Essen. Jan Fitschen, 10.000-Meter-Europameister von 2006, spricht vor dem Vivawest-Marathon über seine Erfolge und Wettkampfvorbereitungen.

Er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Bei Jan Fitschen dreht sich im Leben alles ums Laufen. Der 45-Jährige, der bei der Europameisterschaft 2006 in Göteborg den Titel über 10.000 Meter gewann, hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, so viele Menschen wie möglich von der Faszination des Laufens zu überzeugen. In seinem Podcast, bei Vorträgen, als Trainer in Laufcamps oder als Experte im Fernsehen. Natürlich ist der Wattenscheider auch am Sonntag beim 10. Vivawest-Marathon durch das Ruhrgebiet vor Ort. Im Interview spricht Jan Fitschen über seine Funktion bei der Jubiläumsveranstaltung, gibt fachmännische Tipps zum Laufen und verrät, warum er in seinem Leben noch zum Mond laufen will.

Herr Fitschen, wir hatten Sie vor unserem Gespräch um eine kleine Hausaufgabe gebeten. Was zeigt der Tacho bei Jan Fitschen an? Wie viele Kilometer sind Sie ungefähr in Ihrem Sportlerleben gelaufen?

Jan Fitschen: Das hat mich dann auch sehr interessiert. Ich habe in alten Trainingstagebüchern nachgeblättert und eine Excel-Tabelle erstellt. Es müssten über den Daumen gepeilt 160.000 Kilometer sein. Bis zum Mond sind es 384.000 Kilometer. Vielleicht schaffe ich das ja noch.

Welche waren die schönsten Kilometer auf ihrem Lebenslauf?

Da muss ich keine Sekunde nachdenken, das waren die zehn Kilometer bei der Europameisterschaft 2006, als ich für alle völlig überraschend – und da schließe ich mich ein – die Goldmedaille über 10.000 Meter gewonnen habe.

Wie präsent sind die Erinnerungen 16 Jahre danach?

Ich habe alles noch vor Augen. Die totale Euphorie vor allem im Ziel, die grenzenlose Begeisterung meiner Freunde und meiner Familie. Ohne diesen Europameister-Titel wäre mein Leben anders verlaufen. Er ist die Grundlage für alles, was ich jetzt mache. Das Gold ist der Türöffner für alle meine Aktivitäten. Für meine Laufreisen, für meine Vorträge und für meinen Podcast. Man muss sich natürlich auch immer etwas Neues und Gutes einfallen lassen. Ich darf mich nicht auf dem Titel ausruhen.

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Welche Kilometer waren die schwersten?

Die Kilometer, die ich gar nicht gelaufen bin. So wie bei der Europameisterschaft 2002 in München, als ich mit einer Magenverstimmung auf der Tribüne meine Konkurrenten ohne mich habe laufen sehen müssen. Oder 2012, als ich beim Marathon in Düsseldorf mit einem Muskelbündelriss die Qualifikation für die Olympischen Spiele in London schaffen wollte und nach 15 Kilometern mit Tränen in den Augen aufgeben musste.

Sie sind sehr präsent in der Laufszene. Am Sonntag steigt der 10. Vivawest-Marathon durch das Ruhrgebiet. Sind Sie auch am Start?

Natürlich. Sogar in einer Doppelfunktion. Erst schicke ich die Läuferinnen und Läufer bei einer Aktion vor dem Start auf die Strecke und dann bin ich beim Zehnkilometerlauf von Gladbeck nach Gelsenkirchen selbst dabei. Der gemeinsame Spaß am Laufen steht im Vordergrund.

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Welche letzten Tipps hat der Laufexperte Jan Fitschen für die Teilnehmer?

Nicht mehr zu viel trainieren in den Tagen vor dem Wettkampf. Dann ist weniger mehr. Nicht verrückt machen, wenn man nervös ist. Das ist normal und hilft sogar. Ganz wichtig: Früh genug im Startbereich sein, damit keine Hektik aufkommt. Trikot, Hose, Startnummer, Sicherheitsnadeln, alles am Tag vorher schon rauslegen. Und niemals nagelneue Schuhe anziehen. Jeder Meter mit Blasen ist eine Qual.

Und was sollen die machen, die erst im nächsten Jahr laufen wollen?

Erst einmal super, wer sich solch ein Ziel setzt. Stück für Stück zielgerichtet mit dem Laufen beginnen. Beispielsweise mit Tipps per Newsletter in meinem Projekt 10.000 mal 10.000, in dem ich 10.000 Menschen zu ihrem ersten Lauf über 10.000 Meter führe. Zwischenziele sind auch empfehlenswert, beispielsweise ein Event im Herbst und dann einen Silvesterlauf, ehe man sein eigentliches Ziel im nächsten Frühjahr angeht.

Ist Laufen Ihr Leben?

Neben der Familie mit meiner Frau und den drei Kindern nimmt es einen sehr großen Teil ein.

Was ist denn die Faszination des Laufens?

Da gibt es so viele Faszinationen. Laufen kann ich überall – und das mit minimalem Aufwand, was so kaum ein anderer Sport bietet. Laufen ist einfach lautet ja mein Motto. Mit einer so simplen Bewegung kann ich gleichzeitig etwas für meine Gesundheit tun, vom Alltag und Stress abschalten oder in einer Gruppe ein Gemeinschaftsgefühl zu haben. Ich möchte die Begeisterung für das Laufen weitertragen.

Sie haben zwei Studienabschlüsse als Physiker und als Wirtschaftswissenschaftler, üben diese Berufe aber nicht aus. Was tragen Sie beim Einchecken im Hotel ein?

Ich überlege auch jedes Mal. Zuletzt habe ich mich für diesem Begriff entschieden: Langsamer Profiläufer. Meine beiden Studienabschlüsse hören sich sehr gut an, wenn ich beispielsweise bei meinen Motivationsvorträgen vorgestellt werde. Beruflich dreht sich alles ums Laufen. Es hat sich so ergeben. Ich habe meine Leidenschaft zum Beruf gemacht.

Ihre Nachfolger in Deutschland auf den Langstrecken haben zwar noch nicht wie Sie einen EM-Titel geholt, doch haben sie sich gewaltig gesteigert.

Das ist echt super zu sehen, welche Zeiten beispielsweise meine früheren Wattenscheider Vereinskollegen Amanal Petros und Hendrik Pfeiffer im Marathon hingelegt haben.

Was trauen Sie den deutschen Läufern bei der Europameisterschaft im August in München zu?

Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen können die deutschen Teams im Marathon bei der EM ganz vorne mitlaufen. Und was der Dortmunder Mohamed Mohumed über 5000 Meter auf die Bahn gezaubert hat, ist echt der Hammer: 13:04 Minuten. Nur Olympiasieger Dieter Baumann war in Deutschland jemals schneller.