Ruhrgebiet. Bier, Bratwurst, Zigarette: Für viele Fans gehört das zur Fußballkultur. Andere fordern ein Rauchverbot im Stadion, gerade zum Schutz der Kinder.
Fußball und Rauchen, das passt nicht zusammen. Oder: Bier, Ball, Bratwurst und Zigarette, das gehört zusammen. Was stimmt? Die Frage nach einem Rauchverbot im Stadion entfacht noch keinen Kulturkrieg, aber einen kleinen Dauerstreit um die Kultur des Fußballs schon. In Deutschland ist das Rauchen bislang nur bei drei Erstliga-Clubs verboten, im Ruhrgebiet nirgends. Noch.
Heimspiel in Dortmund, der BVB macht es mal wieder spannend. Auf der Tribüne wächst mit der Anspannung die Rauchwolke, sie umnebelt auch einen kleinen Fan. Der Neunjährige wird später über Husten klagen und tränende Augen. Auf freundliche Bitten, die Zigarette auszumachen, hat der Mann auf dem Sitzplatz vor ihm nur kurzfristig reagiert. Man darf ja auch rauchen im Stadion: bei der Borussia, auf Schalke, beim VfL Bochum, auch in Essen und beim MSV Duisburg. Die Fußballplätze nicht nur im Revier sind keine geschlossenen Räume, gekickt wird an der frischen Luft. Offiziell, denn je nach Wind, Wetter und Nähe zu überdachten Oberrängen sitzt der Fan im Rauchfang. Und hat dort „keine Möglichkeit zu entfliehen“, sagt Barbara Soukup-Sterl: „Man wird krank geraucht.“
Von allen Gerüchen des Fußballs „sind die Rauchfahnen das Schlimmste“
Der Verein „Pro Rauchfrei“, für den sie spricht, kämpft seit vielen Jahren für rauchfreie Stadien, „in denen Kinder, Jugendliche und Erwachsene an einem begeisternden Erlebnis teilnehmen können, in rauchfreier Luft“. Von allen Gerüchen des Fußballs nämlich seien die Rauchfahnen „das Schlimmste“, sagt „Pro Rauchfrei“, „schon nach kurzer Zeit sind Sie heiser, Ihre Augen tränen, Sie husten, Ihre Kleider stinken grässlich nach Tabakrauch“. Und wenn die Emotionen kochen – was im Stadion ein Sinn der Sache ist – werde eher mehr als weniger geraucht.
Das aber schade bekanntermaßen der Gesundheit. Nichtraucher-Lobbyisten argumentieren mit den Gefahren des Passivrauchens und mit dem Zahlenverhältnis: Längst sind in Deutschland die Nichtraucher in der überwiegenden Mehrheit (über 70 Prozent). Sie rauchten auch im Stadion mit: 40.000 Zigaretten pro Stadion pro Spiel, hat „Pro Rauchfrei“ ausgerechnet, macht rund 300.000 Kippen pro Spieltag – allein in der Bundesliga. Und das, obwohl Tabak und Alkohol mit Sport nun wirklich „nicht vereinbar“ seien.
Vereine sollen den Nachwuchs für Fußball begeistern und nicht fürs Rauchen
Nicht nur Eltern wissen, wovon der Verein redet: „Als Vater“, sagt ein VfL-Fan, der mit seinen Jungs gelegentlich an die Castroper Straße geht, „blickst du anders auf das Thema als ohne Kinder. Dir fällt dann erstmal auf, wie viele Menschen um dich herum rauchen.“ Und nicht alle Mit-Fans reagieren ja so, wie andere Bochumer Väter erzählen: indem sie „gern und freiwillig“ auf die Zigaretten verzichten, „wenn ein Kind in der Nähe sitzt“. Dabei müsse man gerade die Kinder schützen, findet Barbara Soukup-Sterl. „Die Vereine wollen doch den Nachwuchs für Fußball begeistern und nicht fürs Rauchen.“
Bei „diesen Vereinen“ aber ist ein Rauchverbot meist gar kein Thema. Sie verweisen auf ihre „Open-Air“-Veranstaltungen und dort auf die Familienblöcke. Zwei, manchmal drei Abschnitte sehen alle Clubs für ihre jüngsten Anhänger vor. Dort dürfe „selbstverständlich“ nicht geraucht werden. Allerdings liegen solche Blocks oft in zugigen Stadionecken mit nicht allzu guter Sicht, und nicht jede Familie hat wirklich die Wahl: „Du nimmst die Karte da, wo du überhaupt eine kriegst“, sagt ein Schalker Vater von zwei Söhnen.
