Bochum. Kilian Lanig lernt „Hebamme. An seiner Bochumer Schule ist er als Mann ganz allein unter Frauen. Nach dem Examen wird sich daran wenig ändern.
Privat trägt Kilian Lanig lieber andere Farben. Aber die Berufsbekleidung für Hebammen im „Eli“, dem Bochumer St. Elisabeth-Hospital, ist rosa. Also trägt der 31-Jährige im Dienst eben rosa Hosen, rosa Kasak und rosa Clogs zu Bart und Bizeps. „Gewöhnt man sich dran“, sagt er. An ihn, den Exoten, die männliche Hebamme, hätten sich die meisten inzwischen doch auch gewöhnt.
Tatsächlich ist es dem gebürtigen Franken erst zwei-, dreimal passiert, dass ihn im Kreißsaal eine Gebärende (oder ihr Mann) als Geburtshelfer ablehnte. Kolleginnen beäugten ihn teils skeptisch, „aber meist nicht lange, wenn man Fachkompetenz aufweisen kann.“ „Und viele Eltern machen große Augen, wenn ich reinkomme, akzeptieren mich aber dann, andere scheinen nicht einmal überrascht zu sein.“ Dass ihn einige wenige Schwangere nicht als Hebamme wollten, findet er „schade“; doch nie würde er einer Frau seine Betreuung „aufdrängen“: „Der Patientenwunsch hat immer Vorrang“, sagt Lanig. „Nur aufgrund seines Geschlechts abgewiesen zu werden“, empfinde er dennoch als diskriminierend.
„Hebamme ist die korrekte Berufsbezeichnung – auch für Männer“
Der 31-Jährige steckt im letzten Ausbildungsbildungsjahr zum „Entbindungshelfer“, im Oktober beginnen die Examina, geht alles glatt, wird er im März 2023 fertig sein. Noch wechseln sich Theorieblöcke und praktische Einsätze ab: im Kreißsaal und auf der Wochenbett-Station war der angehende „Hebammerich“ schon, im OP, in der Neonatologie, der Pädiatrie und der Gynäkologie. Rund 40 Frauen absolvieren mit ihm zusammen die Ausbildung im „BIGEST“, dem Bildungsinstitut für Berufe im Gesundheitswesen des Katholischen Klinikums Bochum (zu dem das „Eli“ gehört) – Kilian Lanig ist der einzige Mann dort, „aber nicht der erste“. Im Jahrgang über ihm, erzählt er, „war schon einer, der Hebamme geworden ist“.
Denn so darf und will er sich künftig nennen: Hebamme. „Das ist die korrekte Berufsbezeichnung, und mir gefällt’s“, sagt der junge Mann, der heute in Duisburg lebt (und nie wieder aus dem Ruhrgebiet weg will). Er habe als Pfleger ja auch schon reagiert, wenn ein Patient nach der Krankenschwester gerufen habe.
Verband: Erfahrungen mit männlichen Hebammen sind durchweg positiv
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Doch es gibt nicht viele wie ihn. Wie viele genau: ist tatsächlich unklar. Lang weiß von mindestens zwei Kollegen im Ruhrgebiet, persönlich getroffen hat er sie nie („eine Chatgruppe wäre klasse!“); nach Angaben des Hebammen-Verbands waren im Jahr 2020 unter den 24.000 deutschen Hebammen sechs Männer, Expertinnen schätzen die aktuelle Zahl auf zehn bis 30. Dabei seien die Erfahrungen mit männlichen Hebammen „durchweg positiv“, sagte Barbara Blomeier, Vorsitzende des Hebammenverbands NRW im März der „Zeit“.
Nach der Schule wollte der ehemalige Kunstturner eigentlich Arzt werden. Doch nach acht Semestern in Ungarn und der Slowakei brach er das Medizin-Studium ab, weil ihm die bayerischen Behörden beim Wechsel an eine deutsche Uni die bestandenen Prüfungen nicht anerkannten. Im Düsseldorfer Florence-Nightingale-Krankenhaus machte Lanig stattdessen eine Krankenpflege-Ausbildung. Beim ersten Einsatz auf der Wöchnerinnenstation „packte“ es ihn: Dort wollte er künftig arbeiten, das wusste er sofort. „Diese Station ist es und keine andere“, befand er.
