Dortmund. 131.600 Menschen aus aller Welt bekamen 2021 den deutschen Pass, erstmals waren mehr Syrer darunter als Türken. Dortmund feiert seine Neubürger.

Deutsche zu werden oder Deutscher, das soll nach Plänen der Bundesregierung künftig einfacher werden und schneller gehen. Wer sind die Menschen, die den Pass wollen – und warum? Bei einer Einbürgerungsfeier in Dortmund erzählen die, die es „geschafft“ haben.

Die meisten haben sich fein gemacht für diesen Abend zwischen feierlichen Reden und Büffet, „Herzlichen Glückwunsch“, sagt der Oberbürgermeister, „Sie sind jetzt Bürger der Bundesrepublik Deutschland“. Thomas Westphal blickt lächelnd ins Rund: Es sei „eine Bereicherung, dass Sie sich für Deutschland entschieden haben“. Es möge auch traurige Gründe geben, dass die paar Hundert Geladenen ihre Heimat verlassen haben, daran aber wolle er heute nicht rühren: „Es soll ja ein schöner Abend werden.“ Außerdem: „Wo du herkommst, ist nicht die Frage, sondern wo du hinwillst.“ 1351 Menschen wollten nach Dortmund, so viele jedenfalls haben sich 2021 einbürgern lassen. Deutschlandweit waren es 131.600, ein Fünftel mehr als im Vorjahr.

Erinnerungsfoto mit Oberbürgermeister: Thomas Westphal (r.) begrüßte die neuen Dortmunder persönlich.
Erinnerungsfoto mit Oberbürgermeister: Thomas Westphal (r.) begrüßte die neuen Dortmunder persönlich. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Hier sitzen Hunderte Erfolgsgeschichten

Die meisten sind Syrer, 324, das ist auch in anderen Städten so: Die Flüchtlinge, die 2015 kamen, haben erstmals die Türken (in Dortmund 181) an der Spitze der „Neuen“ mit deutschem Pass überholt. Im ganzen Land sind 2021 mehr als 19.000 Menschen aus Syrien eingebürgert worden, gegenüber 12.200 Menschen türkischer Herkunft, die meist schon viel länger in Deutschland leben. Ab Platz 3 folgen in Dortmund Marokkaner, Iraner, Iraker, an Nummer 10 stehen 22 Afghanen. Menschen allesamt, die die Auflagen des Staates erfüllen: lange genug in Deutschland zu sein, die Sprache zu sprechen, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, sich zur demokratischen Grundordnung zu bekennen. Die hier eingeladen sind, haben Erfolgsgeschichten zu erzählen.

Murat aus Tunesien ist gekommen, der bei einem Heimatbesuch merkte, „du bist längst Deutscher geworden“. Hsiang-Jen aus Taiwan, die einst für die Schule ihrer Tochter und den Job ihres Mannes als Informatiker einreiste und die im neuen Zuhause „so viel Liebe erfahren“ hat. Ida ist da, die schon 78 ist und 1969 aus dem damaligen Jugoslawien kam. Sie hat den Antrag immer wieder aufgeschoben, und als es soweit war, hätte sie beinahe die Beamtin umarmt: „Aber das durfte ich nicht, wegen Corona.“ Ashraf (30) aus Syrien ist zu Gast, der BVB-Fan („was sonst?“) und Informatik-Kaufmann in Diensten der Stadt, der sagt: „Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, sondern wo man sich wohlfühlt.“

Ida hat sogar noch für einen Sprachtest gelernt, den sie gar nicht mehr machen musste: Sie alle sprechen fließend Deutsch. Und stehen am Ende tatsächlich Schlange vor der Bühne, für ein Foto mit dem Oberbürgermeister. Gern mit Handschlag, bitte lächeln!

