Ruhrgebiet. Nach zwei Jahren Pandemie-Pause müssen die Läufer ihre Füße endlich nicht mehr still halten: Beim Vivawest-Marathon gingen 7000 an den Start.

Der Vivawest-Marathon war am Sonntag eine große Party auf den Straßen des Ruhrgebiets von Gelsenkirchen über Gladbeck und Bottrop bis Essen - ehe der Veranstalter am Abend die Meldung vom Tod eines Teilnehmers veröffentlichte. Der 20-jährige war kurz vor dem Ziel des Halbmarathon-Laufes in Gelsenkirchen zusammengebrochen, trotz Reanimationsmaßnahmen verstarb der Mann.

Zur Meldung: Vivawest-Marathon - 20-Jähriger bricht zusammen und stirbt

Hinweis: Im Folgenden lesen Sie die Reportage mit Stand vom späten Sonntagnachmittag.

Lief nicht für Nummer 8 und Nummer 9 wegen Corona, das „Jubiläum“ ist also ein bisschen gemogelt. Zum Feiern aber gibt es auch so genug Grund: Beim offiziell 10. Vivawest-Marathon rennen am Sonntag 7000 Sportler durch vier Städte im Ruhrgebiet. „Endlich wieder“ hätte das Motto sein können nach zwei Absagen in der Pandemie. Läuft!

Sie wollten immer die 10.000 knacken, 2020 sollte es geschehen. 2019 waren schon mehr als 9000 Teilnehmer dabei. Aber dann fiel der Volkslauf in ein tiefes Loch und das Volk fiel mit: Weltweit bremste Covid die Läufer aus, auch der Vivawest-Marathon wurde abgesagt, einmal und noch einmal. Wobei: Gelaufen sind die Leute ja trotzdem. „Virtuell“ vor zwei Jahren, was tatsächlich durchaus real war, aber es rannte jeder für sich und schickte seine Zeit per App. Auf einer „Challenge“ im Jahr darauf, einer festgelegten Strecke, die zehn Tage hielt. Jetzt aber! Sind die Menschen wieder gemeinsam auf der Straße. „So froh, dass es endlich wieder geht!“

Weniger schwül als bei der letzten Auflage 2019, aber trotzdem warm: Karolina geht gleich nach dem Zieleinlauf duschen.
Weniger schwül als bei der letzten Auflage 2019, aber trotzdem warm: Karolina geht gleich nach dem Zieleinlauf duschen. © Funke Foto Services | RALF ROTTMANN

„Allein durch die Gegend laufen, ist ja ganz schön, aber das ist schöner“

Sagt der Veranstalter, sagen die Sponsoren, sagen vor allem die Teilnehmer. Zweimal hatten Hanna und Hannah aus Essen, 19 und 17, sich schon für den Halbmarathon angemeldet: „Jetzt geht es endlich los!“ Und Lale, die 21-Jährige aus Dortmund, wollte schon zweimal in Köln starten – auch dort fiel der Lauf immer wieder aus: „Es soll nicht sein.“ Gelsenkirchen aber soll sein, „falsche Farbe“ zwar für Dortmunderinnen, aber nun, ihr Handball-Verein trägt auch Blau-Weiß. Jan Fitschen, der ewige Europameister über 10.000 Meter von 2006, sagt auf der Bühne am Start: „Allein durch die Gegend laufen, ist ja ganz schön, aber das hier ist schöner!“

Rund 60 Fotos: Hier gibt es die Bilder vom Vivawest-Marathon am Sonntag

Und wie schön: Zum ersten Start kommt die Sonne raus am Musiktheater in Gelsenkirchen, es ist klatschendes Publikum da, und es melden am Morgen noch Läufer nach. Man hatte, heißt es hinter vorgehaltener Hand, „schon Sorge, dass sie nicht zurückkommen“. Aber da sind sie wieder, können die Füße nicht mehr stillhalten. Mit Shirts von Marathons in Berlin, New York und Ameland, mit „Ruhrpottkind“ auf dem Rücken, „Ich laufe auf Koks“ oder „Auf Kohle geboren“ – für viele ist der Lauf vor der Haustür immer noch gefühlt ein „Ruhrmarathon“, der allererste oder wenigstens der erste nach langer Pause. „Drei Jahre keine Zuschauer!“

