Essen. Von Lichtkonzept bis Polizeipräsenz – die Kommunen im Revier kämpfen mit vielen Mitteln gegen Angsträume. Warum ihre Handhabe wohl begrenzt ist.
Von Tunnelbeleuchtung bis Videoüberwachung – die Städte in NRW setzen viel daran, mögliche Angsträume in ihrem Stadtbild abzubauen. Trotz zahlreicher Lösungsansätze von Lokalpolitik, Polizei und Forschung dürfte sich die tatsächliche Ursache gefühlter Unsicherheit allerdings allein so nicht aus dem Weg räumen lassen.
Um – vermeintlich oder tatsächlich – unsichere Orten sicherer zu gestalten, setzen Städte und Gemeinden neben dem Einsatz von Ordnungs- oder Polizeikräften auch auf Maßnahmen der sogenannten „städtebaulichen Kriminalprävention“, den Rückschnitt von Büschen oder das Ausleuchten dunkler Ecken. Daneben soll die Durchmischung sozialer Gruppen bei Stadtfesten oder das „Beleben“ unsicherer Orte, Bürgerinnen und Bürgern die Furcht nehmen – beispielsweise in Gelsenkirchen: Der teilweise als „Angstraum“ wahrgenommene Goldbergpark im Stadtteil Buer wurde zum Schauplatz eines Festivals mit Lichtkunst-Installationen. (Lesen Sie hier: Gelsenkirchen: Angstraum wird Lichtkunstgalerie)
Polizei Essen auch bei vermeintlichen Gefahrenorten im Einsatz
Das Essener „Sicherheitsprogramm“ basiert auf der objektiven Kriminalität vor Ort, gibt Sabine Nowak von der Polizei Essen an. Aber: „Im Hinblick auf Orte, an denen derzeit keine objektiv erhöhte Kriminalitätsbelastung vorliegt, können wir präventiv tätig werden und zukünftigen Straftaten vorbeugen,“ fügt sie hinzu.
Dabei spiele Vernetzung mit anderen lokalen Akteuren eine große Rolle, so Nowak. Im Bereich städtebaulicher Kriminalprävention tausche sich die Polizei beispielsweise in Bezug auf Bauvorhaben aus, die auch öffentliche und halböffentliche Räume neu planen. Die Polizei weise auf Faktoren hin, „die belegbar Tatgelegenheiten für potenzielle Straftäter reduzieren und zugleich das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung stärken“.
Kriminalpräventiver Rat in Essen soll wiederbelebt werden
Eine interne Studie der Stadt zeige deutlich, dass im kommunalen Handeln dem Sicherheitsgefühl eine enorme Bedeutung zugemessen wird, berichtet Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg: „Wir stellen fest, dass es eine sehr große Kluft zwischen der objektiven Sicherheit und dem subjektiven Sicherheitsgefühl gibt.“
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Die Kriminalprävention als „Dachmarke“ einzelner Vorbeugungsmaßnahmen habe in Essen allerdings einige Jahre brachgelegen. Im vorherigen Kriminalpräventiven Rat „wurde viel diskutiert, aber es wurden nicht genug konkrete Ergebnisse erzielt“, moniert der Ordnungsdezernent. Nun solle dieser Rat wiederbelebt werden.
Essen könnte Londoner Navigations-App bekommen
Er beobachte, dass die Kriminalprävention bei der Planung städtebaulicher Projekte nicht institutionalisiert sei. „Wir wollen dahin kommen, dass bei jeder B-Plan-Aufstellung, jedem vorhabenbezogenen Bebauungsplan oder Großprojekt dieses Thema von vornherein durchgedacht werden muss,“ so Kromberg. Der Auftrag an die Architekten laute: „Es dürfen keine Angsträume entstehen.“ (Lesen Sie hier: Kromberg zum Essener Salzmarkt)
Zur Stärkung gefühlter Sicherheit in der Stadt zieht er auch innovative Lösungsansätze in Betracht, so auch die App eines Londoner Start-ups. Den vorwiegend weiblichen Nutzern zeige die Navigations-App statt dem schnellsten den sichersten, beleuchteten Weg von A nach B an. „Diese App wird nun in Berlin getestet, und ich habe überlegt, diese im nächsten Jahr auch in Essen einzuführen, wenn sie sich in anderen Städten bewährt haben sollte.“
Angstraum: Städte versuchten sich an „Kosmetik wie Heckenrückschnitt“
Anna Rau, Geschäftsführerin des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (DEFUS), hält die Handhabe der Städte und Gemeinden für begrenzt. „Die Ursachen für die Unsicherheitsgefühle – Globalisierung und Abstiegsängste – können Kommunen nicht beheben,“ so Rau, „Sie hängen stattdessen ein Licht in dunkle Ecken und versuchen sich an ,Kosmetik‘ wie Heckenrückschnitt – aber mit diesen sichtbaren Einzelmaßnahmen erreicht man nicht viel.“
Stattdessen sei ein Gesamtkonzept erforderlich. Ein solches wollte die Stadt Dortmund mit dem „Masterplan kommunale Sicherheit“ entwerfen. Darin sollte die Perspektive von Forschenden, Polizei, Fachverwaltungen, aber auch der Zivilgesellschaft zusammengebracht werden, berichtet Sozialwissenschaftler Ralf Zimmer-Hegmann, der an dem Papier mitgearbeitet hat. „Ich habe sehr begrüßt, dass die Wissenschaft mit am Tisch saß, um die Steuerungsgruppe fachlich zu begleiten.“ Zudem hätten Bürgerinnen und Bürger ihre Perspektiven auf Sicherheit in ihren Wohngebieten eingebracht.
Dortmund wagte den „Masterplan kommunale Sicherheit“
„Ziel war es, die Diskrepanz zwischen realer Sicherheit und subjektiver Sicherheitswahrnehmung zu beheben,“ sagt Zimmer-Hegmann, „insbesondere in Bezug auf Orte in Dortmund, deren schlechtes Ansehen nicht mit der Datenlage, also der Zahl an Delikten, in Einklang gebracht werden kann.“
Der „Masterplan“ solle zudem Startschuss für eine verbesserte Zusammenarbeit der Verwaltungsakteure in Sicherheitsfragen sein. Eine solch bessere Kooperation wünscht sich DEFUS-Geschäftsführerin Anna Rau in allen Städten. „Die Deutsche Bahn sorgt in erster Linie dafür, dass ihr Bahnhof sauber ist, Stadtplaner sprechen sich nicht mit Händlern oder Restaurantbesitzerinnen ab. Sicherheit und Ordnung oder der Fachbereich Soziales werden häufig nicht mitgedacht – und niemand fragt die Nutzergruppen nach ihren Bedürfnissen.“
Zuweilen würden auch Forschungsprojekte mögliche Lösungswege – zum Abbau von Angsträumen – aufzeigen, so auch die Forschung von Tim Lukas. „Mit ,Sicherheit in Bahnhofsvierteln‘ haben die Universität Tübingen und die Bergische Universität Wuppertal ein sehr gutes Forschungsprojekt durchgeführt – daraus haben die teilnehmenden Städte sehr konkret Nutzen gezogen,“ berichtet die DEFUS-Geschäftsführerin. Im Zuge dieses Projekts sei ein sogenannter „Werkzeugkasten Kriminalprävention“ entstanden. Auf den können nun auch andere Städte zugreifen.