Arnsberg/Ruhrgebiet. Nach dem Aus für eine geplante Asylunterkunft des Landes in Arnsberg stehen Großprojekte in der Kritik. Doch was ist die Alternative?
„Das Vorhaben spaltet den Ort.“ Dieser Satz fasst zusammen, warum es immer schwieriger wird, Asylunterkünfte zu schaffen. Essen-Heidhausen, Mülheim-Raadt, Gladbeck und nun Arnsberg: Selbst wenn die Projekte nicht scheitern: Wenn Bürger protestieren und Populisten profitieren, steigen die gesellschaftlichen Kosten. Wo und wie kann man noch Geflüchtete unterbringen, wie es das Gesetz vorschreibt?
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Als Anfang der Woche in Arnsberg, genauer im zugehörigen Örtchen Oeventrop, der Umbau einer leerstehenden Klinik zur „Zentralen Unterbringungseinrichtung“ besprochen werden sollte, quetschten sich so viele Nachbarn in die Ruhrtalhalle, dass die Versammlung nach draußen übertragen wurde. Viele buhten, einige riefen „Judas“, andere argumentierten, bis Investor Christoph Kraas ans Mikro trat: „Ich sage hiermit ab. Das Vorhaben spaltet den Ort.“ Später übersetzte Kraas diesen Satz noch einmal: „Wenn ich den Vertrag mit der Bezirksregierung abgeschlossen hätte, hätte ich hier mit meiner Familie wegziehen können.“
Die Nachbarn drohen
Auch Peter Jänsch lebt mit seiner Familie in dem Ort, wo er eine Flüchtlingsunterkunft für die Stadt Essen einrichten wollte – und auch er zog sein Vermietungsangebot Anfang Juni zurück. Heidhausen ist ähnlich strukturiert wie Oeventrop: Die nicht einmal 7000 Einwohner kennen einander. Und ein wiederum nicht kleiner Teil gründete eine Bürgerinitiative, schrieb Handzettel, 85 Menschen drohten schließlich, gegen das Vorhaben zu klagen – 85 Nachbarn!
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Dabei hatte Jänsch ohnehin Wohnungen schaffen wollen in dem ehemaligen Verwaltungsgebäude, nur war eben die Essener Stadtverwaltung auf ihn zugekommen. Deren Chef, Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), hatte den Mietvertrag mit zwölf Jahren Laufzeit Mitte Mai durch den Stadtrat gepaukt – eine Woche nachdem das Vorhaben überhaupt bekannt geworden war. Man kann sagen: Er hatte einen Habeck-Moment. Wie beim Heizgesetz, dass wegen Übereilung höchstrichterlich gestoppt wurde, so war auch in Essen der Hauptkritikpunkt – selbst von Flüchtlingshelfern –, dass Bürger wie Lokalpolitiker sich überrumpelt fühlten.
Die Kommunikation wurde auch in Mülheim-Raadt von vielen Bürgern als mangelhaft bewertet – wieder ein im Herzen dörflicher Stadtteil, wo plötzlich hunderte Flüchtlinge im Neubaugebiet einzogen. 650 Plätze gibt es in dem ehemaligen Bürogebäude der ZUE, die Einrichtung soll auf zwei Jahre befristet sein. Die Stadt hatte eine Bürgersprechstunde zwar bereits im März angekündigt, aber erst jetzt eingerichtet – die Bürger standen vor vollendeten Tatsachen und haben sich massiv beschwert. Aber ob all diese Fälle anders ausgegangen wären mit besserer Kommunikation?
Geprüft werden überwiegend große Unterkünfte
Es werde immer schwieriger, geeignete Immobilien zu finden, erklärt der Arnsberger Regierungspräsident Heinrich Böckelühr. „Eine ablehnende Haltung der Bevölkerung wie in Oeventrop löst das Problem nicht.“ Allein in der ersten Jahreshälfte kamen neben 220.000 Geflüchteten aus der Ukraine 25.000 Asylbewerber aus aller Welt nach NRW. Die Landeseinrichtungen sind laut Integrationsministerium zu 88 Prozent ausgelastet, „mit Hochdruck“ sollen die Kapazitäten ausgebaut werden, die Bezirksregierungen prüften über 40 potenzielle Flüchtlingsunterkünfte: vorrangig solche mit über 300 Plätzen. Wo es umsetzbar sei, würden aber auch kleinere Einrichtungen genutzt. Genau das fordert Böckelühr: Man solle die Kommunen bei der Finanzierung kleinerer eigener Unterkünfte stärker unterstützen. Große Einrichtungen mit mehreren Hundert Bewohnern „stoßen oft nicht auf Akzeptanz“. Oeventrop sei kein Einzelfall.
