Dortmund. Wo Dortmund einst Stahl kochte, sollen bald Tomaten wachsen oder gar ein ganzer Stadtteil: Die Stadt baut, entwickelt, erfindet sich neu.
Ideen hatten sie in Dortmund schon immer, über viele hat die Stadt (zu) lange Jahre nachgedacht: „Bitte nicht alles gleichzeitig!“ Aber die Angst vor der eigenen Courage, sagt die Politik, sei weg, Dortmund macht, entwickelt, baut. „Der Standort kann das mittlerweile“, sagt Wirtschaftsförderer Thomas Westphal, der für die SPD der neue Oberbürgermeister werden will. „Dortmund“, sagt der scheidende OB Ullrich Sierau, „ist die Stadt, wo direkt was geht.“ Was? Eine Reise zu den wichtigsten Baustellen und solchen, die es bald werden sollen.
Der Hafen
Dortmund zieht ans Wasser, wie es auch Duisburg schon tat und Mülheim: Am Kai des Schmiedinghafens, einem von zehn über 100 Jahre alten Hafenbecken des größten Kanalhafens in Europa, weichen die Stahl- den Digitalarbeitern. Das Dortmunder Systemhaus zieht an die Speicherstraße, die danach ihr altes Kopfsteinpflaster wiederbekommt, ein Berufskolleg, eine Akademie für digitales Theater, Startups und das passende Gründerzentrum sollen kommen, Gastronomie und das Bildungs- und Begegnungszentrum „Heimathafen“.
Insgesamt werden mehr als 13 Hektar neu bebaut – oder umgestaltet. Das fast 60 alte Gebäude der Hafen AG wird in diesen Tagen abgerissen, dafür bleibt die betagte Normaluhr erhalten. Ein dänisches Büro hat mit seinem Entwurf vom Hafenquartier den Städtebau-Wettbewerb gewonnen, es will etwa das „Mittelschiff“ einer brachen Halle künftig mit kleinen Büros unterbauen, mit Cafés und hängenden Gärten. Die alte Drehbrücke, die einer Straße ihren Namen gab, soll auferstehen, eine Promenade und Radwege sollen eine weitere Brücke bauen zwischen dem Hafen, Nord- und Innenstadt, 5000 Arbeitsplätze entstehen.
Das ist der Plan, allein in der südlichen Speicherstraße werden dafür 120 Millionen Euro investiert. 30 Jahre war das alles in der Diskussion, „irgendwann musste man mal anfangen“, sagt die Kommunalpolitik heute. Es entsteht, sagt OB Sierau, „ein Stück Hafen neuer Art“. Zwar sei es „vermessen zu sagen, 2030 ist hier alles fertig“, die ersten Nutzer aber sollen im kommenden Jahr schon einziehen.
Die Westfalenhütte
Kaum mehr denkbar, dass hier mal ein Stahlwerk stand, die Wiege von Hoesch, schwerste Schwerindustrie. Die Chinesen haben große Teile der Westfalenhütte abgeholt, jetzt ist da Brachland, auf Erdhaufen wachsen Birken, Kamille und Sommerflieder, die Reinoldikirche in der Innenstadt sieht zum Greifen nah aus. Vier mal fünf Kilometer Dortmund streben hier nach Anschluss an die Stadt. Schon stehen im Osten Logistikgebäude von Rewe und Amazon; Thyssenkrupp, das noch geblieben ist, erweitert seine Feuerbeschichtungsanlage; im Westen hinterm Borsigplatz bereiten Bagger gerade der Boden für ein Wohnviertel mit 800 Wohneinheiten – dem größten Neubauquartier der Stadt.
Logistik, Gewerbe, Wohnen also – und mittendrin ein Aussichtspunkt. Was es aber dafür dringend braucht, ist eine Verkehrsanbindung. Ab 2024 soll die „Nordspange“ endlich gebaut werden; Hoesch-Allee und Westfalenhütten-Allee werden zwei Jahre später neue Wege eröffnen zwischen Nordstadt und Scharnhorst, die Stadtbahn soll zwei neue Haltestellen bekommen. Noch ist von der Straße nicht viel mehr zu sehen als ein Strich in der Landschaft auf einem Bebauungsplan. Und ein Kran irgendwo auf offener Fläche.