Schalker schafft die halbe Distanz in 2:09:40 Stunden

Die meisten, mehr als 3300, setzen auf den Halbmarathon, wie die Hanna(h)s, wie Lale, Emma und Katrin, wie Gerald, der Schalke-Fan vom Niederrhein: Der will in seinem Waldoch-Trikot die gut 21 Kilometer in zwei Stunden und 19:04 Minuten schaffen, aber er hat nicht einmal eine Uhr dabei. Am Ende stimmen die Zahlen trotzdem: Zieleinlauf in zwei Stunden, neun Minuten und 40 Sekunden!

Die Schüler starteten an der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen.
Die Schüler starteten an der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen. © Funke Foto Services | RALF ROTTMANN

Cees aus Enschede und Conrad aus München laufen Marathon, für den 69-Jährigen ist es sein 201., für den 18-Jährigen der erste. „Wir Weiß-Blauen müssen uns ja mit den Blau-Weißen anfreunden.“ Die Zeit ist dem Abiturienten egal, auch seine Mutter auf der halben Strecke hat das Laufen überhaupt erst angefangen, „weil ich auch so schöne Schuhe haben wollte“. Gute Einstellung, denn es ist bekannt, dass man im Ruhrgebiet keine Bestzeiten laufen kann: zu viele Hügel. Auf den steilen Anstieg in Essens Innenstadt haben sie diesmal verzichtet – dafür müssen die Marathonis zwei Runden rennen. Über die Zechen Zollverein und Nordstern, Prosper Haniel ist ja seit 2018 dicht; wer zum Schluss noch Puste hat, wird erzählen, wie toll es war und wie „geil“ die Stimmung.

Ukraine-Hilfe: Schalker Fans laufen für den Frieden

Das geht so fast den ganzen Tag, weil sie diesmal ganz viele Starts organisiert haben zu unterschiedlichen Zeiten und an anderen Orten. Sie wollten wegen Corona entzerren, weshalb 15- und 10-Kilometer-Läufer erst mittags loslaufen, in Bottrop, Gladbeck oder am Nordsternpark. Hier geht es unter Ultra-Applaus los für die Schüler, für Familien und für den Frieden: Schalke nutzt seinen Heimvorteil und sammelt für die Taskforce Ukraine der Stadt, Vivawest stockt die Teilnahme-Gebühr auf. Aber für welchen Zweck sie auch immer rennen, im Ziel in Gelsenkirchen jubeln sie, werfen mit Konfetti oder greifen sich lachend in die Seiten(-stiche). „Nur glückliche Menschen“, sagt der Moderator, „die endlich wieder rausdürfen.“ Die Hände zum Handy!

Glücklich im Ziel: Marathon-Siegerin Angela Moesch.
Glücklich im Ziel: Marathon-Siegerin Angela Moesch. © Funke Foto Services | RALF ROTTMANN

Es gewinnt den Marathon Elias Sansar, dem das schon zum vierten Mal gelingt – dabei hat er erst am Morgen beschlossen anzutreten. Bei den Frauen liegt Angela Moesch vorn, die 2016 den Halbmarathon gewann, auch sie startet kurzfristig. Über die halbe Strecke siegen Leonard Goll und Annika Börner (Essen). 15 km: Niklas Geilich (Essen) und Marion Köhne. Den 10-Kilometer-Lauf der WAZ entscheiden Niels Wieduwildt und Pia Opitz für sich. „Eindeutig“, sagt einer, der die Nase auch ziemlich weit vorn hat, „war das der allerschönste Lauf seit langem.“ Schon vergessen, dass es wohl auch der einzige war.