Duisburg. Die erneute Razzia gegen die ‘Ndrangheta erinnert an einen anderen Mafiaprozess. Auch in Duisburg spielte eine Eisdiele eine wichtige Rolle...

Ihre Großrazzia gegen die ‘Ndrangheta Anfang Mai feierten Politik und Polizei als internationalen „empfindlichen Schlag“ gegen die Mafia. Das war auch die vorherige schon, und die ist noch keine fünf Jahre her: Was diesmal „Eureka“ war, hieß im Dezember 2018 „Pollino“. Nach Abschluss der Ermittlungen eröffnete das Landgericht Duisburg den sogenannten „Mafia-Prozess“ gegen 14 Männer, die Vorwürfe klingen ganz ähnlich, auch damals spielte eine Eisdiele eine Rolle. Verhandelt wird seit zweieinhalb Jahren.

Es ist der 156. Verhandlungstag seit dem 12. Oktober 2020. Ein Verteidiger vermisst Seite 120 ff. aus einem Fallaktenband, heute soll es um Darlehensvereinbarungen und Zinszahlungen gehen. Der Zeuge hat zwei Blätter Unterlagen mitgebracht, das Gericht kann sie gern haben, „nicht mehr aktuell“. Die Anlage wird kopiert für alle Beteiligten, Richter, Staatsanwälte, Gutachter, Angeklagte, Verteidiger; es sitzen mit den sieben Übersetzerinnen immer noch mehr als 50 Menschen im Saal. Zuschauer kommen schon lange nicht mehr. Wieder zwei Seiten mehr also für die Akte, die schon zu Prozessbeginn 57 Umzugskartons füllte und dazu mehrere Terabyte Daten umfasste. Allein die Anklageschrift hat 649 Seiten.

Der Vorsitzende der 4. großen Strafkammer am Landgericht Duisburg: Dr. Jens Luge. Im Hintergrund Teile der Prozessakten.
Der Vorsitzende der 4. großen Strafkammer am Landgericht Duisburg: Dr. Jens Luge. Im Hintergrund Teile der Prozessakten. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Männer sollen in großen Stil mit Kokain gehandelt haben

Es tagt die 4. große Straf- als Wirtschaftsstrafkammer, zwar geht es um Kokainhandel, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und wie bei „Eureka“ auch wieder um Logistik und Geldwäsche – übergeordnet gilt der Mammutprozess aber als Steuerstrafsache. Die Vorwürfe lesen sich ähnlich wie aktuellen: Männer aus mehreren Ländern sollen im großen Stil Drogen geschmuggelt und verkauft haben, die Ermittler versuchen ein ebenso dichtes wie verschwiegenes Geflecht mutmaßlicher Mafiosi zu durchdringen. Das Landgericht ist deshalb ausgewichen von Duisburg nach Düsseldorf: in den Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts.

Europaweite Großrazzia gegen Mafia-Organisation Ndrangheta aus Italien

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    Dort startete das Verfahren in der Hochzeit der Corona-Pandemie; mehrfach musste wegen Infektions- oder auch nur Verdachtsfällen unterbrochen werden, die drei Ankläger tragen immer noch Maske. Aus dem abgetrennten Bereich hinter einer Wand aus Sicherheitsglas durften alle Männer inzwischen nach vorn in den Saal rücken, von ursprünglich acht sitzen nur noch zwei Angeklagte in Untersuchungshaft. Die anderen schlendern am frühen Morgen äußerlich entspannt über den Feldweg zum Gericht. Einer der Haftbefehle ist erst im November aufgehoben worden, nachdem ein 58-Jähriger bereits einen Großteil (vier Jahre) seiner zu erwartenden Strafe in U-Haft abgesessen hatte, andere Angeklagte sind etwa nach Kautionszahlungen auf freiem Fuß.

    Angeklagter kündigte Job in Duisburger Pizzeria

    Diese Männer müssen Auflagen erfüllen und auch weiter zweimal in der Woche bis in den späten Nachmittag hinein am Prozess teilnehmen. Bislang, sagt ein Gerichtssprecher, sei „nicht erkennbar, dass die Angeklagten auch nur teilweise gegen ihre Auflagen verstoßen hätten“. Auch seien sie zu jedem Termin erschienen. Am 156. Verhandlungstag fragt der Vorsitzende trotzdem einmal mehr nach: ob sich an Wohnort, persönlichen Verhältnissen, Arbeit etwas geändert habe? Einer hat zwischenzeitlich in einer Duisburger Pizzeria angeheuert, suche aber derzeit etwas Neues, erklärt sein Anwalt. Der Rücken...

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    Ebenfalls wegen gesundheitlicher Probleme wurde das Verfahren gegen einen anderen Italiener abgetrennt: Es sei ihm nicht möglich, an ganztägigen Verhandlungen teilzunehmen. Allerdings waren die Vorwürfe gegen ihn auch „einfach trennbar“, sagt das Gericht. Man müsse „das Recht aller Angeklagten auf ein faires Verfahren in angemessener Zeit“ im Blick halten. Schon jetzt dauert der Prozess zeitlich länger als einer der aufwendigsten in Deutschland überhaupt: dem um die Loveparade 2010, ebenfalls geführt von den Duisburgern.

