Arnsberg. Der Widerstand der Bürger stoppte die Pläne des Investors Christoph Kraas in Arnsberg-Oeventrop. Was er und Anwohner am Tag danach sagen.

Am Tag danach steht Christoph Kraas vor dem Objekt, um das es in der Debatte geht: Ein ehemaliges Klinik-Gelände im Arnsberger Stadtteil Oeventrop im Hochsauerlandkreis. Kraas gehört das riesige Gelände, das seit Jahren brach liegt. Zusammen mit der Bezirksregierung Arnsberg hatte er Pläne angestellt, einen Teil des Gebäudes zu einer Flüchtlingsunterkunft umzufunktionieren.

Jubel in der Halle, als der Investor das Angebot zurückzieht

Doch eine Infoveranstaltung dazu geriet zunehmend emotional und endete am Montagabend mit einem Eklat. Der verbale Widerstand der wütenden Bürger war so vehement, dass der Investor und Immobilienbesitzer sein Angebot an das Land NRW zurückzog - unter dem Jubel der 750 Bürger in der Turnhalle des Ortes.

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„Ich habe ruhig geschlafen, weil ich mir nichts vorzuwerfen habe. Ich habe immer gesagt, dass ich das nicht allein entscheide, sondern dass das eine Entscheidung des Ortes ist“, sagt Kraas. Rund 300 Nachrichten hätten ihn nach der Absage erreicht, alle hätten ihn beglückwünscht. Kraas kommt aus Oeventrop, mit seiner Frau und den beiden Kindern (8 und 18) wohnt er in der 6000-Einwohner-Gemeinde, die auf einen Schlag weitere 450 Geflüchtete hätte aufnehmen sollen.

Bürgerversammlung: offene verbale Aggression

Fernsehsender drängeln sich am Tag danach um Kraas. Zur Stimmung in der Halle sagt er: „Ich habe mich nicht in die Ecke gedrängt gefühlt. Ich kann die Leute verstehen, die hier direkt an der geplanten Unterkunft wohnen.“

Bürgerversammlung in der Ruhrtalhalle in Oeventrop, wo Vertreter der Bezirksregierung und Investor Christoph Kraas die Pläne zu erläzern versuchten.
Bürgerversammlung in der Ruhrtalhalle in Oeventrop, wo Vertreter der Bezirksregierung und Investor Christoph Kraas die Pläne zu erläzern versuchten.

Das Beispiel Oeventrop zeigt, wie sehr es in Volkes Seele mitunter brodelt. Bei der Informationsveranstaltung wollten die meisten keine Informationen erhalten, sondern Protest zum Ausdruck bringen. Beiträge der Abgesandten von der Bezirksregierung wurden mit „Langweilig“-Rufen bedacht - und diese wiederum mit Jubel. Es gab „Buh“-Ruhe und offene verbale Aggression. Als „Judas“ und „Verräter“ sei Kraas bezeichnet worden, sagt ein Bürger, der vor Ort war.

Was erzählt all das über Oeventrop? Über die Flüchtlingspolitik? Über den Zustand des Landes?

„Die Menschen sind verunsichert und überfordert“

Die Antworten darauf sind vielschichtig. „Das war nicht gegen mich gerichtet, sondern gegen die Flüchtlingspolitik im Allgemeinen. Die Bürger sind verunsichert und überfordert, weil alles teurer wird, wegen der Inflation, wegen der Klima- und Flüchtlingskrise. Und die Politik in Berlin trägt zu dieser Verunsicherung noch bei. Die machen alles so, wie sie es nicht machen sollten“, sagt Kraas.

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Die Mieteinnahmen, sagt er, hätte er zur Hälfte mit der Gemeinde geteilt und spricht deswegen auch von einer vertanen Chance: Die Lehrschwimmbecken, sagt er, hätte er mit dem Geld gern wieder in Betrieb genommen oder die Tribüne der Handballhalle vergrößert, weil die erste Mannschaft den Aufstieg in die Verbandsliga geschafft hat. Nun will er in dem Gebäude u.a. betreutes Wohnen unterbringen.

400 bis 500 Geflüchtete mitten in einem Wohngebiet

Harald Raseke wohnt in Wurfweite des früheren Klinikgebäudes. Mit zwei weiteren Anwohnern hat er eine Unterschriftenaktion gegen die Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) für geflohene Menschen ins Leben gerufen: 1236 Unterzeichner in nur vier Tagen, sagt der 66-Jährige. Er spricht offenbar für viele im Ort. „In diesem Fall sollten 400 bis 500 Geflüchtete mitten in einem reinen Wohngebiet untergebracht werden. Das würde auch dann Konflikte bedeuten, wenn es sich nicht um Geflüchtete handeln würde.“

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Das Beispiel Soest, wo der Bürgermeister im Frühjahr einen Brandbrief an die NRW-Integrationsministerin geschrieben hatte, sagt Raseke, zeige, welche negativen Auswirkungen eine solche Unterkunft auf die Sicherheit des Umfelds haben könne. „Wir hatten hier Angst um unsere Kinder und Enkelkinder.“

Nach Facebook-Eintrag: in die rechte Ecke gestellt

In einer Facebook-Gruppe für Oeventroper hatte er, wie er sagt, die Pläne zu einer ZUE erstmals öffentlich gemacht, nachdem es im Ort schon gemunkelt wurde. Weil er seinen Unmut äußerte, sei er schon im dritten Kommentar in die rechte Ecke gestellt worden. Mit AfD und Co. will er aber nichts zu tun haben. An seiner Meinung ändert das nichts.

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„Wir vor Ort sind die letzten, die darüber entscheiden, wo welche Unterkunft hinkommt. Irgendwann sind aber die Möglichkeiten in Deutschland erschöpft“, sagt er. Damit meint er ganz besonders Oeventrop. Während der Flüchtlingskrise 2015 hätten die Bürger aus Oeventrop sowie die Flüchtlingshilfe viel geleistet, 150 Geflüchtete aufgenommen und integriert. Monatelang hätten die Kinder nicht in die Sporthalle gekonnt, weil sie belegt war. Zu viel sei eben irgendwann zu viel.

Absage an ZUE-Pläne: Tränen in den Augen vor Erleichterung

Zudem habe die Informationspolitik der Bezirksregierung nicht funktioniert. „Wir als Bürger hätten früher in Kenntnis gesetzt werden müssen. Man konnte den Eindruck haben, dass im stillen Kämmerlein schon alles festgezurrt worden war – und man uns das Ergebnis schon würde beibringen können. Das hat für zusätzlichen Ärger gesorgt.“ Hitzig sei es daher teilweise zugegangen bei der Versammlung, sagt er.

So hitzig, dass Kraas die Notbremse zog. Er will schließlich weiter in Oeventrop wohnen. Was, wenn er seinen Plan durchgezogen hätte und doch etwas geschehen wäre? „Nachdem ich gesagt hatte, dass ich mein Angebot an das Land zurückziehe, habe ich Menschen gesehen, die Tränen in den Augen hatten vor Erleichterung. Ich hatte nicht gedacht, dass das den Ort so belastet.“