Essen. Eine bundesweite “Stillstrategie“ soll öffentliche Akzeptanz fürs Stillen verbessern. Doch noch immer haben viele Mütter Fragen zu dem Thema.

Im Juli vergangenen Jahres hat das Bundeskabinett weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit eine „Nationale Strategie zur Stillförderung“ verabschiedet. Sie soll öffentliche Akzeptanz und Rahmenbedingungen fürs Stillen verbessern sowie die „Stillmotivation“ im Land steigern“. Zwar stillen zwei schon heute Drittel aller Mütter ihr Kind unmittelbar nach der Geburt ausschließlich, aber nach vier Monaten, der empfohlenen Mindeststillzeit, sind es nur noch 40 und nach einem halben Jahr noch 13 Prozent. Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen werden zudem seltener und kürzer gestillt – Ergebnisse einer Studie im Rahmen des Forschungsprojekts „Becoming Breastfeeding Friendly“ (BBF). Die Forscher untersuchten 2017 bis 2019, wie stillfreundlich Deutschland ist, befanden: „so mittelfreundlich“ – und empfahlen die genannte Nationale Stillstrategie.

Doch wieso ist Stillen wichtig? Und nicht immer klappt’s (auf Anhieb). Junge Eltern haben viele Fragen rund ums Thema. Hier die wichtigsten und die Antworten darauf.

Rundum zufrieden: Stillen festigt die Mutter-Kind-Beziehung – und macht glücklich. 600 Stunden lang wird dabei allein im ersten Lebensjahr gekuschelt.
Rundum zufrieden: Stillen festigt die Mutter-Kind-Beziehung – und macht glücklich. 600 Stunden lang wird dabei allein im ersten Lebensjahr gekuschelt. © Shutterstock/marla dawn studio | marla dawn studio

Was spricht für das Stillen?

1. Es ist gesund – für Baby und Mutter. Gestillte Kinder sind später weniger oft übergewichtig und entwickeln seltener Diabetes Typ 2 als „Fläschen-Kinder“. Stillen schützt Babys zudem vor Durchfallerkrankungen, Mittelohrentzündung, Atemwegsinfekten, und laut BBF sogar vor plötzlichem Kindstod; es verringert, so die Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS), auch das Allergierisiko. Bei der Mutter bildet sich die Gebärmutter durchs Stillen schneller zurück, das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen (Brust, Eierstock, Gebärmutterschleimhaut) sinkt.

2. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass Muttermilch die optimale Ernährung für Säuglinge ist. Sie ist leicht verdaulich und enthält alle wichtigen Nährstoffe und Vitamine – in der richtigen Qualität und Menge, abgestimmt auf den jeweiligen Entwicklungsstand.

3. Sie ist kostenlos (Stillen spart im ersten Lebensjahr des Babys rund 750 Euro errechnete die AFS); sie ist keimfrei, immer perfekt temperiert, jederzeit und überall verfügbar. Müll fällt beim Stillen übrigens auch nicht an.

4. Stillen stärkt die Mutter-Kind-Beziehung: allein im ersten halben Jahr wird dabei ja 600 Stunden lang gekuschelt. Das funktioniert allerdings auch, wenn das Baby mit dem Fläschen ernährt wird...

Wie gelingt der Still-Start?

Hautkontakt mit dem Baby unmittelbar nach der Geburt (auch bei Kaiserschnitten!) sorgt dafür, dass im Körper der Mutter vermehrt die Stillhormone Prolaktin und Oxytocin ausgeschüttet werden. Prolaktin sorgt für die Milchbildung, Oxytocin regt den Milchspendereflex an. Die Stillberaterinnen der AFS raten daher: Legen Sie ihr Baby so früh wie möglich nach der Geburt zum ersten Mal an, idealerweise gleich im Kreißsaal. Ist das nicht möglich: Holen Sie es so schnell wie möglich nach. Ein gesundes, zum Termin geborenes Baby findet, wenn man es auf den Bauch seiner Mama legt, nach 30 bis 80 Minuten von ganz allein die Brustwarze, „dockt“ an und beginnt zu saugen. „Breast Crawl“ nennen Wissenschaftler diesen Urinstinkt.

