Essen/Duisburg/Gelsenkirchen. Die Tierheime im Revier kämpfen sich durch die Corona-Krise. Warum die größten Probleme kommen könnten, wenn das Virus besiegt ist.
Die Tierheime im Revier kämpfen sich durch die Corona-Krise. Die größten Probleme aber könnten kommen, wenn das Virus besiegt ist.
Im Lockdown ist der Mensch nicht gern allein. Je eingeschränkter die Kontakte sind, desto mehr wächst das Interesse an tierischer Gesellschaft. Deutschland erlebt seit Monaten einen Haustierboom. „Die Nachfrage ist überall gestiegen“, bestätigt Detlef Fohlmeister, Vorsitzender des Tierschutzvereins Gelsenkirchen und der Tierheim AG-nrw, zu der 18 Tierheime aus dem Ruhrgebiet und Umgebung gehören.
20 bis 30 Anfragen täglich allein in Essen
„20 bis 30 Anfragen“ gebe es allein in Essen jeden Tag, sagt Jeanette Gudd, Leiterin des Essener Tierheims. „Mit dem Beginn des zweiten Lockdowns hat das Interesse noch einmal zugenommen.“ Norma Puchstein, Vorsitzende des Vereins Tierschutzzentrum Duisburg kennt das Phänomen. „Wir nennen das Corona-Bewerbungen.“
Trotzdem sind die Heime derzeit meist „normal voll“ statt tierleer. „Wir geben Hunde oder Katzen ja nicht so einfach her“, stellt Fohlmeister klar. „Gerade in diesen Zeiten fragen wir genau nach, warum jemand ein Tier haben möchte“, sagt Puchstein. „Um die Kinder zu bespaßen“, hat Gudd als Antwort oft zu hören bekommen. Oder, „weil ich mich so langweile“. Beides, man ahnt es, hat nicht zu einem neuen Bewohner im Bewerberhaushalt geführt. Ja, selbst die Aussage, dass man im Home-Office so viel Zeit habe, war selten von Erfolg gekrönt. „Und was machen Sie, wenn sie irgendwann wieder regelmäßig ins Büro zurück müssen?“, fragt Gudd dann. Oft bleibt die Frage unbeantwortet. Und das Tier, wo es ist.
„Man kann nicht alle über einen Kamm scheren“
„Man kann nicht alle über einen Kamm scheren“, sagt Puchstein. „Aber viele machen sich gar keine Gedanken darüber, welche Verantwortung sie mit so einer Entscheidung übernehmen.“ Stattdessen schimpfen sie nach einer Absage: „Seid doch froh, wenn jemand die Hunde und Katzen holt.“ Aber das sind sie nicht. „Besser ist, das Tier bleibt bei uns, als dass es in schlechte Hände gerät“, heißt es.
Dabei könnten die Heime die „Vermittlungsgebühr“ gut brauchen. „Sehr, sehr traurig“ nennt Puchstein die finanzielle Lage derzeit. „Es gibt kein Tierheim, das nicht finanzielle Engpässe hat“, bestätigt Detlef Fohlmeister. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, liefert die passenden Zahlen dazu. Etwa 60 Millionen Euro Mindereinnahmen müssten die mehr als 500 Heime, die dem Bund angeschlossen sind, verkraften, schätzt er.
Keine einzige Veranstaltung – „alles ist weggefallen im vergangenen Jahr“
Kein Tag der offenen Tür, kein Trödelmarkt, kein Weihnachtsbasar – „alles ist weggefallen im vergangen Jahr“, sagt Jeanette Gudd. Auch Spenden und Patenschaften waren in den letzten Monaten rückläufig. Ja, selbst die für die meist von Vereinen betriebenen Heime so wichtige Mitgliederzahl stagniere in vielen Städten oder gehe sogar leicht zurück. „Aber“, zeigt Gudd Verständnis, „bei manchen Leuten wird das Geld in Corona-Zeiten langsam knapp.“ Da überlegt der ein oder andere, ob die Mitgliedschaft noch sein muss – selbst, wenn sie wenige Euro im Monat kostet. „Noch so ein Jahr und es wird eng“, fürchtet die Tierheimchefin und ist wie alle in der Branche dankbar für jede Spende und jede Partnerschaft.
„Ernst“ sei die Lage, sagt Fohlmeister. Er sieht aber noch kein Heim wirklich in Gefahr. „Wenn sich die Corona-Situation wieder beruhigt, kommen wir durch.“ Je mehr Freiheit die Menschen genießen, desto enger könnte es allerdings in den Heimen werden.
Markt ist leer gefegt - alles wird gekauft
Denn wer dort kein Tier bekomme, davon ist Puchstein überzeugt, „der findet Mittel und Wege, sich anderswo eins zu beschaffen“. Zu seriösen Züchtern führt der Weg dabei aus Angst vor Nachfragen nur selten, ins Internet ganz oft. Kleinanzeigen, soziale Netzwerke: „Der Markt ist so leer gefegt, dass sie im Augenblick alles verkauft bekommen“, sagt Gudd. Und Fohlmeister berichtet von ganzen „Wagenladungen Welpen“, die regelmäßig über die Ostgrenzen nach Deutschland geschafft und verkauft werden.
Die Heime stellen sich deshalb auf eine „Flut von abgegebenen Tieren“ ein. „Sobald sich das Leben wieder normalisiert hat, werden viele Menschen keine Lust oder Zeit mehr für Hund oder Katze haben“, fürchtet Puchstein. Und nicht nur das. Einige der neuen Heimbewohner – vor allem Hunde – könnten „schwierige Fälle“ sein. Groß geworden bei unerfahrenen Besitzern, Hundeschulen in Corona-Zeiten geschlossen, kaum Kontakt zu Artgenossen – die Gemengelage hat eine gewisse Brisanz: „Wir werden“, ahnt nicht nur die Tierzentrumschefin, „eine Menge verhaltensauffälliger Hunde bekommen.“