    Brüder aus der Eisdiele sollen verwandt sein mit „Famiglia“ in San Luca

    Oliver Huth vom Landeskriminalamt in Düsseldorf (LKA) zeigt ein Auto mit Drogenversteck, das Anfang Mai beschlagnahmt wurde.
    Oliver Huth vom Landeskriminalamt in Düsseldorf (LKA) zeigt ein Auto mit Drogenversteck, das Anfang Mai beschlagnahmt wurde. © dpa | Christoph Reichwein

    Immerhin, sagt der Gerichtssprecher, sei zu sämtlichen angeklagten Taten inzwischen verhandelt worden, „die Kammer hat keine Komplexe ausgelassen“. Auch über eine Duisburger Eisdiele wurde gesprochen: Deren Besitzer, damals 40, war am 5. Dezember 2018 im Zuge der Razzia festgenommen worden, auch zwei seiner Brüder sind nun angeklagt. Das Café gleich gegenüber vom Landgericht soll dem Drogenhandel gedient haben, möglicherweise aber auch als Unterschlupf – genau wie nun eine Eisdiele in Siegen: Deren 36-jähriger Betreiber wurde beim neuerlichen Einsatz am 3. Mai in Italien, sein Bruder (38) daheim festgenommen. Beiden sowie einem Angestellten wird vorgeworfen, mit dem Betrieb des Cafés „auf Geheiß eines hochrangigen Mitglieds der `Ndrangheta aus San Luca in Kalabrien“ Geldwäsche und die Logistik für das Kokain-Geschäft verschleiert zu haben. Die Brüder sollen entfernt verwandt sein mit Maria Strangio-Nirta, die Weihnachten 2006 im italienischen San Luca erschossen wurde – eine Szene der Familienfehde, die zu den sechs Mafia-Morden von Duisburg im Jahr 2007 führte.

    „Kronzeuge“ wurde nicht erkennbar aus Italien zugeschaltet

    Durchsuchung in Duisburg: Polizisten im Dezember 2018 in der Eisdiele eines der inzwischen Angeklagten.
    Durchsuchung in Duisburg: Polizisten im Dezember 2018 in der Eisdiele eines der inzwischen Angeklagten. © picture alliance/dpa | Christoph Reichwein

    Besondere Schwierigkeiten bei der Beweisaufnahme habe es im laufenden Prozess trotz der langen Dauer nicht gegeben, sagt der Gerichtssprecher, allerdings: „An einer Vielzahl von Tagen“ musste in Absprache mit den italienischen Behörden ein italienischer Zeuge befragt werden. Der Mann, früher in einem Zeugenschutzprogramm, wurde von einem unbekannten Ort aus zugeschaltet; auf den überlebensgroßen Leinwänden im Saal war er nur von hinten zu sehen. In Düsseldorf stand ihm ein deutscher Rechtsanwalt, in Italien ein Avvocato bei. Derzeit versucht die Kammer eine weitere Vernehmung in Italien zu organisieren.

    Der italienische Antimafia-Staatsanwalt Cafiero de Raho hatte es geahnt: Die „Operation Pollino“, sagt er 2018, sei nur ein erster Schritt gewesen. Wer glaube, man habe mit der Operation die ‘Ndrangheta ausgehoben, der täusche sich. „Diese Festnahmen sind für die ‘Ndrangheta nichts.“ Während die „Eureka“-Fahnder Anfang dieses Monats 18 weitere Haftbefehle vollstreckten, unter anderem in Castrop-Rauxel, Hattingen, Hagen, Velbert und eben Siegen, läuft der Prozess in Duisburg weiter, immer weiter. Bis Jahresende sind weitere 46 Verhandlungstage terminiert. Vorerst.

    >>INFO: DIE MAFIA-ORGANISATION ‘NDRANGHETA

    Die ‘Ndrangheta gehört zu den mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt und ist über die Grenzen Italiens hinaus aktiv. Beheimatet ist sie in der süditalienischen Region Kalabrien. Hunderte Clans hängen über Familienbande zusammen, werden inzwischen aber auch von Banden anderer Nationalitäten unterstützt.

    Die ‘Ndrangheta verdient ihr Geld vor allem mit internationalem Drogenhandel, Nach Schätzung von Experten macht die Organisation weltweit einen Umsatz zwischen 50 und 100 Milliarden Euro im Jahr.

    Längst ist sie auch in Deutschland aktiv, hat hier ihre Strukturen aufgebaut, besonders die Häfen spielen beim Rauschgiftgeschäft eine Rolle. Duisburg brachten die Banden schon einmal in die Schlagzeilen: Bei den „Mafia-Morden“ wurden im August 2007 sechs Menschen vor der Pizzeria „Da Bruno“ erschossen.