Die erste Muttermilch, das Kolostrum, sollte im Übrigen jedes Baby bekommen – ganz gleich ob es gestillt wird oder nicht. Denn die Neugeborenenmilch hilft, das anfangs noch unreife Immunsystem des Kindes aufzubauen. „Kolostrum ist mit seiner hohen Nähr- und Immunstoffkonzentration für Babys echtes Superfood“, sagt Maria Flothkötter, Leiterin des Netzwerks „Gesund ins Leben“ beim Bundeszentrum für Ernährung. Es enthält unter anderem Immunglobuline, die das Neugeborene vor Krankheiten schützen, die die Mutter bereits durchgemacht hat. Fünf bis sieben Milliliter je Stillmahlzeit reichten aus, viel mehr fasse der gerade mal kirschgroße Magen eines Neugeborenen kaum. Wer nicht stillen mag oder kann, so Flothkötter, könne diese kleinen Mengen auch von Hand „gewinnen“ und dem Baby mit einem Löffel verabreichen. Kolosturm wird bereits während der Schwangerschaft gebildet und ist unmittelbar nach der Geburt verfügbar, ab dem fünften Tag nach der Geburt ändert sich die Zusammensetzung der Muttermilch.

Wann, wie oft und wie lange soll das Baby gestillt werden?

Wann immer es will, und solange es will. Die Nationale Stillkommission und das Netzwerk „Gesund ins Leben“ empfehlen deutschen Müttern aktuell, Säuglinge am besten sechs, mindestens aber vier Monate lang voll zu stillen. Auch nach der Einführung von Beikost (spätestens mit Beginn des 7. Monats) sollte weitergestillt werden – mindestens das erste und zweite Lebensjahr hindurch, rät die Weltgesundheitsbehörde.

So früh wie möglich sollten Neugeborenedas erste Mal angelegt werden, am besten noch im Krreißsaal, raten Stillberaterinnen.
So früh wie möglich sollten Neugeborenedas erste Mal angelegt werden, am besten noch im Krreißsaal, raten Stillberaterinnen. © Shutterstock/Tyler Olson | Tyler Olson

Stillabstände zwischen einer und drei Stunden sind vor allem am Anfang völlig normal. Einige Babys sind nach 15 Minuten satt, andere schon nach fünf und wieder andere erst nach einer halben Stunde. Manche wollen rund um die Uhr regelmäßig alle zwei bis drei Stunden trinken, andere über einen Zeitraum von zwei bis sechs Stunden stündlich – und dann länger schlafen. Manche Säuglinge veränderen ihre Stillfrequenz und ihr Stillmuster mit der Zeit, andere nicht. „Es gibt keine Anleitung zum Stillen mit Stundentaktung. Keine Handy-App, die piept: Jetzt bitte stillen“, erläutert die Frauenärztin Dr. Cornelia Hösemann vom Netzwerk „Gesund ins Leben“. Deswegen sei Stillen „in der heutigen Zeit, wo alle gern akribisch planen, durchaus eine Herausforderung.“

Wird das Baby allein von Muttermilch satt?

Praktischerweise regelt die Nachfrage das Angebot: Je öfter gestillt wird, um so mehr Milch wird produziert – eine wunderbare Automatik. In den ersten Stunden und Tagen nach der Geburt sowie in Wachstumsphasen (in der Regel zwischen 7. und 10. Lebenstag, 4. und 6. Woche und gegen Ende des dritten Lebensmonats) ist deshalb häufiges Anlegen bzw. Stillen sinnvoll. Ob ein Baby genug trinkt, erkennt man zudem an der Zahl der nassen Windeln: In den ersten 48 Stunden sollten es ein bis zwei sein, danach täglich sechs bis acht.

