Düsseldorf. „Wieso habe ich so wenig Spielzeug, Mama?“, wurde Sula von ihrer Tochter gefragt. Die Düsseldorferin lebt minimalistisch. Wie das im Alltag geht.
Die Wände weiß, die Bettdecke ordentlich gefaltet, die Bücher im Flechtkorb drapiert. „Ich liebe diese Leere“, sagt Sula, als sie im Kinderzimmer steht. Erst als sie den kleinen Bettkasten auszieht, wird es bunt: Barbies liegen neben Puppen-Kleidern, Kuscheltieren und Legosteinen. Mehr Spielzeug besitzt ihre sechsjährige Tochter nicht. Die Familie lebt nach einem klaren Prinzip: weniger ist mehr.
Minimalismus liegt im Trend. Autorin Marie Kondō machte den Lebensstil in den USA bekannt. Heute wollen auch in Deutschland immer mehr Menschen bewusst auf Konsum verzichten – für mehr Freiheit, Wohlbefinden oder Nachhaltigkeit. Aber kann das auch als Familie funktionieren?
Minimalistin aus Düsseldorf: Macht mich der Gegenstand wirklich glücklich?
„Dein minimalistischer Kleiderschrank“: So lautete der Titel des Videos, das Sula vor fast zehn Jahren per Zufall auf Youtube entdeckte. „Das hat mich total gecatcht. Es war ein krasser Kontrast zu dem, wie wir damals gelebt haben“, erinnert sich die 33-Jährige, die in Kasachstan geboren wurde und in Gelsenkirchen aufwuchs. Sie begann auszusortieren – erst ihren Kleiderschrank, dann das Schlafzimmer, schließlich die ganze Wohnung.
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„Macht mich der Gegenstand glücklich? Brauche ich ihn wirklich?“: Alles, bei dem sie diese Frage nicht eindeutig mit „Ja“ beantworten konnte, landete auf Ebay-Kleinanzeigen, bei Freunden oder in „Zu verschenken“-Kisten vor der Haustür. „Das bringt so eine Leichtigkeit mit sich. Man muss weniger putzen und hat einfach mehr Ordnung“, sagt Sula.
Diese Vorteile hätten nach und nach auch ihren Mann vom Minimalismus überzeugt. Die Wohnung der beiden wurde immer leerer – bis ihre Tochter geboren wurde. Obwohl die Eltern selbst nur das Nötigste kauften, stapelten sich durch die Geschenke von Freunden und Verwandten bald Spielzeug und Baby-Kleidung.
„Dass wir ein Kind bekommen haben, hat unseren Lebensstil sehr herausgefordert. Wir haben gemerkt, dass wir überlegen müssen, was unsere Tochter wirklich braucht – und was nicht.“ Damals trafen die Eltern diese Entscheidung noch allein, heute beziehen sie ihre Tochter immer mit ein. Es sei ihnen schließlich wichtig, ihr den Minimalismus nicht einfach aufzudrängen.
Minimalismus-Familie in NRW: „Meine Freundin hat viel mehr Spielzeug als ich“
„Einmal kam meine Tochter nach Hause und hat gesagt: ,Meine Freundin hat viel mehr Spielzeug, wieso habe ich so wenig?’ Da habe ich sie gefragt, warum genau sie das stört, und ob es nicht schöner ist, nur das Spielzeug zu haben, mit dem man wirklich gerne spielt, wie mit ihrer Puppe oder ihren Barbies. Das hat sie dann verstanden. Das ist uns ganz wichtig: Sie erlaubt uns diesen Lebensstil. Wäre sie dagegen, könnten wir so nicht leben“, erzählt Sula.
Mittlerweile sortiert ihre Tochter selbst regelmäßig aus. Vor kurzem habe sie Sula gebeten, ihre Toniebox für sie zu verkaufen. „Sie weiß, dass das Geld aus dem Verkauf in eine Spardose kommt und sie sich dann irgendwann etwas Neues davon kaufen kann.“
Um ungenutztes Spielzeug aufzubewahren, dafür fehlt es der Familie auch schlichtweg an Platz. Seit einem halben Jahr wohnen die Drei auf 50 Quadratmetern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Düsseldorf. Ihre Tochter hat ein eigenes Zimmer, die Eltern nicht. „Wir haben gemerkt, dass unser Leben sich sowieso zu 90 Prozent im Wohnzimmer abspielt. Also wollten wir testen, ob es auch ohne ein extra Schlafzimmer klappt“. Ob ihnen die Privatsphäre nicht fehle? „Nein, man kann sich ja trotzdem mal zurückziehen. Wenn zum Beispiel meine Tochter und mein Mann im Wohnzimmer spielen, lege ich mich einfach in ihr Bett und habe meine Ruhe“.
Eine Entscheidung, die viele nicht nachvollziehen können. Bei der Wohnungssuche sei es schwer gewesen, den Makler davon zu überzeugen, dass sie als Familie auf so engem Raum leben können. „Deine Tochter muss doch ihr Zimmer bunt gestalten dürfen!“ oder „Braucht sie nicht mehr Spielzeug?“: Vorwürfe wie diese muss Sula sich oft aus dem Freundes- und Bekanntenkreis anhören. „Man eckt schon an. Aber meiner Tochter fehlt ja nichts. Im Gegenteil: Ich glaube viele Kinder sind von zu viel Spielzeug auch überfordert.“
Düsseldorfer Familie sieht Minimalismus als „Experiment“
Sie hat nicht das Gefühl, ihre Tochter einzuschränken. „Sie liebt es, zu malen und zu basteln. Ich würde ihr also immer neue Stifte und Malsachen kaufen, auch wenn sie eigentlich genug hat“, sagt Sula. Sich wie andere Minimalistinnen und Minimalisten eine Grenze zu setzen an Gegenständen, die man besitzen darf, kann sie sich daher nicht vorstellen.
Für Sula ist ihr Lebensstil vielmehr ein Experiment. „Wenn wir merken, dass es uns nicht mehr glücklich macht oder sich unsere Tochter zum Beispiel mehr Platz wünscht, würden wir natürlich nach einer größeren Wohnung suchen.“
So lange wollen sie von den Vorteilen des Minimalismus profitieren. Ein großer Pluspunkt: Sie zahlen deutlich weniger Miete. Das ermöglicht es Sula, nicht arbeiten zu müssen und sich um ihre Tochter kümmern zu können, erzählt sie: „Das ist für mich Luxus und mir persönlich viel mehr wert als in einer großen Wohnung zu leben und viel zu besitzen.“
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