Dortmund. Der Bochumer Online-Händler Babymarkt.de beschäftigt Hebammen, die Eltern „ehrlich“ beraten. Das kostenlose Angebot kommt ausgesprochen gut an.

Pflegeprodukte braucht kein Kind, jedenfalls nicht in seinen ersten vier Lebensmonaten. Genauso wenig wie ein eigenes Zimmer. Auch vom Nestchen im oder einem „Himmel“ über dem Babybett, rät Vera Möller entschieden ab. Dabei arbeitet sie doch für Babymarkt.de, Europas größten Online-Shop für Baby- und Kinderartikel. Aber sie ist dort eben nicht als Verkäuferin beschäftigt. Sondern als Hebamme.

Das Online-Unternehmen, eine 100-prozentige Tengelmann-Tochter mit Sitz in Bochum, betreibt in NRW auch sechs Filialen, in Dortmund (2), Duisburg, Essen, Düsseldorf und Münster. Vor Ort bieten Vera Möller und ihre Kollegin Nadja Frei (37) werdenden Müttern – und ihren Partnern, selbst angehenden Großeltern – kostenlos Beratung an. Online natürlich auch. Ein Angebot, dass „wahnsinnig gut“ angenommen wird, wie Vera Möller sagt. Hebammen sind rar, schwer zu finden in diesen Tagen, das weiß jede Schwangere.

Kindersitze: Die Auswahl ist riesig, die Hebammen veröffentlichen auch Produkttests, die bei der Entscheidung helfen können. Puppe Lisa, das Tragetuch-Beispiel-Baby, fühlt sich in diesem wohl… Hebamme Vera Möller sagt aber: Auf Dauer dürfen (echte) Babys in solchen Schalen genauso wenig „aufbewahrt“ werden, wie in den beliebten Wippen.
Kindersitze: Die Auswahl ist riesig, die Hebammen veröffentlichen auch Produkttests, die bei der Entscheidung helfen können. Puppe Lisa, das Tragetuch-Beispiel-Baby, fühlt sich in diesem wohl… Hebamme Vera Möller sagt aber: Auf Dauer dürfen (echte) Babys in solchen Schalen genauso wenig „aufbewahrt“ werden, wie in den beliebten Wippen. © FUNKE Foto Services | RALF ROTTMANN FUNKE FOTO SERVICI

„Trageberatung“ ist am gefragtesten

Die 42-Jährige Hertenerin ist seit 20 Jahren Hebamme, und „war immer im Kreißsaal“. „Aber nach 17 Jahren Schichtdienst habe ich gemerkt, ich brauche eine Auszeit.“ In ihrem neuen Job sind die Arbeitszeiten familienfreundlicher, besser planbar und sie erlebe zudem „sehr viel Dankbarkeit“. „Ganze Romane“ schrieben begeisterte Paare in die Google-Bewertungen, erzählt sie lachend. Sie und ihre eigene Familie seien auf jeden Fall deutlich entspannter, seit sie 2019 von der Klinik in den Babymarkt wechselte, so die zweifache Mutter.

Vor der Tür der Filiale im Dortmunder Indupark, wo wir Vera Möller treffen, lädt ein Aufsteller zu den nächsten Beratungsterminen ein: um die notwendige Erstausstattung vom Body („in Größe 56“) bis zum Kinderwagen(„immer Probe fahren“) geht es dabei – und ums Tragen des Kindes, „Babys sind Traglinge“, erklärt Möller. Doch soll es nun ein Tragegestell sein, ein Tragesystem oder doch ein Tragetuch? Und wenn Tuch, wie binden? „Es gibt 90 verschiedene Techniken“, sagt Möller, zertifizierte „Trageberaterin“. In der Beratung gehe es nie um ein bestimmtes Modell, „nur um die richtige Methode“; wen sie berät, der muss danach auch nicht im Babymarkt kaufen; „obwohl es viele tun“, berichtet Möller. Aber sie hat auch schon ratlosen Frauen erklärt, wie man die Tragetücher wickelt, die sie auf Ebay so günstig ersteigert hatten….

„Werdende Eltern vertrauen nicht mehr auf ihr Bauchgefühl“

Bis zu 40 Paare kamen vor Corona zu einem offenen Beratungstermin, wegen der Pandemie werden inzwischen nur noch Einzeltermine vor Ort vereinbart, 18 pro Tag. Am gefragtesten sei tatsächlich die Trageberatung, „so ein System kann man eben nicht einfach aus dem Regal nehmen“. Aber sie beobachte auch, sagt Möller, dass werdende Eltern nicht mehr wie früher auf ihr Bauchgefühl vertrauten, manchmal „zu belesen“ seien. „Kopf ausschalten hilft“, sagt sie denen oft. Aber, das sei das Wichtigste, „jede Familie muss auch ihren eigenen Weg finden.“

Vor „Reizüberflutung“ warnt Hebamme Vera Möller. Doch ein einzelner Elefant oder ein einfaches Mobile dürfe über dem Wickeltisch hängen – sobald das Kind klar sehen kann.
Vor „Reizüberflutung“ warnt Hebamme Vera Möller. Doch ein einzelner Elefant oder ein einfaches Mobile dürfe über dem Wickeltisch hängen – sobald das Kind klar sehen kann. © FUNKE Foto Services | RALF ROTTMANN FUNKE FOTO SERVICI

Regelmäßig bieten die beiden Hebammen auf Facebook und Instagram zudem „Live Talks“ und (ebenfalls gut besuchte) „Hebammen-Sprechstunden“ an, in denen sie Fragen beantworten oder Tipps und Infos zu bestimmen Themenschwerpunkten (etwa: Ernährung, Stillen, Beikost oder Schlafen) offerieren. Die Hebammen verschicken zudem wöchentliche „Babybauchpost“ als individuelle Newsletter an Interessierte und erarbeiteten für die Babymarkt-Homepage einen ausführlichen Online-Ratgeber für Schwangere und frisch gebackene Eltern; ein „Schwangerschafts-Tagebuch“ ist als App erhältlich; „Babybauch und Elternglück“ heißt ihr Podcast, in der jüngsten Folge geht es um die Zeit im Wochenbett. Möller und Frei testen für Babymarkt. de zudem neue Produkte auf dem Markt und schulen Mitarbeiter in Sachen „Tragen“.

Servicegedanke und Alleinstellungsmerkmal

Und was bewegt ein Unternehmen, freiwillig ein solches kostenloses Angebot zu machen? Es sei der Servicegedanke, meint Vera Möller. Außerdem sei es ein „Alleinstellungsmerkmal“, es gebe kaum andere ähnliche Angebote – und natürlich locke es Kunden an: „Die kommen zur Beratung in den Laden, lernen uns kennen und kommen wieder, um zu kaufen.“ Dabei seien die Hebammen-Gespräche nie verkaufsorientiert, versichert Möller, „sondern „immer ehrlich und offen“. Weshalb sie eben auch sagt, was sie für richtig hält. Etwa, dass Pflegeprodukte für die Erstausstattung verzichtbar sind. Eine Babybürste dagegen nicht. „Gut gegen Milchschorf“, verrät die Hebamme.