Westfalenhalle
Das Durchschnittsalter der Westfalenhallen liegt bei 47, und das ist bei Gebäuden wohl alt. Sie haben schon viel geliftet in den vergangenen Jahren auf dem Dortmunder Messegelände, es gibt jetzt einen Durchgang, einen neuen Eingang Nord, durch den gerade Studenten gehen zu ihren Abschlussprüfungen in Corona-Zeiten, und einen Messe-Club, dessen Lampen noch in Kunststoff verpackt sind, weil es keine Messe mehr gibt. Aber Corona, sagt der Oberbürgermeister, sei auch „irgendwann vorbei, und dann wollen wir da sein“.
Gerade denken sie also darüber nach, wie viele neue Hallen es im Osten noch brauchen könnte, wo bald der Reiterverein auszieht und Parkplatz A8 neu genutzt werden kann. Der Rahmenplan sieht vor, aus der Strobelallee einen Platz zu machen statt einer Straße mit Parkbuchten. Ein neues Hotel könnte her, ein neuer „Kopf“ für das Eisstadion, dessen Sanitäranlagen „unterirdisch“ sind, wie Planungsdezernent Ludger Wilde sagt. Und die Brücke Richtung Lindemannstraße muss endlich neu: Die ist zu steil, zu eng, zu lang und sollte schon zur Fußball-WM 2006 erneuert werden. Allein, das Geld war alle.
Das soll nun anders sein; Bauabschnitt 1a (die neuen Hallen) soll ab 2021 umgesetzt werden, danach, heißt es, „geht es weiter, so wie Geld da ist“. Der scheidende Oberbürgermeister verweist auf den Ratsbeschluss: „Geld ist da, wenn es gebraucht wird.“ Und es wird gebraucht, da ist er sicher. Es naht die EM 2024, und vielleicht, wer weiß, Olympia 2032. Sierau: „Es geht hier um mehr als eine neue Halle.“
Phoenix West
Auf Phoenix Ost ruht, nicht gerade still, längst der See, auf Phoenix West gibt es Theater: Im Schalthaus 101 des alten Hochofenwerks gastiert das Festival „Ruhrhochdeutsch“, das wegen Corona aus seinem Spiegelzelt umziehen musste. Das geht, weil einer der Großinvestoren auf der 40-Hektar-Fläche noch plant: Das niederländische Unternehmen „World of Walas“ will hier die Zukunft neu erfinden. Das Gelände drumherum hat laut OB Sierau „das größte Potenzial von allen“ in Dortmund, 15.000 Arbeitsplätze sollen hier entstehen, fast 70 Prozent der Fläche sind bereits vermarktet.
Und bebaut: Amprion sitzt jetzt in Hörde, diverse Technologieunternehmen, Architekturbüros, die Bergmannbrauerei sind eingezogen, die Warsteiner Music Hall in der alten Phoenix Halle hat längst einen Ruf. Hinterm Hochofen grübeln junge Architekten über „nachhaltiges urbanes Leben“ in einem „Agrarinnovationszentrum“. Es geht um die Frage, wie sich Städter (hier: Dortmunder) künftig selbst versorgen, wie sie Abwasserentsorgung und Energieeffizienz zusammenbringen, als Beispiel wird genannt: die digital erzeugte Kirschtomate.
Auf Phoenix West soll sie wachsen, im Schalthaus verkauft, von Gastronomen verarbeitet und von den Angestellten im neuen Quartier verspeist werden. Gerade sind die Macher dabei, in Hörde zu fragen, was die Menschen brauchen, und eines wissen sie schon: „Die alten Hoeschianer haben Identifikation verloren, sie sollen bald stolz sein auf das Neue.“ Vor Jahresfrist noch kündigte „Walas“-Chef Gerben van Straaten eine „blaue Welle“ an, die durch den alten Hochofen-Koloss gehen soll, jedenfalls soll er erhalten bleiben: „Er ist eine Ikone“, sagt Investor, „der Dortmunder Eiffelturm.“ Dafür will er 75 Millionen Euro lockermachen und Dortmund zu einem Leuchtturm neben Vancouver, Chicago oder Bangalore. „Wir werden den Hochofen nicht wieder anschalten und Stahl machen“, sagt Mitarbeiter René Papier. „Aber wir werden ihn neu nutzen.“