Selbst im Hochsommer, wenn es sehr heiß sei, bräuchten Babys nicht zusätzlich Tee oder Wasser, wie die AFS betont. Muttermilch sei auch dann der „perfekte Durstlöscher“, wenn das Kind durstig sei, melde es sich eben häufiger. „Überfüttern“, so die Experten, könne man beim Stillen nicht.

Kann jede Frau stillen?

Grundsätzlich: ja. Es gibt nur sehr wenige medizinische Gründe, die das Stillen verhindern, Chemotherapie, Drogen- oder Alkoholsucht der Muter etwa, Verletzungen, Fehlbildungen oder (Krebs-) Operationen der Brust. Dass kleine Brüste weniger gut fürs Stillen geeignet sind als große, ist übrigens: ein Ammenmärchen.

Was das Stillen oft eher schwer macht, sind fehlende Information und mangelnde Unterstützung. 64 Prozent der Mütter, die früher, als sie es eigentlich geplant hatten, abstillen, begründen dies damit, dass ihre Milch fürs Kind nicht reiche. Tatsächlich gehen die Experten davon aus, dass nur sehr wenige Frauen zu wenig Milch produzieren.

Was sind typische Still-Probleme?

Wunde Brustwarzen, Milchstau, Brustentzündung einerseits; Babys, die beim Saugen einschlafen, andererseits.

Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind „gereizte“ Brustwarzen gerade bei Still-Anfängerinnen normal. Schmerzen deuteten indes darauf hin, dass das Kind die Brustwarze beim Saugen verletzt – vielleicht weil es falsch angelegt wird (siehe Extra-Info).

Milchstau entsteht, wenn Milchgänge nicht komplett entleert werden, die Brust ist druckempfindlich, geschwollen oder gerötet, fühlt sich heiß an. Oft ist Stress die Ursache. Ruhe und häufiges Anlegen (alle 1,5 bis 2 Stunden) helfen meist, eventuell auch das vorsichtige Ausstreichen der Brust.

Mindestens vier Monate lang, besser sechs, sollten Kinder in Deutschland voll gestillt werden – rät die Nationale Stillkommission.
Mindestens vier Monate lang, besser sechs, sollten Kinder in Deutschland voll gestillt werden – rät die Nationale Stillkommission. © Shutterstock / Rob Hainer | Rob Hainer

Selbst wenn aus dem Milchstau eine Brustentzündung geworden ist (oft verbunden mit hohem Fieber und schwerem Grippegefühl) müsse eine Mutter nicht zwingend abstillen, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: „Versuchen Sie Ihr Baby möglichst häufig anzulegen, an der entzündeten Seite zuerst. Sie können die Brust auch regelmäßig ausstreichen oder die Milch abpumpen. Der Heilungsprozess wird so gefördert und die Gefahr einer Abszessbildung verringert. Versuchen Sie sich weitestgehend zu schonen, am besten mit Bettruhe. Nehmen Sie auf jeden Fall ausreichend Flüssigkeit zu sich“, heißt es. Unter Umständen muss ein Arzt zusätzlich stillverträgliche Antiobiotika verschreiben.

Dass Babys beim Stillen einschlafen, passiert oft: Saugen ist anstrengend, es macht müde. Wenn die Mama sitzend und nicht liegend stillt, bleibt ihr Kind meist länger „bei der Sache“.

Müssen Mütter in der Stillzeit für zwei essen?

Noch so ein Mythos, der sich hartnäckig hält. 250 bis 500 Kalorien etwa verbrauchen stillende Mütter im Schnitt zusätzlich – das entspricht einem gut belegten Brötchen oder einem großen Glas Milch. Wichtig ist vor allem, dass sich Stillende gesund und ausgewogen ernähren – reichlich Gemüse und Obst essen, Vollkornproduk­te, hin und wieder ein Stück Fleisch, einmal in der ­Woche Fisch. Stillende, die sich vegan ernähren, sollte mit ihrem Arzt darüber sprechen.