Der aber auch das wichtigste Argument gegen ein Verbot kennt: „Das ist Fußball! Da gehören Bier, Bratwurst und, wer’s braucht, eine Zigarette dazu.“ Das sagt sogar das Fan-Projekt in Dortmund so: Grundsätzlich gehöre „der Konsum von Genussmitteln, insbesondere auf der Südtribüne, natürlich zum Stadionbesuch“. Man hat ja auch schon Fußball-Profis rauchen sehen, mindestens eine große Zigarre nach einem großen Sieg. Die „Zichte“ also als Teil der Fußballkultur? Es gibt viele, die das finden, und einen, der hat schon früh anderes behauptet: 2010 in München wurde Rainer Nickel dafür noch ausgebuht. Der heutige Vorstandsvorsitzende des Nichtraucherschutzverbands schlug ein Rauchverbot beim FC Bayern vor, die Jahreshauptversammlung, erinnert er sich, wollte ihn „lynchen, teeren und federn“. Man nehme in der Fan-Familie genug Rücksicht aufeinander, tönte Uli Hoeneß damals.
Rauchen ist bei Bayern und Bayer Leverkusen verboten
Vorbei. „Das Blatt hat sich gewendet“, frohlockt Nickel, in der Allianzarena gilt seit 2017 nun doch ein Rauchverbot. Werder Bremen empfiehlt seit dieser Saison, auf das Rauchen zu verzichten („Ohne Qualm ist die Sicht besser“), Hoffenheim und Leverkusen schafften die „Fluppe“ beim Fußball ganz ab. Seit dem Umbau der BayArena 2009 „bitten“ in Leverkusen Ordner, sich an die Stadionordnung zu halten, nur in bestimmten Fanblocks werde „Fehlverhalten nicht zu 100 Prozent sanktioniert“, sagt eine Sprecherin. Vom Hausrecht müsse man „nur sehr sehr selten“ Gebrauch machen. „Wir haben das Gefühl, dass das Rauchverbot grundsätzlich sehr akzeptiert ist.“
Bei 15 anderen Erst- und fast allen Zweitligisten bleibt das Rauchen erlaubt. Mancher, ist hinter vorgehaltener Hand zu hören, fürchtet auch die Reaktionen in Kurven und auf Tribünen. „Man bringt“, sagt verständnisvoll Rainer Nickel, „nicht gern die Fans gegen sich auf.“ Andersherum habe aber „jeder Verein die soziale Verantwortung, seine Fans zu schützen“. Und es gibt ja längst einen Leitfaden für eine „Tabakkontrollpolitik in Sportstadien“: erstellt 2016 in England, in dessen Arenen das Rauchen schon lange nicht mehr gestattet ist.
Rauchfreie Stadien bei der Europameisterschaft?
Nicht nur Nickel hofft, dass dieser auch in Deutschland bald angewandt wird. Denn im nächsten Jahr kommt die Europameisterschaft ins Land – mitsamt einer Nachhaltigkeits-Strategie, die auch „Rauchverbote und Richtlinien zu tabakfreien Spielen“ enthält. Erklärtes Ziel: die „Förderung eines gesunden Lebensstils“. Nach einer solchen Zigaretten-losen EM, wünschen sich die Nichtraucher, könne man wohl nicht mehr zurück. Schließlich seien auch andere UEFA-Spiele oder Turniere der FIFA wie die WM schon lange rauchfrei.
In Logen und VIP-Räumen gilt das strikte Rauchverbot in NRW übrigens seit 2013. Seither herrscht auch beim Fußballgucken in der Kneipe allenfalls aus Ärger über den Schiri noch dicke Luft. Dort ist vielleicht eher zu viel Bier ein Problem, aber das gibt es auch draußen. Was ihn mehr stört, sagt ein Vater, der mit seinem Sohn „auf Schalke“ geht. „Dieses öffentliche Urinieren ganzer Männerhorden an den Zäunen auf dem Weg zum Stadion...“