Essen. In der Ruhrlandklinik Essen ist man alarmiert: In der Corona-Zeit stieg die Zahl junger Raucher extrem an. Es drohe eine Welle von Erkrankungen.

Die Folgen des Rauchens kann Prof. Dr. Kaid Darwiche täglich besichtigen: Der Mediziner arbeitet an der Essener Ruhrlandklinik, die auf Lungenerkrankungen spezialisiert ist. Wer in jungen Jahren mit dem Rauchen beginnt, hat gute Chancen, hier eines Tages als Patient zu landen. Darum ist Darwiche alarmiert, dass in jüngster Zeit wieder mehr junge Menschen zur Zigarette greifen.

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„In der Corona-Zeit ist die Raucherquote erheblich gestiegen, besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, sagt Darwiche, der in der Klinik für Pneumologie der Ruhrlandklinik arbeitet. Laut der Deutschen Befragung zum Rauchverhalten (Debra) stieg der Anteil der Raucherinnen und Raucher unter den 14- bis 17-Jährigen allein von 2021 auf 2022 sprunghaft von 8,7 auf knapp 16 Prozent an. Bei den 18- bis 24-Jährigen erhöhte er sich im selben Zeitraum von 35,6 auf fast 41 Prozent. Damit liegt diese Altersgruppe nun auch über dem deutschen Durchschnittswert von 35,5 Prozent. Im Ruhrgebiet liegt die Quote traditionell höher als der Bundesschnitt.

Essener Mediziner: E-Zigarette ist für Jugendliche oft Einstiegsdroge zum Tabakkonsum

„Während der Pandemie ist das explodiert, weil Sport und andere Aktivitäten ausfielen, die Jugendlichen zu Hause bleiben mussten und viele vor dem Computer saßen und zockten“ sagt Prof. Dr. Kaid Darwiche von der Klinik für Pneumologie der Ruhrlandklinik in Essen über die gestiegene Zahl an jungen Rauchern.
„Während der Pandemie ist das explodiert, weil Sport und andere Aktivitäten ausfielen, die Jugendlichen zu Hause bleiben mussten und viele vor dem Computer saßen und zockten“ sagt Prof. Dr. Kaid Darwiche von der Klinik für Pneumologie der Ruhrlandklinik in Essen über die gestiegene Zahl an jungen Rauchern. © KD

Nach der Debra-Studie, die seit 2016 regelmäßig erstellt wird, erreichte die Raucherquote Ende 2022 in allen Altersgruppen einen Höchstwert seit Beginn der Erhebung. Dr. Kaid Darwiche ist überzeugt, dass die Corona-Pandemie dabei eine entscheidende Rolle spielte, gerade bei jungen Menschen, die erstmals Tabak oder E-Zigaretten konsumierten. „Während der Pandemie ist das explodiert, weil Sport und andere Aktivitäten ausfielen, die Jugendlichen zu Hause bleiben mussten und viele vor dem Computer saßen und zockten.“

Mit Sorge beobachtet der Arzt, dass bei Jugendlichen auch E-Zigaretten populärer werden. Zwar könnten diese den starken Rauchern mitunter bei der Entwöhnung helfen, aber man wisse noch zu wenig über deren Auswirkungen auf die Lungengesundheit und: „Für junge Menschen ist die E-Zigarette oft die Einstiegsdroge, die später zum Tabakkonsum führt.“

Manche Erkrankungen werden zu 90 Prozent durch Rauchen verursacht

Trotz aller Schockbilder auf Zigarettenpackungen fühle man sich mit 16, 17 Jahren unverwundbar und auch mit Anfang 20 mache man sich kaum klar, welches Risiko der Nikotingenuss bedeute. Darwiche hingegen weiß aus seiner Erfahrung: „Da kommt eine Welle von Erkrankungen auf uns zu.“ In der Regel vergehen viele Jahre, bis die Raucher auf dem OP-Tisch in der Ruhrlandklinik landen. Klar sei aber, dass schwere Krankheiten wie Lungenkrebs ebenso etwa die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) bis zu 90 Prozent durch Rauchen verursacht würden.