Der Flüchtlingsrat NRW sieht es ähnlich: „Auch aus Sicht der Bewohnenden“ sind kleinere Unterkünfte wünschenswert, erklärt Sprecherin Birgit Naujoks. In den großen Einrichtungen fehlten Privatsphäre und Rückzugsräume, das Konfliktpotenzial steige. Und natürlich werden kleinere Einrichtungen auch eher akzeptiert von den Nachbarn. „Natürlich ist es ein Unterschied, ob in einem Stadtteil mit 500 Bewohnern noch 500 Geflüchtete hinzukommen oder in einer Großstadt wie Köln. Dann merkt man es auch am Ortsbild.“
Keine große Auswahl
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Die Mieten und Betriebskosten allerdings, das Sicherheitspersonal, das vorgeschriebene Personal der Bezirksregierung vor Ort, die Verwaltung – alles wird teurer, je mehr Standorte ins Spiel kommen. Und natürlich haben die Bezirksregierungen und Städte oft keine große Auswahl, weiß Naujoks: Sie nehmen die Objekte, die ihnen angeboten werden.
Damit verknüpft ist ein weiteres Problem: „Wir brauchen bei der Aufnahme von Geflüchteten Planungssicherheit“, hat Thomas Kufen als Vorsitzender des Städtetages NRW jüngst gefordert. Die Idee: Wenn Bund und Land den Platzbedarf für die nächsten Jahre planen, müssen sie selbst und auch die Städte nicht kurzfristig Immobilien oder Zelte zu überhöhten Preisen mieten, müssen nicht Holzhütten aufbauen, abbauen, wieder aufbauen. Natürlich fordert Kufen damit einhergehend auch Geld. „Wir brauchen Strategien, damit vor Ort Integration geleistet werden kann und Kinder und Jugendliche in Kitas und Schulen einen Platz finden.“
Große Aufnahmebereitschaft?
Trotz der jüngsten Proteste im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften sieht das Integrationsministerium „grundsätzlich weiterhin eine große Aufnahmebereitschaft der Kommunen und der Bevölkerung“. Allerdings lassen sich Gegenbeispiele finden. In Gladbeck hat sich der Stadtrat Mitte Juni geschlossen gegen die Unterbringung von bis zu 620 Flüchtlingen im Hotel Van der Valk ausgesprochen (mit Enthaltung der grünen und der AfD). Es liegt mitten im Naherholungsgebiet Wittringen, was idyllisch klingt, allerdings gibt es weder Busverbindung noch sonstige Integrationsmöglichkeiten.
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Die Stadtspitze hatte sich anfangs für die Groß-ZUE ausgesprochen. Immerhin fallen die Kosten beim Land an, die Zahl der Menschen wird jedoch auf das städtische Kontingent „angerechnet“. Auch müssen die hier untergebrachten Kinder nicht regulär beschult werden – doch die Stimmung kippte. Wie die Bezirksregierung im Auftrag des Landes nun entscheidet, ist offen. Die Resolution des Stadtrates hat auch nur den Stellenwert eines Bürgerprotestes. (mit hase, mako, MD, schy, P.T.)
Info: Das dreistufige Asylsystem des Landes
Seit Ende 2017 gibt es in NRW ein dreistufiges System der Unterbringung: Zunächst müssen Asylsuchende sich in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum registrieren. Hier ist kein längerer Aufenthalt vorgesehen, aber aufgrund des Andrangs sind Übernachtungen doch notwendig, dafür gibt es eine Notunterkunft in Herne (zunächst bis Ende 2023 genehmigt).
Umgehend werden Asylsuchende dann auf „Erstaufnahmeeinrichtungen“ verteilt. Es gibt fünf solche Standorte in NRW, unter anderem in Essen und Unna. Hier werden die Personen überprüft und untersucht, hier stellen sie ihren förmlichen Antrag.
Meist sind sie nur eine Woche bis zehn Tage hier, dann geht es weiter in eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE). Derzeit gibt es 28 von diesen in NRW, die für 160 bis 1200 Personen ausgelegt sind. Es stehen 21.810 Unterbringungsplätze zur Verfügung. Hier bleiben die Menschen, bis sie abgelehnt oder einer Kommune zugewiesen werden.