Die Schwestern aus Syrien

Die Schwestern Hanadi (l.) und Kindah Almalloul aus Syrien fanden schnell einen Job: Sie sind beide Ingenieurinnen.
Die Schwestern Hanadi (l.) und Kindah Almalloul aus Syrien fanden schnell einen Job: Sie sind beide Ingenieurinnen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die Schwestern Kindah und Hanadi Almalloul sind schon seit 2014 in Deutschland. Sie kamen mit einer Bürgschaft ihres Bruders, der als Arzt in Dortmund arbeitet. In Syrien war damals schon mehr als drei Jahre Krieg, Hanadi (44) sagt: „Es war eine große Entscheidung.“ Sie verließen alles, was ihnen vertraut war und begannen „bei Null“, sagt Kindah (39). Und sie wussten nicht: „Können wir es schaffen oder nicht?“ Sozialleistungen haben die Schwestern nie bekommen, aber sie hatten beste Zeugnisse und Zertifikate. Beide sind Bauingenieurinnen, fanden nach ersten Sprachkursen schnell einen Arbeitsplatz. Ihr Studium hat es ihnen leichter gemacht, finden sie: „Physik und Mathe, das ist ja überall gleich.“

Trotzdem sei es „harte Arbeit“ gewesen, sie hätten sich das Vertrauen der neuen Landsleute erst erarbeiten müssen. Nun aber sind sie stolz darauf, dass sie in Deutschland angekommen sind. Kindah sagt es fast poetisch, „ich esse und trinke von diesem Land“, Hanadi sagt, „das Land ist ein Teil von mir“ und umgekehrt: „Ich gehöre zu diesem Land.“

Iraner mit „neuer Identität“

Mohammad Mirmohammadi wollte nach seiner Flucht aus dem Iran wieder „eine Identität“.
Mohammad Mirmohammadi wollte nach seiner Flucht aus dem Iran wieder „eine Identität“. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Mohammad Mirmohammadi spricht nicht gern über den Grund, warum er vor zehn Jahren herkam aus dem Iran. 30 Jahre alt war er damals, dem Gefängnis entronnen, sein politisches Engagement hatte die Familie zerrissen, seine Firma musste er aufgeben. Aber er spricht gern über den Grund, warum er nun Deutscher ist, endlich: „Ich will hier leben und ein Teil von Deutschland sein.“ Das ging nicht ohne deutschen Ausweis, sagt er, Mohammad wollte „eine neue Identität“.

Die erste Zeit in der Fremde war nicht einfach, es gab keinen Deutsch-Kurs, keine Arbeit für den Informatiker. Dann aber schulte der 40-Jährige um, erst zum Industrieelektroniker, kürzlich eröffnete er sein eigenes Restaurant: Es heißt „D&P“, wie „Deutsch“ und „Persisch“. Mohammad sagt, „ich kann nicht vergessen, woher ich komme“. Zur Einbürgerungsfeier hat er ein kleines Poster mitgebracht, es liegt auf seinem Platz, später zeigt er es dem Oberbürgermeister: „Freedom for Iran“. Mirmohammadi ist jetzt Deutscher und „sehr stolz“ darauf, „aber ich trage meine Geschichte immer mit mir“.

Fußballer von der Elfenbeinküste

Es war der Fußball, der Hervé Djourou aus dem Westen Afrikas nach Deutschland verschlug. Der junge Mann war Anfang 20, als er die Elfenbeinküste mit Westfalen tauschte, seine deutsche Kicker-Karriere begann bei Preußen Münster. Doch das ist 14 Jahre her, längst ist der 35-Jährige kein Profi mehr, verdient sein Geld als Handelsvertreter. Zurückzukehren in die Heimat, war keine Option: „Mein Herz hat für Deutschland geschlagen.“ Es sei „ein schönes Land und sehr strukturiert“.

Zudem hat Hervé mit Ehefrau Georgette eine Familie gegründet: Ätniel (9) und Mimi (3) sind mitgekommen zur Einbürgerungsfeier, Mimi trägt ein feines rosa Kleidchen. „Die Kinder“, sagt Hervé Djourou, „gehören hierher.“ Und: „Integration ist ganz, ganz wichtig.“ Als Thomas Westphal auf der Bühne redet, hört die Familie sehr aufmerksam zu. „Die Zukunft“, sagt der Oberbürgermeister, „sind Sie.“ Und Hervé klatscht nicht nur, er ruft es laut in den Saal: „Ja!“