Ruhrgebiet. Haustiere, die während der Pandemie angeschafft wurden, landen vermehrt im Tierheim. Doch die Einrichtungen kommen langsam an ihre Grenzen.

Ein Spielgefährte für die Kinder oder „aus Langeweile“: Die Corona-Pandemie schien für zahlreiche Familien der perfekte Zeitpunkt, um sich ein Haustier anzuschaffen. Immerhin war der Welpe nicht allein, als Kinder am heimischen Schreibtisch lernten und Eltern zuhause am Laptop arbeiteten. Doch mittlerweile sind die Infektionszahlen gesunken, die Pflicht zum Arbeiten im Homeoffice lief Ende Juni aus. Und mit dem Ferienstart in NRW freuen sich viele Familien auf den langersehnten Sommerurlaub. Wenn niemand da ist, der sich um Hund oder Katze kümmert, landen die Tiere oft im Heim, weiß Jeanette Gudd, Leiterin des Albert-Schweitzer-Tierheims in Essen.

Rückgabewelle in NRW-Tierheimen: „Es ist deutlich mehr in diesem Jahr“

21 Katzen, ein Hund, eine Wasserschildkröte, elf Kaninchen, zwei Meerschweinchen, zwei Wellensittiche und zwei Nymphensittiche sind in dem Essener Tierheim in der ersten Ferienwoche abgegeben worden. Zwölf weitere Haustiere sind in Pension, bleiben nur so lange, bis ihre Besitzer aus dem Urlaub zurück sind. Auch wenn jedes Jahr zur Ferienzeit viele Familien mit dem Gedanken spielten, ihre Haustiere wieder abzugeben: „Es ist deutlich mehr in diesem Jahr“, sagt Tierheimleiterin Jeanette Gudd.

Jeanette Gudd ist Leiterin des Albert-Schweitzer-Tierheims in Essen.
Jeanette Gudd ist Leiterin des Albert-Schweitzer-Tierheims in Essen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Alle Tiere könnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Albert-Schweitzer-Tierheims unmöglich aufnehmen. „Wir müssen Platz für die Fundtiere halten“, sagt Gudd. Vor allem Streunerkatzen würden derzeit häufig abgeben. Ob die Menschen die Tiere tatsächlich gefunden haben oder ob es sich dabei in Wahrheit um ihre eigenen Tiere handelt? „Das wissen wir natürlich nicht.“

Aber auch mit der Hundeerziehung seien Besitzer überfordert. „Das ist der häufigste Grund, warum Menschen ihre Hunde wieder abgeben“, sagt Jeanette Gudd. Mit der monatelangen Schließung der Hundeschulen hänge das nur bedingt zusammen. So suchten viele Menschen ihre neues Familienmitglied heutzutage nach dem Aussehen aus, gibt die Tierheimleitung zu bedenken. „Sie denken, es reicht, mit einem Australian Shepherd dreimal am Tag um den Block zu gehen.“ Die Hütehunde mit der schönen Fellfärbung hätten jedoch einen sehr hohen Bewegungsdrang.

Katzenschutz Dortmund „platzt aus allen Nähten“

Auch der Katzenschutz Dortmund „platzt aus allen Nähten“, wie Vorsitzende Gudrun Heinisch sagt. Aber: „Unser Problem ist nicht die Rückgabe.“ Jedes Jahr im Frühjahr nehme der Verein zahlreiche trächtige Streunerkatzen auf, damit sie in behüteter Umgebung ihre Jungen zur Welt bringen könnten. Die Mutterkatzen und ihre Kitten lebten dann für einige Monate in Pflegefamilien und würden anschließend weitervermittelt. Im vergangenen Sommer, sagt Heinisch, habe der Katzenschutzverein davon profitiert, dass viele Menschen zuhause geblieben sind. „Dieses Jahr haben die Leute keine Zeit mehr“, bedauert die Vereinsvorsitzende.

Im Frühjahr kommen besonders viele Katzenbabys zu Welt.
Im Frühjahr kommen besonders viele Katzenbabys zu Welt. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Weil sich die Katzen in Dortmund immer weiter vermehren, gilt seit Anfang 2020 im Stadtgebiet eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen. Das Problem: „Viele Leute wissen das überhaupt nicht“, sagt Gudrun Heinisch. In diesem Sommer sei zudem das Tierheim in Dortmund ausgelastet und könne nicht, wie sonst übliche, einige der Katzenfamilien aufnehmen.

„Wir müssen zu 100 Prozent überzeugt sein, dass das kein Corona-Hund ist“

Einen Welpen für eine 80-jährige Oma, „damit sie nicht mehr so allein ist“, oder ein Katzenbaby „zum Spielen“: „Wir erhalten immer wieder kuriose Anfragen“, sagt Silvia Rettkowski vom Tierheim Herne-Wanne. Besonders in der Corona-Pandemie sei das Interesse an tierischer Gesellschaft gewachsen. Doch ohne Weiteres dürfe niemand ein Haustier bei sich aufnehmen. „Wir haben sehr strenge Kriterien“, sagt Rettkowski. Fünf- bis sechsmal müssten künftige Besitzer vorbeikommen, bis sie einen Hund mitnehmen dürften. Wer auf Fragen wie „Was ist, wenn Homeoffice vorbei ist?“ mit „Das weiß ich noch nicht“ antwortet, hat schlechte Karten: „Wir müssen zu 100 Prozent überzeugt sein, dass das kein Corona-Hund ist.“

Erst kürzlich habe das Tierheim einen Hund aufgenommen, weil die Besitzer überfordert gewesen seien. Sie hätten das Tier bei ebay gekauft – und seien „ganz überrascht“ gewesen, dass der Hund dreimal am Tag Pipi machen muss. „Die Besitzer haben dem armen Kerl eine Windel umgebunden“, erzählt Rettkowski. Nach zwei Wochen hätten sie schließlich eingesehen, dass der Mischling woanders besser aufgehoben ist.

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Silvia Rettkowski befürchtet, dass in den kommenden Wochen noch mehr Tiere dazukommen: „Bislang sind wir verschont geblieben“, sagt das Vorstandsmitglied. „Aber wir haben schon Angst vor einer großen Rückgabewelle.“ In diesem Sommer seien besonders viele Tiere für die Urlaubszeit abgegeben worden. „Die Pension ist für die nächsten sechs Wochen ausgebucht“, sagt Rettkowski. „Ich hoffe, dass die ganzen Urlaubshunde auch wieder abgeholt werden.“

Tiere nicht privat weitergeben

■ Menschen, die überfordert mit ihrem Haustier sind, wollen es meist so schnell wie möglich wieder loswerden. Sind die Tierheime in der Umgebung voll, kann die Suche nach einem Platz zur Geduldsprobe werden.

■ Jeanette Gudd vom Essener Albert-Schweitzer-Tierheim rät davon ab, Hunde oder Katzen privat weiterzugeben. „Man weiß nie, an wen man da gerät“, warnt die Tierheimleiterin. „Nachher wird das Tier zum Wanderpokal.“