch bekomme er mehrmals in der Woche anonyme Botschaften. „Wir seien von der Pharmaindustrie bezahlt und betrieben eine Auslöschungskampagne“, berichtet Watzl über Angriffe gegen ihn und seine Zunft.
Corona-Impfung als Reizthema
Besonders heftig seien die Reaktionen gewesen, als er die Impfung von Kindern empfohlen habe. „Wollen Sie alle Kinder umbringen?“, lautete ein Kommentar, und man drohte ihm mit einer großen Abrechnung wie bei den „Nürnberger Prozessen“ – in absurder Anlehnung an die Nazi-Prozesse.
Der Essener Chef-Virologe Ulf Dittmer musste sich während der Pandemie zahlreiche Anfeindungen und Hasskommentare gefallen lassen. „Nach einer Vortragsveranstaltung bin ich einmal so bedrängt worden, dass ich spontan gegangen bin.“ Dittmer hat sich während der Pandemie in den Medien häufig öffentlich zu umstrittenen Themen geäußert, stets sachlich und mit unumstrittener Kompetenz.
Attacken über die sozialen Medien
Ein besonderes Reizthema war die Corona-Impfung. „Meine klaren Aussagen für die Impfung haben mir die meisten Beleidigungen eingebracht.“ Sachliche Kritik oder Wünsche nach Aufklärung habe er immer beantwortet. Persönliche Beleidigungen und haltlose Aussagen dagegen nie, erinnert sich Dittmer. Geholfen habe, dass er nicht in den sozialen Netzwerken aktiv war - und es bis heute nicht ist.
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Auch der Mediziner Oliver Witzke erhielt aggressive Botschaften. Der Chef der Klinik für Infektiologie am Uniklinikum Essen sprach sich in der Pandemie für die umstrittene Maskenpflicht und Impfungen sowie gegen Massenveranstaltungen aus. „Impfe dich doch selbst“, lautete eine noch eher harmlose Mail. „Ich bekam auch lange Abhandlungen darüber, dass ich mich als Mediziner irre und es Corona gar nicht gibt“, erzählt Witzke.
Eingeschüchtert und verunsichert
Persönlich bedroht gefühlt habe er sich aber eher durch aggressive Patienten oder Angehörige in der Klinik als durch Hassmails. „Die habe ich gelöscht und dann war es gut.“ Die Kanäle, über die er sich äußerte, wählte er wegen der befürchteten Reaktionen sorgsam aus. „Twitter, Facebook und Instagram habe ich gemieden.“ In Talkshows trat er nicht auf.
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„Viele Wissenschaftler fühlen sich durch solche Angriffe verunsichert und ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück“, sagt Kristin Küter von WiD. „Aber das wäre ein schlechter Weg.“ Von Forschenden werde heute erwartet, dass sie ihre Arbeit öffentlich erklären und sich in die Debatten einbringen. Diese Offenheit macht sie aber zugleich angreifbar.
Initiative „Scicomm-Support“ berät Betroffene
Laut Küter beobachten die Kommunikations-Abteilungen der Hochschulen, Kliniken und Forschungsinstitute eine Zunahme der Fälle. „Es besteht ein wachsender Bedarf an Unterstützung und Beratung für die betroffenen Wissenschaftler und Presseabteilungen.“ Gesicherten Daten und Zahlen aber gibt es bislang nicht, eine wissenschaftliche Aufarbeitung sei erst in Arbeit.
An dieser Stelle setzt die neue Beratungsstelle an. „Scicomm-Support“ ist eine Initiative des Bundesverbands Hochschulkommunikation und „Wissenschaft im Dialog“ und bietet Forschenden Hilfe im Umgang mit digitalen Angriffen an – bis hin zu juristischer Beratung, erklärt Projektleiterin Küter. Zugleich sollen die wachsende Wissenschaftsfeindlichkeit in der Gesellschaft untersucht und Gegenstrategien entwickelt werden.
Wissenschaftler begrüßen neue Anlaufstelle
Dass es mit „Scicomm-Support“ nun eine erste professionelle Beratungsstelle für angegriffene Forscher gibt, begrüßen die Wissenschaftler einhellig. „Das ist eine gute Idee. Wir sind nicht darauf vorbereitet und dafür ausgebildet, um mit solchen Angriffen umzugehen“, sagt Oliver Witzke. Die Anlaufstelle könne dabei helfen, die Attacken endlich sichtbar zu machen, meint Andreas Zick. „Es ist eine gute Möglichkeit, all die Angriffe besser ins Hellfeld zu bringen.“
Dass es Zeit war für eine solche Anlaufstelle war, sagt auch Carsten Watzl: „Wir wollen die Menschen sachlich informieren und unser Wissen zur Verfügung stellen. Wenn man aber so hart attackiert wird, überlegt man es sich vielleicht, ob man das auf sich nehmen will. Man muss die Wissenschaftler schützen, die sich sachlich zu kontroversen Themen äußern.“
>>>> Umfrage: Mehrheit berichtet von Angriffen
Wir akut das Problem ist, zeigte eine nicht repräsentative Umfrage der Fachzeitschrift Nature im Oktober 2021. Danach sahen sich 80 Prozent der befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in der Pandemie öffentlich geäußert haben, persönlichen Angriffen ausgesetzt.
Etwa ein Viertel berichtete über Androhungen von Gewalt, 15 Prozent gaben an, Morddrohungen erhalten zu haben. Dazu gehörten in Deutschland auch der SPD-Politiker Karl Lauterbach, der Virologe Christian Drosten sowie Lothar Wieler, der ehemalige Leiter des Robert-Koch-Instituts.