Düsseldorf. Beinahe wäre der Mafia-Prozess in Düsseldorf ein zweites Mals wegen Corona unterbrochen worden. Trotzdem wurde die Anklage verlesen – ein Krimi.

Corona bremste den Mafia-Prozess in Düsseldorf schon einmal für zwei Wochen aus, am Montag verzögert ein weiterer Verdachtsfall in die Verhandlung: Nach drei negativen Schnelltests bei den Staatsanwälten kann am Nachmittag des zweiten Verhandlungstages doch noch die Anklage verlesen werden – wenn die juristische Sprache nicht wäre: ein Krimi.

Mafia-Prozess: Einer von drei Staatsanwälten in Quarantäne

Der Anruf platzt um kurz nach zehn in den Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts, in den das Duisburger Landgericht ausgewichen ist: Einer von drei Staatsanwälten müsse sofort in Quarantäne. Er hatte in der vergangenen Woche an einer Durchsuchung teilgenommen, war im Auto dorthin gefahren gemeinsam mit einem Polizisten, der nun positiv getestet worden ist. Und nun?

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Weitermachen will die 4. Große Strafkammer. Unterbrechen, fordern die 40 Rechtsanwälte im Saal. Schließlich habe der möglicherweise infizierte Ankläger mit seinen Kollegen zusammengesessen, sie alle hätten mit ihm dieselbe Saaltür benutzt. Allerdings tragen die Staatsanwälte hinter ihren Schutzscheiben allesamt Masken, die Mehrheit der Verteidiger nicht – obwohl die Kammer darum gebeten und die Zuschauer dazu verpflichtet hat.

Man wolle nicht, sagt Verteidiger Gabor Subai, dass die Verhandlung als „Superspreader-Event“ in die Schlagzeilen komme, da sei sie schließlich schon einmal gewesen: Gleich nach seiner Eröffnung hatte der Prozess für zwei Wochen pausieren müssen, weil die Mutter eines Angeklagten mit Covid-19 im Krankenhaus war und der Sohn in Quarantäne. Eine Boulevard-Zeitung sprach danach von „Corona bei Mafia-Mamma“.

Mafia-Prozess: Drei Stunden reichen nicht mehr aus

Dabei taugt die Anklage eigentlich selbst zu Schlagzeilen. Bis die aber gehört wird, vergehen am Montag mehr als fünf Stunden und ungezählte weitere Pausen durch Ausfälle bei der Mikrofon-Technik. 88 Seiten von 649 lesen die beiden verbliebenen Staatsanwälte vor. Drei Stunden reichen nicht mehr aus, obwohl sie sich beeilen. Sie kommen nur bis Tat 40 von 51.

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Als Zuhörer kann man bei 14 Angeklagten und Akten aus 57 Umzugskisten nicht nur wegen des Tempos den Überblick verlieren. 680 Kilogramm Kokain sollen die Männer gehandelt haben, die Anklage listet genau auf, wer bestellte, wer lieferte, wer bezahlte, wann, wo und mit welchem Wirkstoffgehalt.

Die Ankläger halten den Handel für „besonders gut organisiert“: Die Männer hätten eigene Firmen gegründet, die offiziell Holz, Reis oder Bananen verschifften. Mit Lieferanten in Südamerika hätten sie zunächst alle Einzelheiten ausgehandelt, die Ware erst dann über Häfen in Antwerpen, Rotterdam und auch Hamburg nach Europa gebracht.

Mafia-Prozess: „Drogenhändler von erheblicher Größenordnung“

Italienische Pizzerien oder Eisdielen – wie jene in der Duisburger Innenstadt, deren ehemaliger Chef nun auf der Anklagebank sitzt – dienten als logistische Stütz- oder konspirative Treffpunkte. Der Gelatiere (42) sei als „Drogenhändler von erheblicher Größenordnung“ bekannt, soll etwa im Januar vor fünf Jahren 150 Kilo Kokain geliefert bekommen haben. Dass er in der Szene „il pazzo“ – der Verrückte – genannt worden sein soll, sorgt auf der Anklagebank kurz für Erheiterung.

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Mindestens seine beiden mitangeklagten Verwandten gleichen Namens dürften das wissen; sie sollen zum selben Clan der kalabrischen Ndrangheta gehören, jener Mafia-Organisation, die in Duisburg seit der Schießerei vor der Pizzeria „Da Bruno“ 2007 traurige Berühmtheit hat. Angeblich sind alle sechs Italiener im Prozess mit den berüchtigten Familien im Dörfchen San Luca verwandt, dem „Mutterhaus der ‘Ndrangheta“.

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Andere Angeklagte sind türkischer oder marokkanischer Herkunft. Diese Männer gelten nicht als Mitglieder der Mafia, sondern als Unterstützer: Sie sollen zunächst die passenden Kurierautos besorgt und präpariert, später in großen Stil investiert haben. Dazu sollen sie Darlehen für den Drogenkauf zu horrenden Zinssätzen gewährt haben. Als die nicht mehr flossen, sollen die Männer den Spieß umgedreht und das Kokain zum eigenen Gewinn verkauft haben. Aber „keiner hat die Zinseinkünfte ordnungsgemäß versteuert“.

Mafia-Prozess: Es soll mindestens einen Kronzeugen geben

Das und Formulierungen wie „Joint Venture“, Import, Investition oder „Parallel-Ökonomie“ lassen verstehen, warum dieser Prozess als Wirtschaftsstrafsache geführt wird. Ein „Großlogistik-Unternehmen“ sollen die Angeklagten aufgebaut haben, heißt es in der Anklage, er nennt es „das System Mafia & Co. KG“. Es seien den Tätern „nicht unerhebliche Kosten entstanden“ für Transport, Kuriere, Strohleute, präparierte Autos, Mieten, Gehälter für Hafenarbeiter, die die Drogen auspackten und Container neu verplompten, Unterstützung für Familien inhaftierter Mittäter…

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Von den Angeklagten im Alter zwischen 30 und 56 Jahren wissen sie das alles nicht, die hätten sich „überhaupt nicht oder unglaubhaft eingelassen“. Aber es soll mindestens einen Kronzeugen geben und die Aktion „Pollino“, bei der Ermittlern aus vier Ländern ein wesentlicher Schlag gegen die Mafia gelungen sein soll. Alles gestrickt, hatte am ersten Prozesstag einer der Verteidiger behauptet: „Wehe dem, der Angehörige in Kalabrien hat.“ Die Staatsanwaltschaft, sagt Wolf Bonn, habe sich „vergaloppiert“.