Düsseldorf/Berlin. Krankenhausreform lässt die Sorge wachsen, dass viele Kliniken nicht überleben werden. Doch NRW sieht sich als Vorbild für andere Bundesländer.
Nach dem Kompromiss zur Krankenhausreform mischen sich in die Erleichterung auch große Sorgen. „Ich hoffe, dass unsere Häuser diese Reform noch überleben“, sagte der Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW), Ingo Morell am Dienstag. Denn auch wenn viele die Abkehr von den Fallpauschalen für den richtigen Weg halten: Da es kurzfristig kein zusätzliches Geld geben soll, fürchten Klinikbetreiber, Ärzte und auch das Pflegepersonal ein Klinik-Sterben.
Morell wirft der Bundesregierung vor, die stark steigenden Kosten, die die Kliniken bewältigen müssten, nicht abfedern zu wollen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stelle nur unverbindliche „Prüfaufträge“ für eine finanzielle Unterstützung in Aussicht. Dabei litten die Krankenhäuser in NRW und anderswo massiv unter Inflation, Energiekosten und hohen Tarifabschlüssen. Andere Ärzte und Klinikchefs nennen weitere Probleme: die immer noch vergleichbar schlechtere Auslastung nach der Pandemie, steigende Baukosten, einen Drang der Politik, stets mehr auf ambulante Versorgung zu setzen und Liegezeiten zu verkürzen.
>>Das sagt der Chefarzt: „Die Krankenhäuser können nicht mehr.“
Lauterbach blieb am Dienstag unbeeindruckt: „Ich sehe die Nöte der Krankenhäuser, aber die Haushaltssituation lässt nichts anderes zu. Die wirtschaftliche Basis der Länder ist viel besser als die der Bundesregierung. Der Bund befindet sich wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine selbst in einer wirtschaftlichen Notlage.“
Kein ungeordnetes Krankenhaussterben
Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, erwartet positive Effekte der Reform „erst sehr spät, vielleicht 2027 oder 2028“. Und dann sagten die zuständigen Ministerinnen und Minister, so Gaß beim „DKG-Gipfel“ in Berlin, den Krankenhäusern, „dass dieser Prozess nicht ohne ein ungeordnetes Krankenhaussterben möglich sei. Das kann aber nicht die Verantwortung der Politik sein“.
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Die Gesundheitsminister hatten sich nach langem Ringen auf Eckpunkte für eine Krankenhausreform geeinigt. 14 Länder stimmten dafür, Bayern dagegen, Schleswig-Holstein enthielt sich. Kern ist die Einführung einer Vorhaltepauschale für die Kliniken, die es ihnen erlauben soll, sich zum Teil von dem ruinösen System der Fallpauschalen zu verabschieden. Die Kliniken sollen zudem in „Leistungsgruppen“ wie zum Beispiel Kardiologie und Neurologie unterteilt werden, um die Qualität der Behandlungen zu steigern. Vorbild dafür ist eine schon 2019 in NRW begonnene Reform. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist daher zufrieden mit dem Kompromiss.
Klinikreform in NRW: Schon mittendrin im Verfahren
Auch Prof. Christoph Hanefeld, medizinischer Geschäftsführer des Katholischen Klinikums Bochum, reagierte eher gelassen auf die Pläne von Bund und Ländern. „Für NRW ist die Klinikreform kein neues Thema, wir sind längst auf dem Weg, eigentlich mitten im Verfahren“, sagte Hanefeld dieser Redaktion. Die Aufregung in anderen Ländern sei deshalb sicher größer, und auf dem Land sehe die Situation anders aus als im Revier.
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Das genau ist die Sorge vieler Betroffener. Eva Maria Welskop-Deffaa , Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, sagte, das „Reformhickhack“ verunsichere Klinik-Mitarbeitende sehr. „Sie fürchten um ihren wohnortnahen Arbeitsplatz.“ Die Geschäftsführerin des Caritas-Krankenhausverbandes kkvd, Bernadette Rümelin, meinte: „Es macht sprachlos, wie Minister Lauterbach schulterzuckend in Kauf nimmt, dass wahllos Krankenhäuser in die Insolvenz rutschen.“
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Ärztinnen und Pfleger: Wir arbeiten uns die Hände blutig
Erst vor wenigen Wochen hat in Solingen der katholische Krankenhausverbund Kplus Insolvenz angemeldet. Nicht nur Ärzte aus dem Ruhrgebiet schauen mit Sorge ins Bergische Land: Sie hatten erst Ende Juni demonstriert. Beim bundesweiten Aktionstag „Krankenhäuser in Not“ gingen sie mit Masken auf die Straße, sprühten rote Hände auf den Asphalt. Ihre Botschaft: „Wir arbeiten uns die Hände blutig und werden nicht gesehen.“ Alexander Bujotzek, Intensivpfleger aus Essen, weiß längst, was ein Krankenhaussterben in der Nähe für verbleibende Häuser bedeutet: Seit im Norden der Stadt zwei Einrichtungen geschlossen sind, seit die Zahl der Patienten gestiegen, die der Mitarbeitenden indes nicht.
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Die Krankenkassen indes begrüßen die Einigung auf das Eckpunktepapier zur Krankenhausreform. Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, nannte „eine Veränderung der stationären Strukturen sowohl aus Gründen der Qualität als auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit dringend erforderlich“. Allerdings werde sie erst in mehreren Jahren die gewünschte Wirksamkeit entfalten. Jetzt komme es darauf an, die Transformationsphase „konkret und verlässlich auszugestalten“. Mohrmann: „Die Arbeit ist noch nicht erledigt, sie beginnt jetzt erst, aber der Auftakt ist positiv und gibt Anlass für Zuversicht.“
>>INFO: DIE KRANKENHAUSREFORM
Ein halbes Jahr lang haben Bund und Länder um die Krankenhausreform gerungen. Nun gelang ihnen ein Kompromiss, der sicherstellt, dass die Krankenhausplanung Ländersache bleibt. Wichtigster Teil der Reform ist die Abkehr von den Fallpauschalen. Bisher nehmen die Kliniken dann viel Geld ein, wenn sie möglichst viele Patientinnen und Patienten behandeln.
Dieses System wird zum Teil von einer Vorhaltevergütung abgelöst: Kliniken können mit diesen garantierten Einnahmen 60 Prozent ihrer Kosten ausgleichen, egal, ob viele Betten belegt sind, oder nicht. Die Fallpauschalen werden aber nicht komplett abgeschafft.
Zweite Säule ist die Qualitätsverbesserung: Die Kliniken werden bestimmten „Leistungsgruppen“ zugeordnet, zum Beispiel „Kardiologie“ oder „Neurologie“, wenn sie in diesen Bereichen wirklich gut sind. NRW, das diesen Weg bereits eingeschlagen hat, dient hier als Vorbild für die deutschlandweite Reform.