Dortmund/Essen. Am helllichten Tag und auf Einladung: In Dortmund und Essen haben Graffiti-Künstler Hunderte Meter lange Beton-Mauern neu gestaltet.
„Hall of Fame“ sagen sie in der Szene, dabei ist es eine „Wall of Fame“: keine Ruhmeshalle, eine Ruhmeswand. Weil hier nur die Besten sprühen, nicht illegal, sondern absolut gewollt. In Dortmund ist am Wochenende eine farbenfrohe Mauer voller Graffiti entstanden, die längste des Landes. Und zeitgleich in Essen eine zweite, kürzer zwar, aber dafür höher. Eingeladen waren und sind bekannte Sprayer – und die Bürger: Sie sollen gerne gucken kommen.
Als der Hagel losbricht aus tiefschwarzen Wolken, nehmen alle die Beine in die Hand. Farbdosen verschwinden in Rucksäcken und ihre Besitzer unter ihren Kapuzen im Nichts. „Wie wenn die Polizei kommt“, sagt jemand, aber genau so ist es diesmal nicht. Die Stadt Dortmund hat sie offiziell hergebeten, sie serviert den Sprayern Bier und schickes Fingerfood: Bekannte Künstler sollen eine 600 Meter lange Mauer aufhübschen, die von einem Stahlhandel übrig blieb. Beton zu bunten Bildern.
Oberbürgermeister: „Die schönste Mauer, die Westdeutschland je gesehen hat“
Die hier „malen“, wie sie sagen, kommen auch sonst nicht im Dunkel der Nacht. Auch wenn sie neben wenigen Figuren vor allem ihren Künstlernamen hinterlassen: Sie haben sich einen guten Namen gemacht, auch bei den Behörden. „Hochkarätig“ nennt die Stadt die mehr als 60, die auf der Industriebrache im Dortmunder Hafen einen ersten Farbtupfer setzen sollen: Das zehn Hektar große Areal wird derzeit zu einem neuen Quartier entwickelt, kreativ vor allem soll das Viertel werden, weshalb Graffiti-Kunst gut passt. Die Wirtschaftsförderung ist dabei, das Quartiersmanagement, die Entwicklungsgesellschaft für das Hafenviertel. Zur Eröffnung der „schönsten Mauer, die Westdeutschland je gesehen hat“, kommt sogar Oberbürgermeister Thomas Westphal.
Und auch die Künstler selbst staunen: Das gab es noch selten, dass eine Stadt mehr als 1000 Quadratmeter Eigentum für Graffiti zur Verfügung stellt, jedenfalls hat Sandro das noch nicht erlebt. Der 47-Jährige kommt aus dem niederländischen Haarlem und findet ohnehin, dass Deutschland seine Kunst „mehr umarmt“. Aber auch Markus Happe klagt ja sonst über „zu wenige Flächen“ und lobt Dortmund für diese Idee, die er schon vorher „eine Erfolgsgeschichte“ nennt. Und Happe muss es wissen: Er leitet eine Agentur für Kunst im urbanen Raum, die ganz in der Nähe der Dortmunder Mauer sitzt, „More than words“.
Es geht darum, den eigenen Graffiti-Namen so abstrakt wie möglich darzustellen
Und „mehr als Worte“ sind es auch, die nun die Nordstadt erhellen, aber Wörter vor allem: DEMON steht an der Wand, FOKUS, STORNO und auch DEAR, das sind Werk und Name von Sandro, diesmal in Frühlingsfarben, rosa, blasslila, hellgrün. Man muss das wissen, es ist selten leicht zu entziffern, darum geht es ja, sagt Sandro: „Das Spielen mit den Buchstaben.“ Die sind mannshoch, kippen nach rechts oder links, haben Tiefenschärfe und 3-D-Effekt, „Fill-Ins“ und „Outlines“ – für den Mann aus Haarlem sind letztere am Ende das Wichtigste: „Sie müssen scharf und akkurat sein.“ Der Essener David Hufschmidt weiß, dass sich viele Leute wundern: „Dass es so wenig figürliche Motive gibt.“ Es gehe aber „um die Kunst, seinen eigenen Graffiti-Namen so abstrakt wie möglich darzustellen“.
Um die Ecke sprüht Cantwo, der eigentlich Fedor heißt; der 51-Jährige ist wohl der bekannteste Deutsche Streetart-Künstler und kommt aus Mainz. Er hat sich abgesprochen mit seinen „Nachbarn“: Der Hintergrund ist blau, der Rest Kunst. Es malen Kollegen aus ganz Deutschland, eine ganze Reihe aus den Niederlanden, und genau in der Mitte eine Gruppe aus Essen. Nur sind diese Künstler gerade nicht da, sie machen zuhause ihr eigenes Ding: Im Stadtteil Bochold, ganz in der Nähe des RWE-Stadions, haben Quartiersmanagement und eine Bürgerinitiative 260 mal 6 Meter zur Verschönerung freigegeben, und auch als Sprayer kann man natürlich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. „Es ist“, sagt Happe, „eine kleine Karawane.“
Fußweg über die Industrie-Brache führt entlang der wechselnden „Ausstellung“
Die Mauer von Dortmund ist niedriger, zweieinhalb Meter vielleicht. Sandro muss sein DEAR etwas quetschen, er fühlt sich wohler auf einer kleinen Leiter. Dafür darf im Hafen jeder sieben Meter betünchen in der Breite. Für die öffentliche Galerie hat die Stadt einen steinigen Fußweg durch das Hafengelände gezogen, man will, dass die Bürger hier spazieren gehen wie durch ein Open-Air-Museum. Die Aktion soll ihnen schon jetzt klarmachen: Dieses Viertel wird für euch.
Offen bedeutet aber auch: Die „Ausstellung“ wird wohl alsbald wechseln. Niemand, der sich hier verewigt, bleibt wirklich für ewig mit seiner Kunst. „Nächste Woche“, ahnt Agenturchef Happe, „kann das schon wieder übermalt sein. Das tut weh. Aber das macht es lebendig.“ Und den alten Hasen nichts mehr aus. 90 Prozent seiner Bilder, sagt „Cantwo“, seien weg. Abgerissen, entfernt, übermalt. Aber die Künstler haben ihre Skizzenbücher und vor allem Fotos, „das ist okay“. Was fotografiert ist, bleibt. So gesehen aber lohnt es sich in Dortmund wie Essen auch, immer mal wieder herzukommen: „Gucken“, so denken sich das die Macher in beiden Städten, „was es Neues gibt.“
Streetart-Künstler verwandeln Betonwand in ein Kunstwerk
>>INFO: HALL OF FAME IM RUHRGEBIET
Die 600 Meter lange Mauer in Dortmund ist öffentlich zugänglich – für Künstler wie für Kunstinteressierte. Zu dem Hafengelände, das derzeit als Kreativ- und Digitalquartier entwickelt wird, gibt es zwei Zugänge, die einen Rundgang möglich machen: einen an der Bülowstraße (Höhe Hausnummer 12) und einen an der Schäferstraße.
In Essen findet sich die Streetart-Galerie im Stadtteil Bochold, Bottroper Str. 202-244.