Essen. Ein Gladbecker Ehepaar soll in Essen die Notlage zweier Minderbegabter ausgenutzt haben. Jetzt steht es vor dem Essener Landgericht.

Die Notlage zweier minderbegabter Menschen soll ein Gladbecker Ehepaar in seiner früheren Essener Wohnung ausgenutzt haben. Seit Montag muss es sich vor der I. Essener Strafkammer wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen, Nötigung und Betrugs verantworten. Beide Angeklagte bestreiten die Vorwürfe.

Es liest sich wie ein Martyrium, was die Staatsanwaltschaft dem 32 Jahre alten Kai J. und seiner gleichaltrigen Ehefrau Corinna vorwirft. Sie sollen eine heute 51 Jahre alte Frau, die psychisch krank sein soll, in ihrer Wohnung aufgenommen und am Verlassen des Gebäudes gehindert haben. Handy und Ausweis seien der Frau weggenommen worden. Ihre Eltern habe sie nicht sehen dürfen.

Zwei Scheiben Brot am Tag

Zum gleichen Zeitpunkt sollen sie auch einen Mann zum Umzug bewegt haben. Ihm hätten sie vorgespiegelt, sein Mietvertrag sei gekündigt worden. Als auch er bei ihnen wohnte, seien ihm seine Herzmedikamente verweigert worden. Außerdem habe er nur zwei Scheiben Brot am Tag zu essen bekommen. Die Kühlschranktür sei zugeklebt gewesen. Auch die Frau habe zu wenig Lebensmittel bekommen.

Die mutmaßliche Nahrungsverweigerung wird juristisch als "quälen" bewertet. Außerdem sollen sie sich an den beiden bereichert haben. In beiden Fällen hätten sie das Geld der Betroffenen verwaltet. Von der Frau und dem Mann soll Kai J. auch eine Generalvollmacht bekommen haben.

Lebensversicherung gekündigt

Damit habe er bei der staatlichen Familienkasse eine Art Kindergeld für die Frau beantragt und die Gelder auf sein eigenes Konto gelenkt. Sie soll auch eine Lebensversicherung besessen haben. Die habe Kai J. gekündigt und die ausgezahlten 8926,36 Euro ebenfalls auf sein Konto überwiesen bekommen.

Kai J. werden noch weitere Taten vorgeworfen. Dreimal soll er ohne Ticket die Bahn auf dem Heimweg zu seiner Wohnung im Essener Stadtteil Frohnhausen benutzt haben. Einmal habe er auch Ware im Wert von rund 70 Euro bestellt, die Rechnung aber nicht bezahlt.

Angeklagte bestreiten die Vorwürfe

Die Eheleute bestreiten die Taten. Die Anklage stimme nicht, behauptet Kai J. und bittet darum, das etwas länger begründen zu dürfen. Im Kern geht es darum, dass sie die Wohnungslosen aus Mitleid aufgenommen hätten. "Ich kann keinen auf der Straße sitzen sehen", erklärt Corinna J., warum sie die beiden in der kleinen Wohnung hätten bleiben lassen.

Kai J. fängt auf Fragen von Richter Roland Wissel mit den S-Bahnfahrten ohne Fahrschein an. Da treffe ihn eigentlich keine Schuld: "Das war ein Lesefehler am Ticket." Bei der nicht bezahlten Ware fehlt ihm dagegen die Erinnerung, sagt er.

Kein Betrug, nur Beratung

Dafür erinnert er sich genau an die Fälle mit den beiden Minderbegabten, die auch schon drei Jahre zurückliegen. Im Grunde will er sie beraten, ihnen bei rechtlichen Fragen geholfen haben. Eingesperrt worden seien sie natürlich nicht, jederzeit hätten sie die Wohnung verlassen dürfen. Seine Sachkunde als Berater begründet er eindrucksvoll: "Ich weiß, wo in Essen die Behörden sitzen."

Die Angeklagten sind nicht ganz unkomplizierte Charaktere. Ihre Verteidiger Stephanie Linten und Andreas Wieser weisen das Gericht zu Beginn auf das Ziel der Verteidigung hin: "Wir wollen deutlich machen, dass bei ihnen eine verminderte oder gänzliche aufgehobene Schuldfähigkeit vorliegt."

Intelligenzquotient liegt bei 59

Anwalt Wieser erinnert daran, dass er den Mandant bereits seit 15 Jahren aus vielen Verfahren kenne. Dessen Intelligenzquotient liege laut einem früheren Gutachten bei 59.

Wer Kai J. zuhört, der bemerkt das nicht sofort. Der Angeklagte blättert immer mal wieder in einem Aktenordner, füllt seinen Vortrag auch mal mit anschaulichen juristischen Beispielen. Auch das erläutert Anwalt Wieser: "Er hat in den letzten Jahren ein Faible für die Juristerei entwickelt." Und so gibt er wohl anderen schon mal Tipps oder verfasst eben selbst Eingaben für die Behörden. Für den Prozess sind sechs weitere Verhandlungstage vorgesehen.