Mülheim. Ralf Hillenbrand findet Weihnachten fürchterlich. Das Fest will der Mülheimer allein verbringen. Wie er das seiner Freundin erklärt.
Wenn die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss fällt, das laute Rauschen der Stadt nicht mehr zu hören und er endlich alleine ist, dann breitet sich in Ralf Hillenbrand eine „tiefe Freude“ aus. Während andere an Heiligabend ihre Tür weit öffnen, um mit Freunden und Familie ein festliches Essen zu genießen, Weihnachtslieder zu singen und die Geschenke unterm Tannenbaum auszupacken, feiert der 59-Jährige ganz allein. Um genau zu sein: Er feiert eigentlich gar nicht. Denn Ralf Hillenbrand hasst Weihnachten.
Schon Wochen vorher macht er einen großen Bogen um jeden Weihnachtsmarkt, meidet Lebkuchen, Spekulatius und Schoko-Weihnachtsmänner und schaltet das Radio aus, wenn „Last Christmas“ gespielt wird. In seiner Wohnung steht kein Adventskalender, kein Adventskranz, kein Weihnachtsbaum. „Ich habe eine diebische Freude daran, an all dem nicht beteiligt zu sein“, sagt Hillenbrand. Seine Abneigung gegenüber Weihnachten ist in seiner Heimatstadt Mülheim längst kein Geheimnis mehr. Für viele seiner Nachbarinnen und Nachbarn im Stadtteil Saarn ist Hillenbrand nur noch „der Grinch“.
Der Grinch: Held aller Weihnachtsmuffel
Das giftgrüne, behaarte Wesen aus Dr. Seuss Kinderbuch „Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat“ (1957) ist zum Anti-Weihnachtsmann und Helden aller Weihnachtsmuffel geworden. Ein kurzer Exkurs für alle, die trotz der populären Verfilmungen bisher um den Grinch herumgekommen sind: Der Grinch hat in seiner Kindheit schlechte Erfahrungen mit dem Weihnachtsfest gemacht und hasst die Feiertage.
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Deshalb stört es ihn, dass die Bewohner seines Nachbarortes, die „Whos“, das Fest so überschwänglich feiern. Um ihnen die Freude zu zerstören und Weihnachten ein Ende zu setzen, stiehlt er – verkleidet als Weihnachtsmann – all ihre Geschenke. Doch obwohl die große Bescherung ausfällt, feiern die „Whos“ trotzdem. Da erkennt der Grinch, dass Weihnachten viel mehr bedeutet – und feiert glücklich und zufrieden mit. Und wenn sie nicht gestorben sind… .
Mülheimer: „Habe Weihnachten als Kind immer als problematisch erlebt“
„Ganz lustig“, findet Ralf Hillenbrand die Geschichte. Er hat den Film einmal gesehen. Und zwar erst, nachdem immer mehr Menschen ihn als „Grinch“ bezeichneten, ohne dass er wusste, was sie damit meinten. Tatsächlich hat Hillenbrand viele Gemeinsamkeiten mit dem Grinch. „Ich habe Weihnachten als Kind immer als problematisch erlebt“, erzählt er. Wenn er zurückdenkt, dann vor allem an „Stress und Streitereien“. So lange er denken kann, seien die Feiertage für ihn eine Belastung gewesen. „Insofern ist es sicherlich auch eine Altlast, die ich da irgendwo habe“, sagt er.
Vor rund 20 Jahren habe er daher beschlossen, mit Weihnachten zu brechen. „Es war ja nie so, dass ich gezwungenermaßen allein war. Für mich ist es eher ein Privileg.“ Eine Entscheidung, die nicht alle nachvollziehen können. „Meine Freundin musste sich daran gewöhnen, weil sie so ein Familienmensch ist.“ Für das Paar ist es bereits das dritte gemeinsame, beziehungsweise getrennte Weihnachtsfest. An Heiligabend sehen sich die beiden dieses Jahr noch bis mittags. Dann fährt seine Partnerin zu ihrer Familie, wo sie den Abend verbringt. Hillenbrand bleibt allein zu Haus.
„Die Dinge sind, wie sie sind. Und ich mute ihr ansonsten im Zusammensein nicht viel zu, sodass sie das ertragen kann“, sagt Hillenbrand und lacht. Doch auch die Familie seiner Partnerin tat sich anfangs schwer, zu verstehen, warum er Weihnachten lieber allein anstatt mit ihnen verbringt.