80 Bewerbungen geschrieben, bis einen Ausbildungsplatz in Bochum fand
Allein, junge Familien „nur die zwei, drei Tage nach der Geburt zu begleiten“, wäre doch „schade“, sagte er sich nach seinem Pflege-Examen – und entschied: „Ich werde Hebamme!“ Die Freundin war begeistert, auch die Eltern unterstützten den außergewöhnlichen Berufswunsch. Der Vater, selbst Hausarzt, sagte dem Sohn: „Mach, was dich glücklich macht.“
80 Bewerbungen musste Kilian Lanig schreiben, bis er in Bochum einen Ausbildungsplatz fand. „Als Frau“, meint er, „wäre es mir nicht besser ergangen. Diese Plätze sind rar.“ Bewusst entschied er sich zunächst für die „nicht akademische Laufbahn“, berufsbegleitend will er anschließend seinen Master machen. Tatsächlich war einer der Gründe für die 2019 vom Bundestag beschlossene Verlagerung der Hebammen-Ausbildung an die Hochschulen, die Idee, künftig mehr Männer für diesen Beruf zu begeistern. „Und es ist so ein erfüllender Beruf“, schwärmt Lanig. „Junge Familien in dieser Lebensphase begleiten zu dürfen, prägt. Diese Familien – und mich.“ Er bedauert, dass so wenige Männer das „auf dem Ticker“ hätten, denkt aber auch, dass der Beruf attraktiver werden müsse. Die Bezahlung etwa sei noch immer „zu schlecht für die Verantwortung, die man trägt“.
Die wichtigste Kompetenz einer Hebamme: Empathie
Vor- und Nachbetreuung der (werdenden) Mutter zählen zu den Aufgaben der Hebamme, genau wir die eigenverantwortliche Leitung der Geburt. 40 Babys hat Kilian Lanig schon „auf die Welt gebracht“, die schönste Geburt bisher war für ihn die, nach der eine Frau, deren zweites Kind er zu entbinden half, ihm sagte: Anders als ihre erste „traumatische“ Geburt sei diese so schön gewesen, dass sie nun tatsächlich noch ein drittes Kind wolle…
Aber nicht immer sind Eltern glücklich, wenn sie ihr Neugeborenes zum ersten Mal in den Armen halten. Bei einem Baby mit dem Gendefekt Trisomie21, erzählt Lanig, „hatten Vater und Mutter, die ich betreute, richtige Berührungsängste“. Doch er, ihre Hebamme, konnte ihnen helfen, das Kind anzunehmen, sich zu freuen. „Psychische Stütze zu sein in schwierigen Situationen, auch das gehört zum Beruf“. Die wichtigste Kompetenz einer Hebamme sei: Empathie.
Manche Väter freuen sich explizit über die Verstärkung im Kreißsaal
Mancher Vater freue sich im Übrigen sogar explizit über die „Verstärkung“ im Kreißsaal; manchem falle es auch leichter, wenn er als Mann, ihn nach der Geburt auffordere, fürs „Bonding“ doch mal das T-Shirt auszuziehen und sich das Baby auf den Bauch zu legen. Dass er im „Eli“ ausgebildet wird, nennt Lanig zudem „ein großes Glück“; die Kolleginnen hätten ihn sehr herzlich aufgenommen, dass Geburtshilfe und Kinderklinik hier unter einem Dach vereint seien, „gibt Sicherheit“. Das 1848 gegründete Krankenhaus ist Keimzelle des Katholischen Klinikums Bochum und heute ein „Perinatal-Zentrum der höchsten Versorgungsstufe“, in den vier Kreißsälen kommen jährlich 1450 Kinder zur Welt.
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Dass er als Mann im Dienst „allein unter Frauen“ sei, habe das eigene Rollenverständnis nicht verändert, sagt Lanig. Es sei ihm auch noch nie jemand begegnet, der wegen seines „typisch weiblichen Berufs“ seine Männlichkeit angezweifelt habe Er findet nur, dass beim Thema „Emanzipation“, die Männer-Perspektive doch zu oft „außer Acht gelassen wird“.
Kilian Lanig und seine Freundin wollen „natürlich“ irgendwann selbst Kinder. „Vier“, sagt Lanig und lacht: „Das haben wir als erstes geklärt!“ Ob ein Mann oder eine Frau helfen wird, sie zur Welt zu bringen? „Ist uns egal“, sagt er. „Hauptsache, unsere Hebamme versteht was davon.“