Selbst von Hülsenfrüchten, Kohl & Co sowie Chili oder Zitrusfrüchten raten die Experten in der Stillzeit nicht mehr grundsätzlich ab. Erstes würden Blähungen beim Baby verursachen, letztere einen wunden Popo, hieß es früher. Wissenschaftliche Studien konnten das aber nicht belegen. Heute gilt darum: Probieren Sie, was Sie mögen. Da bakteriell übertragbare Toxoplasmose- oder Listerien-Infektionen nicht über die Muttermilch ans Kind übertragen werden kann, sind – anders als in der Schwangerschaft – auch Rohmilchprodukte wie Camenbert wieder „erlaubt“.

Rauchen und Alkohol sollten allerdings tabu sein.

Stillen mit Covid-19?

Kein Problem, sagt eine US-Studie von Januar. Es gebe keine Hinweise darauf, dass infizierte Mütter durch das Stillen ansteckende Viren aufs Kind übertragen.

Wo finden Mütter Hilfe?

Schon in der Schwangerzeit sollten angehende Eltern sich mit dem Thema Stillen befassen, raten Experten. Hebammen, Still- und Laktationsberaterinnen sowie Frauenärzte/-innen vor Ort können erste Ansprechpartner sein. Nach der Geburt helfen zudem Stilltreffs weiter, die es online und in vielen Städten gibt. In den meisten Kliniken kennt man Adressen. Im Internet finden sich zudem viele Tipps, unter anderem auf den Seiten des Netzwerks „Gesund ins Leben“ (Bundeszentrum für Ernährung), der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung sowie der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen.

>>> INFO: Die besten Stillpositionen

„Für ein gutes Gelingen“ empfiehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: „Setzen oder legen Sie sich bequem hin – mit gutem Halt für Rücken und Arme, die Schultern entspannt“. Sie unterscheidet „zurückgelehnte Stillhaltung“ (für die allererste Zeit), Wiege- sowie Rückenhaltung und das Stillen im Liegen. Es gibt viele mehr. Alles ist möglich – solange sich Mama und Baby dabei wohlfühlen. Zwillingsmüttern empfehlen Experten den „Doppelten Rückengriff“ und ein spezielles Zwillingsstillkissen. Mütter von Kindern mit einer Behinderung und Problemen beim Stillen sollten den „Dancer-Griff“ probieren.

>>> INFO: Zufüttern

Ab dem siebten Lebensmonat ist das kindliche Verdauungssystem ausgereift. Wann das Baby bereit ist für seinen ersten „Brei“ signalisiert es selbst, laut Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen. Die Eltern erkennen das an den sogenannten „Beikostreifezeichen“: das Baby kann mit Unterstützung aufrecht sitzen, seinen Kopf alleine halten; der „Zungenstreckreflex“ (mit ihm wird alles, was in den Mund kommt, unmittelbar wieder nach außen geschoben) ist verschwunden; das Kind zeigt grundlegendes Interesse am Essen. Beikost sollte das Stillen anfangs nur ergänzen, nicht ersetzen.

>>> INFO: Schwanger trotz Stillens

Dass Stillen vor erneuter Schwangerschaft schützt – stimmt nicht. Sogar Mütter, die voll stillen und deren Periode nach der Geburt noch nicht wieder eingesetzt hat, könnten tatsächlich nicht völlig sicher sein, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – obwohl bei jedem Stillen das Hormon Prolaktin ausgeschüttet wird, was den Eisprung hemmt. Durch längere Stillpausen (mehr als vier Stunden) oder Zufüttern sinke der Prolaktinspiegel jedoch, und damit verringere sich auch der Empfängnisschutz. Obacht: nicht alle Verhütungsmethoden und -mittel eignen sich für die Stillzeit, manche „Antibabypillen“ etwa nicht. Fragen Sie Ihren Arzt.