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„Aber ich habe es ihren Eltern und Geschwistern selbst erklärt und mittlerweile ist es kein Ding mehr, sondern sorgt eher für Erheiterung.“ Hillenbrand möchte auch niemandem die Freude am Fest verderben oder andere gar dazu bewegen, es ihm gleich zu tun. „Jeder soll so feiern, wie er mag. Ich freue mich einfach nur, dass ich mich da rausziehen kann.“
Deutsche geben im Schnitt 250 Euro für Weihnachtsgeschenke aus
Diese Freude breite sich vor allem dann aus, wenn er anderen dabei zu sieht, wie sie gestresst von Geschäft zu Geschäft rennen, damit sich an Heiligabend ein Berg an Geschenken unter ihrem Weihnachtsbaum auftürmen kann. „Die ganze Welt brennt und die Leute haben nichts anderes zu tun, als die Läden leer zu kaufen. Das finde ich persönlich schwierig und kann es nicht nachvollziehen“, sagt er.
In diesem Jahr geben die Deutschen laut einer Umfrage der Online-Plattform Statista im Schnitt 250 Euro für Weihnachtsgeschenke aus. Die jährliche Geschenkeschlacht nerve Hillenbrand „tierisch“ – auch, weil der wahre Sinn von Weihnachten dadurch verloren gehe: „Wenn gläubige Christen sagen, dass es für sie ein wichtiger Festtag ist, dann habe ich natürlich Respekt davor. Aber die meisten Kinder wissen doch gar nicht mehr, warum man überhaupt Weihnachten feiert.“
Wie viel Geld geben Sie für Weihnachtsgeschenke aus? Das wollten wir von Menschen aus dem Ruhrgebiet und der Region wissen. Ihre Protokolle finden Sie hier:
- Christiane P. aus Gelsenkirchen hat uns erzählt, wie Weihnachten sie als alleinerziehende und armutsgefährdete Mutter unter Druck setzte – und wie sie es geschafft hat, ihrer Tochter trotzdem etwas zu schenken. Das Protokoll lesen Sie hier: Weihnachten in armen Familien: „Man muss kreativ werden“
- Die 33-jährige Michelle aus Düsseldorf lebt zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter (6) minimalistisch. Warum sie nichts von Geschenken hält – und wie sie das ihrer Tochter erklärt, lesen Sie hier: Minimalistische Weihnachten: „Halte nichts von Geschenken“
- Carsten (48) ist Feuerwehrbeamter in Bochum und achtet beim Schenken nicht aufs Geld. Warum er schon mal mehr als 1000 Euro ausgibt, lesen Sie hier: Geschenke für 1300 Euro? Bochumer spart nicht an Weihnachten
Aus seiner Sicht überfordert aber nicht nur die „Flut an Geschenken“ viele Familien, sondern auch der Druck, der mit den hohen Erwartungen an Weihnachten einhergeht. Forschende der Uni Göttingen haben herausgefunden, dass die meisten Menschen in der Weihnachtszeit durchschnittlich wesentlich schlechter gelaunt und weniger zufrieden sind als im Rest des Jahres.
Denn die Hoffnung, dass alles so perfekt wird wie in den Weihnachtsfilmen, wird oft schon dann zerstört, wenn der Oma das Essen nicht schmeckt, dem Kind das Geschenk nicht gefällt und der Onkel seine Stammtischsprüche zum Besten gibt.
Weihnachten wird für viele Paare zum Fest des Liebeskummers
Und ausgerechnet das Fest der Liebe wird für viele zum Fest des Liebeskummers. Statistisch gesehen trennen sich zwei Wochen vor Weihnachten die meisten Paare. Der 11. Dezember wurde daher inoffiziell bereits zum „Tag der Trennung“ erklärt. „Alle sollen glücklich sein, alles Happy Family. Aber der Witz ist ja: Es ist genau andersrum. Die meisten, mit denen ich spreche, gerade die Eltern, sind tatsächlich froh, wenn die Nummer wieder vorbei ist“, erzählt Hillenbrand.
Er kann sich daher auch nicht vorstellen, jemals wieder Weihnachten zu feiern. „Ich trauere dem aber auch nicht hinterher, mir liegt einfach nichts an den Feiertagen. Es ist auch nicht so, dass ich sagen würde, dass ich ein Weihnachts-Fan wäre, wenn Weihnachten anders gefeiert werden würde. Ich bin da einfach völlig raus.“
Das ist wohl der große Unterschied zwischen dem „Grinch von Mülheim“ und dem echten Grinch. Letzterer entdeckt seine Liebe für Weihnachten schließlich doch noch wieder. „Ich habe praktisch mein komplettes Leben einen Hass auf Weihnachten und alles drum herum gehabt. Heute erkenne ich, ich habe überhaupt nicht Weihnachten gehasst. Ich habe es gehasst, allein zu sein“, sagt er am Ende des Films. Hillenbrand hingegen liebt das Alleinsein.
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Trotzdem prangert an seiner Wohnungstür da, wo ein Schild mit seinem Namen hängen sollte, ein Bild der giftgrünen Kreatur als Symbol seines Weihnachtshasses. Alle, die sich fragen, ob sie Hillenbrand nicht doch spontan an den Feiertagen besuchen sollen, erhalten damit eine klare Antwort. Und Hillenbrand kann die freie Zeit hinter verschlossener Tür genießen. Ganz allein.
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