Auch wenn es immer mehr Behandlungsoptionen gibt, wie Darwiche betont, dürfen die Patienten nicht auf eine Heilung hoffen. Deswegen ärgert sich der Arzt, „dass wir Milliarden für die Behandlung ausgeben – und erbärmlich wenig für die Prävention“. Darwiche sieht die Politik am Zug, möchte aber auch selbst aktiv werden, gemeinsam mit dem AOK-Regionaldirektor Ruhrgebiet, Oliver Hartmann. Sie wollen Essener Schulklassen nicht nur vor den Gefahren warnen. „An vielen Berufskollegs ist das Rauchen in der Schülerschaft längst stark verbreitet, da könnten wir gezielt die Entwöhnung fördern“, sagt Hartmann.

„An vielen Berufskollegs ist das Rauchen in der Schülerschaft längst stark verbreitet, da könnten wir gezielt die Entwöhnung fördern“, sagt Oliver Hartmann, AOK-Regionaldirektor Ruhrgebiet.
„An vielen Berufskollegs ist das Rauchen in der Schülerschaft längst stark verbreitet, da könnten wir gezielt die Entwöhnung fördern“, sagt Oliver Hartmann, AOK-Regionaldirektor Ruhrgebiet. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Man könne die Lehrerschaft mit der Aufklärungsarbeit nicht allein lassen und nicht immer auf das Elternhaus setzen. „Daher gehen wir bereits an die Schulen und laden diese auch zu uns ein“, sagt Kaid Darwiche. Noch nutzen vor allem die Essener Gymnasien das von Oberarzt Dr. Thomas E. Wessendorf betreute Programm. Gerade wenn die 13-, 14-Jährigen bei ihrem Besuch auch mit einem Patienten reden könnten, beeindrucke sie das. „Wenn da jemand im Alter ihrer Eltern mit Rollator und Sauerstoff hereinkommt, ist es schlagartig still“, erzählt Wessendorf.

Kongress der Pneumologen beginnt Ende März

Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG) veranstaltet ihren 63. Kongress vom 29. März bis 1. April 2023 in Düsseldorf. Kongresspräsident ist Prof. Dr. Christian Taube, Direktor der Ruhrlandklinik in Essen.

Die Ruhrlandklinik ist seit mehr als einem Jahrhundert auf die Behandlung von Lungenerkrankungen spezialisiert. Seit dem Jahr 2009 ist die Ruhrlandklinik eine Tochter der Uniklinik Essen und trägt seither den Namenszusatz Westdeutsches Lungenzentrum am Universitätsklinikum gGmbH.

Gut möglich, dass eine solche Begegnung die Schüler weniger anfällig macht für die Versuchung zu rauchen. Die meisten hätten bis dahin höchstens mal ein bisschen gepafft. „Nur einmal war ein aktiver Kampfraucher dabei“, sagt Wessendorf. Ob so jemand aufhöre, weil er einen Blick auf seine zukünftige Krankengeschichte werfen darf? Das kann auch der Mediziner nicht sagen: „Aber einmal hatte ich einen Lehrer, der nach dem Besuch aufgehört hat.“ Thomas Wessendorf ist froh, dass er nach fast drei Jahren pandemiebedingter Pause seine Aufklärung wieder aufnehmen kann. Gewiss wäre es sinnvoll, die Zielgruppe zu erweitern, bloß könne er allein das nicht leisten.

Klinik und Krankenkasse fordern mehr Geld für Prävention

„Eigentlich brauchten wir hier jemanden, der sich ausschließlich darum kümmert“, bestätigt Darwiche. Auch Hartmann glaubt, dass Prävention an einem Ort wie der Ruhrlandklinik eine besondere Wucht entfalten könne. Neben den eingeführten Nichtraucherprogrammen würde er daher gern „ein Angebot an der Klinik installieren“. Kontinuierlich. An der Finanzierung dürfe so etwas nicht scheitern, sind sich beide einig, schließlich seien die Folgekosten des Rauchens milliardenschwer. Man könne nicht hinnehmen, dass eine neue Generation an Rauchern heranwachse, findet Darwiche: „Wir müssen dieser zweiten Pandemie Herr werden.“